
Zwischen seinen Plüschaugen sitzt ein ganz schön gemeines Denkzentrum.
(Foto: IMAGO/ABACAPRESS)
Wenn die Kolumnistin J.D. Vance sieht, reagiert sie mindestens schizophren: In ihrem Kopf schwirrt "Deine blauen Augen machen mich so sentimental", sie denkt an J.D. Salinger, an ihr Aufwachsen im amerikanischen Sektor, und dann noch an really, really hard times!
Letzte Woche, als in München die Sicherheitskonferenz über die Bühne gebracht wurde und der Vizepräsident der Vereinigten Staaten eine bemerkenswerte Rede (Bemerkenswert schlecht? Bemerkenswert gut? Oder einfach nur bemerkenswert, weil sie für so viel Unruhe gesorgt hat? Nur für Mathias Döpfner bemerkenswert?) hielt, da haben wir in der Redaktion sogar unsere heilige Nachmittagskonferenz ausfallen lassen, um J.D. Vance live zu lauschen. Fast wie bei der Mondlandung. Nun, auf dem Mond gelandet ist er definitiv nicht, wenngleich ihn viele gern dorthin abschießen wollen.

Uns erzählen, dass wir mit denen Rechtsaußen sprechen sollen, wenngleich Rechtsaußen zu Teilen den Holocaust leugnet, und dann Dachau besuchen und sich neben dem Holocaust-Überlebenden Abba Naor ablichten lassen - mehr Bigotterie geht eigentlich nicht.
(Foto: REUTERS)
Zur Erinnerung: Vance hatte in seiner Ansprache unterstellt, es gebe keine Meinungsfreiheit in Europa. Vor allem nicht in Germany (But: "We loooove Germany, we always have such a good time here, and the Whitewurscht, yummie"). Diese Tatsache, also die nicht vorhandene Meinungsfreiheit, sei eine ungleich größere Bedrohung für uns schlecht ausgerüsteten Euro-Schluffis, als die Bedrohung durch Russland oder China. Nach seiner Rede, die fast tränenreich anfing, weil er über relativ viel Uninteressantes räsonierte, sprach er später noch davon, dass die deutsche Politik doch pleeease mit allen Parteien zusammenarbeiten solle. Also ausdrücklich auch mit der AfD. Vance warf den politischen Führungskräften in Europa vor, sich geradezu anti-demokratisch zu verhalten, indem sie die Zusammenarbeit mit populistischen Parteien ausschließen. Er und sein Boss, US-Präsident Donald Trump, fürchteten gar, dass "europäische Anführer irgendwie Angst vor ihren eigenen Menschen haben". Er erklärte das so: Indem stark rechtsgerichtete Parteien, die gegen die Zuwanderung eintreten, von Regierungskoalitionen ausgeschlossen würden, werde der Wille des Volkes missachtet. Häh? Sorry, Jay Dee, aber wir hier in Germany wissen ganz genau, wohin es führen kann, wenn der "Volkeswille" zu doll beachtet wird.
"Wir sind das Volk", wabert es nun jedenfalls durch mein Gehirn und ich denke an die friedliche Revolution, die aus zwei unglücklichen, deutschen, kleineren Staaten einen großen, glücklichen, deutschen Staat machte. Einwände? Naja, heute ist Deutschland zweigeteilt wie anno 1989, bevor die Mauer fiel, was sich ganz einfach durch Zahlen manifestiert: 24 Prozent wollen im Osten AfD wählen, im Westen nur 12 Prozent. Im Westen geben laut letzter Umfragen 33 Prozent der CDU ihre Stimme, im Osten nur 20 Prozent, eine unsichtbare Mauer zieht sich durch das Land.
Mein demokratisches Herz
Da hilft kein Schöngequatsche, und auch die besonnensten Erklärungsversuche reichen mir für den Wahlsonntag nicht mehr. Man müsse denen, die Angst haben und DESWEGEN AfD wählen, aufmerksamer zuhören, habe ich gehört. Das klingt schön, aber was mir persönlich Angst macht, sind ja gerade die, die AfD wählen. Möchte ich denen zuhören? Mein demokratisches Herz inklusive Erziehung sagt: "ja, muss man", mein Kopf sagt: "nein, kein Bock auf den Mist".
Zurück zu James David mit den Plüschaugen: Nachdem Markus Söder sich neben seinen Foodblogger-Tipps dazu hat hinreißen lassen, uns wissen zu lassen, dass der Vance privat ein ganz Netter ist (und so süße Kinder, mei), hat der zukünftige Kanzler etwas barscher reagiert auf die Ansagen des Vice-Presidents: Friedrich Merz verlangte von der US-Regierung, sich nicht in den deutschen Wahlkampf einzumischen. "Wir respektieren die Präsidentschaftswahlen und die Kongresswahlen in den USA und erwarten, dass die USA dies hier auch tun", so der CDU-Chef noch direkt auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

Privat bestimmt ein ganz ein Netter, hier mit Gattin Usha und der Rasselbande bei der Ankunft zur Münchener Sicherheitskonferenz.
