Schlepper, Strömung, Trump Was hat die Brooklyn-Bridge-Tragödie ausgelöst?


Im Hafen von Manhattan verliert der Kapitän eines mexikanischen Segelschulschiffes die Kontrolle über die Steuerung - mit schwerwiegenden Folgen. Gleich mehrere Faktoren könnten das Unglück begünstigt haben, darunter auch eine möglicherweise fehlerhafte Schlepperbegleitung.
Die US-amerikanischen Ermittler stehen vor einem Rätsel. Warum verliert der Kapitän eines Segelschulschiffs kurz nach dem Auslaufen aus dem Hafen sämtliche Kontrolle über die Steuerung? Zwei Menschen kamen ums Leben, als die mexikanische Cuauhtémoc am Samstagabend mit der Brooklyn Bridge in New York kollidierte. Mehr als 20 weitere wurden verletzt, teilweise schwer. Aufnahmen zeigen, wie das Schiff bei voller Geschwindigkeit rückwärts in die Brücke raste. Wie es dazu kommen konnte, müssen nun die Behörden klären. Eine enorme Herausforderung, wie Senator Chuck Schumer schnell deutlich machte. Denn eines sei klar, so der Demokrat: "Es gibt viel mehr Fragen als Antworten dazu, wie es zu dem Unfall gekommen ist und ob er hätte verhindert werden können."
Das Marineschiff war zwei Wochen zuvor in der Karibik zu einer 170-tägigen Ausbildungsreise aufgebrochen. An Bord befanden sich 277 Besatzungsmitglieder - überwiegend junge Kadettinnen und Kadetten der Offiziersausbildungsakademie der mexikanischen Marine. Insgesamt wollten sie 22 Häfen auf der ganzen Welt ansteuern, darunter jene in Havanna, London - und eben New York City. Von hier aus sollte es auf direktem Wege nach Island gehen.
Gegen 20.20 Uhr legte das Schiff vom Pier 17 in Manhattan ab. Dutzende Menschen, die das Auslaufen der Cuauhtémoc vom Hafen aus beobachten wollten, wurden nun Augenzeugen des Unglücks: Statt wie geplant gen Süden zu fahren, bewegte sich das Schiff plötzlich rückwärts in die entgegengesetzte Richtung auf die Brooklyn Bridge zu. "Ich dachte, es handele sich vielleicht um einen Terroranschlag", sagte der Augenzeuge Aaron Travis der "Daily Mail".
Die Todesopfer
Sekunden später prallte das Schiff gegen einen Pfeiler der Brücke. Augenzeugen halten mit ihren Smartphones fest, wie die drei rund 50 Meter hohen Masten abbrechen. Was die Bilder ebenso zeigen: Auf eben jenen Masten befanden sich zum Zeitpunkt der Kollision etliche der Kadettinnen und Kadetten. Dies gehörte zum Ritual der Besatzung, erklärte der New Yorker Bürgermeister Eric Adams später. Tatsächlich ist das "Manning the Yars" - das Besetzen der Wanten beim Auslaufen aus dem Hafen - weltweit Tradition auf Marineschiffen.
Die meisten Kadettinnen und Kadetten auf der Cuauhtémoc hatten kaum eine Chance, vor der Kollision vom Mast herunterzukommen. Einige von ihnen schafften es, sich nach der Kollision an Seilen festzuhalten, andere stürzten in die Tiefe. Die Marineschülerin América Yamilet Sánchez und der Marineschüler Adal Jair Marcos überlebten den Aufprall nicht, wie die mexikanische Marine bekannt gab.
Die 20-jährige Sánchez aus dem mexikanischen Bundesstaat Veracruz war laut ihrer Familie Truppenführerin. Sie studierte außerdem Ingenieurswesen, wollte die Funktionsweise des Schiffes genau verstehen, heißt es in der "New York Times". Der lokalen Nachrichtenagentur E-Consulta Velacruz zufolge war sie außerdem Schwimmerin und hatte bereits mehrere Medaillen gewonnen. Ihre Tochter habe sich besonders über den Halt in New York gefreut, erzählt die Mutter den Medien. Auch ein Foto, das Sánchez rund acht Stunden vor dem Unglück auf Facebook postete, zeigt sie lächelnd im Hafen von Manhattan. Ihre Bildbeschreibung "NY" versah sie mit einem roten Herz.
Die Rolle des Schleppers
Adal Jair Marcos aus Oaxaca war seit neun Monaten an Bord der Cuauhtémoc, berichtet die mexikanische Zeitung El Universal. Seine Freunde beschreiben vor allem seine Liebe zum Reisen. Er habe "die Welt auf hoher See bereist - von Hawaii und Tokio bis nach Neuseeland und Australien".
Die beiden jungen Auszubildenden starben, weil der Kapitän des Schiffes die Kontrolle über die Steuerung verlor. Das erklärte Wilson Aramboles von der New Yorker Polizei wenige Stunden nach dem Unglück. Demnach erklärte der Kapitän den Ermittlern, dass das Ruder des Schiffes ausgefallen sei. Die gemeinsamen Ermittlungen US-amerikanischer und mexikanischer Behörden sollen sich daher auch auf mögliche "mechanische Probleme" am Schiff konzentrieren. Zudem verfolgen sie eine weitere Spur, wie Beamte am Sonntag vor der Presse erklärten.
