"Freiheit" weit vor "Religion"Was den Deutschen wichtig ist
Heiße Tage, lange Sommerabende: In der Hängematte, am Strand oder im Gartenstuhl schweifen die Gedanken schnell ab zu den wirklich wichtigen Dingen im Leben. Eine aktuelle Wertestudie liefert Einblicke in das ethische Koordinatensystem der Deutschen.
Freiheit, Familie und Freunde sind für fast jeden Bundesbürger von zentraler Bedeutung im Leben. Aber auch eine intakte Natur, Nachbarschaft oder Institutionen wie das Rote Kreuz erachten mehr als neun von zehn befragten Bürgern als für sie persönlich wertvoll. Zu diesem Ergebnis kommt die jüngste Wertestudie der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen.
Für die repräsentative Erhebung haben Experten mehr als 2000 Bundesbürger ab 14 Jahren in persönlichen Interviews dazu befragt, was sie persönlich im Leben für wichtig und wertvoll erachten. Um ein klares Stimmungsbild zu gewinnen, nannten die Demoskopen in ihren Fragen konkrete Namen von Parteien, Unternehmen und Institutionen. Diese stehen hier jeweils stellvertretend für ideelle Werte wie Verlässlichkeit, Gemeinwohlbindung oder auch Heimat.
Freiheit und Freundschaft
Unabhängig von Alter, Geschlecht, Einkommen oder Familienstand sind Freiheit, Natur, Familie und Freunde das Wichtigste im Leben fast aller Bundesbürger. Hier liegt die Zustimmungsquote bei mehr als 95 Prozent. Knapp dahinter folgen mit ebenfalls hoher Wertschätzung Werte wie "Nachbarschaft" (90 Prozent) und "Heimat" (89 Prozent). Aber auch der "Urlaub" ist für 86 Prozent der Deutschen von zentraler Bedeutung, ebenso wie "(Weiter-)Bildung" (81 Prozent), "Bücher" (76 Prozent) und "Kultur" (67 Prozent).
Die häufigste Freizeitaktivität der Deutschen, das Fernsehen, liegt dagegen nur im Mittelfeld der Beliebtheitsskala. Im Vergleich der öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsender zeigt sich erneut ein deutlicher Generationenunterschied: Während die Öffentlich-Rechtlichen von den älteren Bundesbürgern favorisiert werden (55plus: 80 Prozent, unter 35 Jahre: 46 Prozent), verhält es sich bei den Privaten umgekehrt (55plus: 50 Prozent, unter 35 Jahre: 57 Prozent).
Mehr als jeder zweite Befragte empfindet zudem "Markenvielfalt" als wichtig und wertvoll für sein persönliches Leben - sei es aus Tradition, Lifestyle oder Vertrauen. Auch hier stimmt die Generation unter 35 Jahren deutlich häufiger zu, als die über 55-Jährigen (63 Prozent zu 48 Prozent).
"Statt eines einheitlichen Werteverständnisses innerhalb der gesamten Bevölkerung werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, die dem eigenen Lebensstil und der jeweiligen Lebenssituation entsprechen", fasst der Wissenschaftliche Leiter der Stiftung, Ulrich Reinhardt, die Ergebnisse der Wertestudie zusammen. "Gleichzeitig bleiben jedoch bestimmte Grundwerte für alle Bürger gleich. Auch oder gerade in Zeiten von unendlichen Möglichkeiten und Angeboten, Globalisierung und Flexibilisierung, aber auch Rationalisierung und Optimierung, erfahren prosoziale Werte eine zunehmende Bedeutung."
Rotes Kreuz und Verbraucherschützer
Parteien landen auf der Werteskala der Bundesbürger am unteren Ende. Während die Volksparteien CDU und SPD noch von wenigstens knapp der Hälfte der Bevölkerung als bedeutsam eingestuft werden, sieht dieses bei den Grünen nur jeder Dritte, bei der FDP und den Linken nur jeder Vierte und bei der AfD sogar nur jeder Achte so.
Die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia hingegen ist für mehr als 50 Prozent der Bundesbürger von persönlicher Bedeutung, obwohl sich auch hier große Unterschiede zwischen den Generationen offenbaren. So sieht nur etwa jeder dritte über 55-Jährige (36 Prozent) das digitale Lexikon als wichtig an, während doppelt so viele junge Menschen (71 Prozent) diese Ansicht vertreten.
Ähnlich relevant werden die Nato, der ADAC, die Bundeswehr oder Greenpeace gesehen - etwa zwei von drei Bundesbürgern äußern in der Befragung unter vier Augen ihre Wertschätzung für diese Institutionen. Noch wertvoller für das eigene Leben werden die Verbraucherzentrale, das Deutsche Rote Kreuz sowie die Vereinten Nationen und die Europäische Union erachtet.
"In einer zunehmend komplexeren Welt sehnen sich Junge wie Alte nach Sicherheit und Beständigkeit", erklärt Zukunftsforscher Reinhardt. "Multinationale Institutionen wie die UN oder auch die EU vermitteln diese."
Deutsche Bahn vor Aldi und Google
Heimische Unternehmen wie etwa die Supermarktkette Aldi, die Telekom, Siemens oder die Deutsche Bahn genießen innerhalb der Gesamtbevölkerung dabei tendenziell einen höheren Stellenwert als US-Internetgiganten wie Amazon, Google oder Ebay. Gemeinsam ist all diesen Unternehmen, dass sie von wenigstens der Hälfte der Bundesbürger als persönlich bedeutend eingestuft werden. Dagegen spielen nur für jeden Dritten Börsenschwergewichte wie die Allianz, Nike, die Deutsche Bank oder McDonalds eine wertvolle Rolle im eigenen Leben.
Die Wertestudie belegt große Unterschiede zwischen den Generationen: Die Jüngeren messen Internetunternehmen etwa eine deutlich höhere Bedeutung zu als die Deutschen über 55 Jahre. Der Suchmaschinenanbieter Google genießt mit 90 Prozent Zustimmung die höchste Bedeutung aller Wirtschaftsunternehmen innerhalb der Generation unter 35 Jahren.
Bei den über 55-Jährigen ist es hingegen nur jeder zweite, der diese Begeisterung teilt. Darauf folgen mit Amazon (81 Prozent), Ebay und Facebook (jeweils 70 Prozent) weitere Unternehmen der New Economy. Auch für diese fällt die Zustimmung innerhalb der Generation über 55 Jahren deutlich niedriger aus (Amazon 30 Prozent, Ebay 28 Prozent, Facebook 17 Prozent). Ältere Bundesbürger schätzen dagegen die Deutsche Bahn (80 Prozent), Aldi (74 Prozent) oder auch die Deutschen Telekom (72 Prozent) überdurchschnittlich.
"Die jüngere Generation misst Unternehmen, die in ihrem Alltag eine beträchtliche Rolle spielen, die größte persönliche Bedeutung bei", kommentiert Zukunftsforscher Reinhardt. "Ältere Bundesbürger sympathisieren dagegen eher mit traditionellen und bekannten Marken und blicken mit Skepsis auf Unternehmen aus dem Silicon Valley."