(Foto: dpa)
Seitdem: Über eine Woche Ping-Pong, ob da nicht eventuell doch was Wahres dran sein könnte an den Ansagen von Vance. Ich hatte ja eingangs bereits Springer-Urgestein und -Denker und -Lenker Mathias Döpfner erwähnt, der das ganz fluffig fand, wie der Vance uns da so mit einem fast kindlichen Lächeln zwischen seinen Pausbäckchen angezählt hat. Er findet, wir sollen uns nicht so Weichei-mäßig anstellen. Er glaubt nämlich, das sei nicht sonderlich strategisch. Sogar gefährlich. Europa brauche schließlich ein transatlantisches Sicherheitsbündnis und eine transatlantische Handelsbeziehung. Als hätten wir diese Garantie, wenn wir den Amerikaner nicht kritisch betrachtet würden! Vance sagt doch klipp und klar, dass er so oder so nicht beabsichtigt, den Rammbock Richtung Osten für Europa zu spielen.
Inspiration durch Vance?
Döpfner allerdings sagte außerdem, dass er glaube, man verstehe Vance sogar absichtlich miss. "Es heißt, er habe die Tür eingeschlagen und gesagt, das sei das Ende der transatlantischen Beziehungen. Ich lese das nicht so", wird er im Branchenblatt "Kress-Report" zitiert. Döpfner halte es für sehr unangebracht, "auf alles irgendwie verbittert zu reagieren und dann eine Art europäischen Isolationismus zu fordern." Ganz im Gegenteil findet der Manager und Vorstandsvorsitzende des Springer-Verlags die Rede des Republikaners geradezu "inspirierend", nämlich dort, wo dieser frage, "ob es klug ist, 20 Prozent der Wähler einfach die Botschaft zu vermitteln, dass ihr, egal, was ihr tut, egal, was ihr wählt, nicht gehört werdet."
Ach Gottchen. Döpfner unterstreicht zwar im Interview mit einem "Financial Times"-Journalisten, dass er es für einen großen Fehler hält, die AfD als normale politische Bewegung zu behandeln und mit ihr eine Koalition zu bilden. "Aber sie von vornherein auszuschließen, hat sie meiner Meinung nach groß gemacht." Dies sei also ein berechtigter Punkt von J.D. Vance und eine gute Diskussion, die er geführt habe. "Und dann ist natürlich auch die Diskussion über die Redefreiheit interessant," räumt Döpfner ein. "Natürlich kann man auch die Diskussion führen, inwieweit die amerikanische Regierung dem gerecht wird. Und dann wird es interessant, dann wird es lebendig. Aber es einfach zu ignorieren und zu sagen, das ist eine Einmischung in die deutsche Politik, das finde ich wirklich dumm." So nämlich, dumm, ihr alle.
Merken Sie was? Sie finden das jetzt auch, oder? Come on, ein bisschen, geben Sie es ruhig zu. Am Anfang, da dachten Sie noch, Vance, der eingebildete Pinsel, was hat der sich denn hier einzumischen, und jetzt finden Sie auch - ein wenig - , dass die Adjektive "gerecht", "interessant", "dumm " durchaus ihre Berechtigung haben. Dass es lebendig wird. Dass wir sprechen sollten. Mit der AfD. Oder?
Der Feind in meinem Innern
Haben Sie ein Wahl-Duell, vielleicht sogar "das Quadrell" auf ntv/RTL gesehen? Glauben Sie, dass es gut ist, einer Alice Weidel so viel Redezeit wie einem Kanzler zuzubilligen? Muss man sich das anhören? Muss ich von meinen GEZ-Gebühren ihre rechten Parolen fortan in jeder Talkshow quasi mitfinanzieren, die sie zu bester Sendezeit in die Welt posaunen darf? Die sich in den Ohren der "Man wird ja nochmal was sagen dürfen"- und "Ja, aber…"-Bürger noch tiefer verfangen.
Vance spricht für einen Mann, seinen Chef, Donald Trump, der Rechtsradikale begnadigt und Demokraten "Feinde des Inneren" nennt. Alice Weidel könnte, wenn sie noch mehr Macht bekommt, den rechtsradikalsten unter allen AfDlern, Björn Höcke, mit einem Amt bekleiden und trotz antiqueerer Positionen weiterhin mit einer Frau zusammenleben. Wie schizophren das alles ist, brauche ich Ihnen als intelligente, aufmerksame ntv.de-Leserinnen und Leser nicht zu sagen. Aber auch, wenn Sie viele sind - sind Sie genug, um am Sonntag den Aufstand der Anständigen mitzumachen? Ich hoffe doch sehr. Wir sehen uns an der Wahlurne.
Quelle: ntv.de