So soll es auch darum gehen, welche Rolle ein Schlepper bei dem Unfall spielte. Trackingaufzeichnungen der Marine sowie Augenzeugenvideos des Hafens zeigen, wie die Cuauhtémoc am Samstag neben einem Begleitschlepper auslief. Dieser Schlepper, Charles D. McAllister, stieß das Schiff leicht an, heißt es in der "Washington Post". Demnach fiel der Schlepper jedoch ab, noch bevor das Schiff wenden konnte. Sekunden später, als das Schiff in die falsche Richtung trieb, soll der Schlepper noch vergeblich versucht haben, es zu überholen.
Demokraten bringen Trumps Kahlschlag ins Spiel
Den Berichten zufolge besteht nun der Verdacht, dass der Schlepper zu früh abgekoppelt wurde. Ähnliche Probleme hatte es im vergangenen Jahr bei dem Schiffsunglück in Baltimore gegeben. Damals war ein Frachtschiff gegen eine Brücke geprallt. Die Hafenbehörden hätten anschließend die Vorschriften verschärft und eine Schlepperbegleitung und niedrigere Geschwindigkeiten vorgeschrieben, heißt es in der "Washington Post".
Das im aktuellen Fall verantwortliche Schlepper-Unternehmen McAllister Towing erklärte bisher lediglich, dass eines seiner Schiffe "die Cuauhtémoc beim Verlassen des Pier 17 unterstützt habe". Man wolle die Ermittlungen der Behörden jedoch "uneingeschränkt unterstützen".
Senator Schumer kann sich neben der möglichen Schlepperproblematik noch eine weitere Ursache für das Unglück an der Brooklyn Bridge vorstellen. Der Demokrat wies in seiner Pressekonferenz auf den behördlichen Kahlschlag unter US-Präsident Donald Trump hin. "Ich habe den allgemeinen Eindruck, dass es in Teilen der Küstenwache zu Funktionsstörungen durch das DOGE gekommen ist", sagte er. Schumer verglich die Wasserstraßenkontrolle der Küstenwache mit den Aufgaben der Flugaufsichtsbehörde FAA. Experten hatten bereits gewarnt, dass die Kürzungen bei der FAA zulasten der Flugsicherheit in den USA gehen.
Zu spät ausgelaufen?
Die Kürzungen der Trump-Regierung haben auch Stellen bei der Küstenwache betroffen, sagte Schumer. Auch gebe es bereits Anzeichen dafür, dass die Wasserstraßenkontrolle deswegen "möglicherweise nicht oder nicht angemessen funktioniert hat", so Schumer. "Jetzt müssen wir wissen, ob sich das auf die Ereignisse der letzten Nacht auf der Ebene der Befehlsgewalt, der Kommunikation und der lokalen Koordination ausgewirkt haben könnte." Sollte dies der Fall sein, so der Senator, "könnte der Unfall an der Brooklyn Bridge ein nationales Warnsignal sein, das sofortige Aufmerksamkeit erfordert". Die US-Küstenwache erklärte der "New York Times" hingegen, dass sie während des Vorfalls "voll funktionsfähig war" und gemäß den Vorschriften arbeitete.
Auch die Strömung des East River könnte bei dem Unglück eine wichtige Rolle gespielt haben. Laut der "Washington Post" musste das Schiff beim Auslaufen aus Manhattan durch äußerst turbulentes Gewässer manövrieren. Demnach hatte die Strömung die Richtung gewechselt und starker Wind eingesetzt. "Es wäre klug gewesen, zwei Stunden früher loszufahren, als die Flut zurückging. Das wäre der ideale Zeitpunkt gewesen", bilanzierte der Schifffahrtsexperte Sal Mercogliano im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP.
Die Ermittlungen zur genauen Ursache des Kontrollverlusts werden Experten zufolge Monate dauern. Wahrscheinlich werde es auf ein fatales Zusammenspiel vieler Faktoren hinauslaufen, sagt Mercogliano. "Die Höhe des Schiffes, eine starke Strömung, starker Wind und das Fehlen einer besser kontrollierten Schlepperbegleitung" - all dies habe den Kontrollverlust der Schiffes und die Kollision mit der Brooklyn Bridge begünstigt.
"Wäre noch viel schlimmer gekommen"
Möglicherweise, so der Experte, sei auch der Sicherheitscheck durch die Besatzung fehlerhaft gewesen. In der Regel umfasse dieser eine Überprüfung der Propeller, des Ruders und des Antriebs des Motors sechs bis zwölf Stunden vor der Abfahrt, um sicherzustellen, dass alles ordnungsgemäß funktioniert.
Am Ende sei es der Konstruktion des Schiffes zu verdanken, dass nicht noch mehr Kadetten bei dem Unglück zu Tode kamen, fügte Mercogliano hinzu. So habe die Stahltakelage verhindert, dass die Masten ins Wasser fielen. Die Menschen auf ihnen hätten ertrinken können. "Und es wäre noch viel schlimmer gekommen."
Quelle: ntv.de