Sondersitzung erzwungen AfD streitet um Corona-Kurs
06.04.2020, 16:49 Uhr
Weidel eckt mit ihrem Corona-Kurs in der AfD-Fraktion an.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Corona-Krise macht der AfD politisch zu schaffen. Die Partei lässt keinen klaren Kurs erkennen. Informationen aus dem Inneren der Fraktion zeigen: Es gibt Streit um die Haltung zu der Pandemie.
Gerade hat sich die Debatte um eine von Parteichef Jörg Meuthen vorgeschlagene Spaltung der AfD gelegt, da droht ein neuer Konflikt in der Partei aufzubrechen. Am morgigen Dienstag kommt die Bundestagsfraktion zu einer Sondersitzung zusammen. Die war von einem erheblichen Teil der Abgeordneten unter Androhung eines Fraktionsaustritts erzwungen worden, erfährt ntv.de aus Kreisen der Abgeordneten. Und die Versammlung hat offenbar erhebliches Konfliktpotenzial. "Es gibt einen massiven Protest gegen die Fraktionsführung unter Gauland, Weidel und Baumann", heißt es. Eine andere Quelle innerhalb der Fraktion bestätigt unserer Redaktion, dass die Stimmung tatsächlich schlecht ist.
Die Linie von Fraktionschefin Alice Weidel ist deutlich. Vergangene Woche sagte sie der dpa: "Wie in der Bevölkerung insgesamt, so gibt es auch bei uns Menschen, die meinen, wir hätten es hier mit einer normalen Grippewelle zu tun." Schon Anfang März hielt sie eine Rede, in der sie die Bundesregierung scharf dafür kritisierte und warnte, eine gefährliche Entwicklung zu verschlafen. Mit Verweis auf eben diese Rede wird oft argumentiert, die AfD habe den Ernst der Lage früh erkannt. Aber darüber, wie ernst die Lage tatsächlich ist, gibt es offenbar Meinungsverschiedenheiten.
Es geht um Loyalität
Erhebliche Teile der 89-köpfigen Fraktion, heißt es aus der Fraktion, teilten die Einschätzung Weidels nicht. Man dürfe nicht so tun, als sei Covid-19 vergleichbar mit Ebola. Die Krankheit sei gefährlich, aber eben nur für bestimmte Teile der Bevölkerung und außerdem würden jedes Jahr ja auch Tausende Menschen an einer Grippe oder anderen Krankheiten sterben, ist unter dem Vorbehalt der Anonymität zu hören. Bund und Länder hatten den weitgehenden Shutdown des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens damit begründet, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, um unnötige Todesfälle zu verhindern.
Weidel ist den Kritikern zufolge von der Linie der AfD-Gesundheitsexperten abgewichen. "Unser Arbeitskreis Gesundheit hat die Sache relativ rational gesehen", ist zu hören. Die Fraktionschefin habe dennoch eine "Brandrede" am 4. März halten wollen, "nach dem Motto, wir werden alle sterben". Es habe aber "deutlichen Protest" und "eiskaltes Schweigen" in der Fraktion gegeben. Dann habe sie die Rede abgeschwächt. Grundsätzlich, so die Vorwürfe, wollten Weidel und ihre Anhängerschaft den Kurs der Mediziner ganz gezielt nicht in die Öffentlichkeit tragen. "Das Machtnetzwerk Weidel bestimmt dieses Thema. Es geht dabei nicht um die fachliche Einschätzung der Mediziner in unserer Fraktion, sondern um Loyalität", ist zu hören.
"In dieser Staatskrise macht die AfD keine gute Figur"
Den Informationen zufolge haben der Parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann und Weidel auch durchsetzen wollen, dass die Fraktion bei der Debatte um das Corona-Hilfspaket der Bundesregierung den Maßnahmen zustimmt. Demnach gab es ein Hin und Her, ob man sich enthalten, zustimmen oder ablehnen wolle. Es ist die Rede von "geschickt geführten Einzelgesprächen". Letztlich haben sich die meisten Abgeordneten enthalten. Tatsächlich aber lehne die Mehrheit der Fraktion den Regierungskurs ab und wolle den Shutdown beenden. Dass Hardliner wie Gauland oder Jürgen Pohl in ihren Reden die Pläne der Bundesregierung sogar gelobt haben, sei ein "großes Problem". Man habe sich dadurch erheblich von der Parteibasis entfremdet, lautet der Vorwurf.
In den Umfragen erlebt die Partei ihren ersten wirklichen Abwärtstrend in ihrer rund siebenjährigen Geschichte. Auch andere Oppositionsparteien kommen derzeit nicht gut weg. Bei den Grünen sind die Verluste in den Prognosen zwar deutlich stärker. Doch für die AfD ist die Abwärtsbewegung eben neu, jahrelang ging es nur bergauf. Ob Eurokrise, Flüchtlingskrise oder Klima-Debatte - die AfD brauchte meist nicht lange, um eine klare Position einzunehmen. In der Corona-Krise sucht sie nun seit Wochen eine einheitliche Linie. "In dieser Staatskrise macht die AfD keine gute Figur", ist aus den Kreisen der Fraktion zu hören.
Das morgige Treffen, zu dem es gegen den ausdrücklichen Willen der Fraktionschefs Gauland und Weidel und entgegen allen Empfehlungen zum Infektionsschutz kommt, soll das ändern. Wie viele Abgeordnete daran teilnehmen, ist noch unklar. "Ich werde nur teilnehmen, wenn sichergestellt ist, dass ein ausreichend großer Raum gefunden wird", sagt ein AfD-Politiker aus Nordrhein-Westfalen. Weidel selbst sagte: "Sollte ich nicht vor Ort sein können, werde ich mich per Telefonschalte an der Diskussion beteiligen." Um eine Sondersitzung zu erzwingen, brauchten Weidels Gegner mindestens 25 Prozent der Stimmen. Dass das Treffen nun stattfindet, ist der Beleg dafür, dass mindestens ein Viertel der Fraktion offen gegen ihren Kurs ist.
Ob die Partei nach dem morgigen Tag einheitlicher dasteht, ist also ebenso unklar, wie die Frage, welche Strategie ihre Sympathisanten überhaupt bevorzugen: die Strategie all jener, die die Pandemie als sehr große Gefahr ansehen oder eben jene Position, die an die Haltung der Partei zum menschengemachten Klimawandel erinnert - "alles halb so wild". Zudem zeigt eine Forsa-Umfrage aus der vergangenen Woche, dass eine Mehrheit der Deutschen sogar noch strengere Maßnahmen befürworten würde. Der Streit könnte sich also noch verschärfen.
Quelle: ntv.de