Stimmen aus der Ostukraine "Wir bleiben hier und kämpfen bis zum Ende"
25.02.2022, 19:50 Uhr
Bei russischen Luftangriffen werden Häuser in Mariupol zerstört. Dennoch wollen einige Bewohner bleiben.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Seit Jahren schwelt der Konflikt zwischen Ukrainern und russischen Separatisten im Donbass. Nach dem Einmarsch von Putins Truppen fliehen viele aus der Region. Andere können nicht weg. Und manche wollen bleiben und kämpfen.
In der Nacht zum Donnerstag überfallen Truppen des russischen Präsidenten Wladimir Putin die Ukraine unter dem Vorwand, "die Bewohner des Donbass" vor einem "Völkermord" durch die ukrainischen Behörden zu schützen. In Kramatorsk und Mariupol, nahe den Separatistengebieten, schlagen Raketen und Bomben ein. Viele Menschen aus der Region fliehen Richtung Westen. Doch nicht alle können oder wollen weg. Wie sie den Beginn des Krieges erlebt haben, erzählen Bewohner des von Kiew kontrollierten Teils der Ostukraine der Internetzeitung "Meduza", eines der wenigen unabhängigen russischen Medien.
Die Industriestadt Kramatorsk gehörte zu den ersten Städten, die von russischen Truppen angegriffen wurden. "Ich bin um 04:57 Uhr durch eine Explosion aufgewacht", sagt Maxim, der seinen Nachnamen nicht nennen will, "Meduza". Die Leute in der Stadt wüssten nicht mehr, wen sie fürchten sollen. "Jeder, der eine Waffe trägt, ist eine potenzielle Gefahr, ganz gleich, welche Art von Uniform er trägt", sagt er. Er hat Angst, Fliehen ist für ihn aber keine Option. "Ich sehe keinen Sinn darin, irgendwohin zu fliehen, dort wartet niemand auf mich", sagt er. Und: "Ich werde versuchen, zu überleben."
Auch der Journalist Andrey Grin hat nicht vor, aus Kramatorsk zu fliehen. Er werde in der Stadt bleiben - bis zum Ende. "Ich bin auf meinem Land, warum sollte ich mich vor jemandem verstecken?", sagt er. Die Ukraine habe schließlich niemanden angegriffen. "Wladimir Putin hat den Krieg erklärt."
"Es hat keinen Sinn, wegzulaufen"
250 Kilometer weiter südlich wird auch Mariupol am frühen Donnerstagmorgen von Bombeneinschlägen erschüttert. Viktor Semenow ist sofort klar: Russland hat eine Militäroffensive gegen die Ukraine gestartet. Der Krieg habe aber schon 2014 begonnen, sagt er der Internetzeitung. "In Mariupol hören wir seit acht Jahren Explosionen im Ostteil der Stadt." Damals hätten sie Angst gehabt, heute nicht mehr. Die langen Schlangen vor den Supermärkten und Geldautomaten wertet Semenow daher nicht als Panik. Vielmehr wüssten die Ukrainer wie man sich selbst organisiert. "Wir haben uns auf dem Maidan selbst organisiert und die Diktatur gestürzt" sagt er.
Zudem sei der Angriff Russlands keine Überraschung für die Menschen im Donbass gewesen. Seit acht Jahren rechneten sie damit, so Semenow. "Die einzige Überraschung ist, dass dies ein echter Krieg ist", der das ganze Land betreffe. Seine Eltern habe er daher bereits vor Tagen ins Ausland gebracht. Wohin, verrät er nicht. Nur, dass sie in Sicherheit seien. Er selbst hingegen denke nicht an Flucht und gibt sich kämpferisch: "Wir werden hierbleiben und bis zum Ende kämpfen."
Im Gegensatz zu Semenow wollen andere Ukrainer den Donbass schnellstmöglich verlassen - können es aber nicht. Der Fluchtrucksack von Wladimir war längst gepackt, als eine Explosionswelle sein Haus in Nikolajewka erschütterte. Dann kam der Appell der Behörden: Alle Bürgerinnen und Bürger sollen bis auf Weiteres zu Hause bleiben. "Wir können nirgendwo hingehen und es hat keinen Sinn, wegzulaufen", sagt Wladimir "Meduza". "Wir werden bleiben und abwarten, bis der Konflikt gelöst ist." Wie alle Menschen in der Region werde er weiter arbeiten gehen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen - "und das wird unter jeder Regierung immer so bleiben".
Quelle: ntv.de, hny/uzh