"Skandalöses Verhalten" AfD versucht Putsch in Bundestagsausschuss
13.03.2024, 19:14 Uhr Artikel anhören
Der AfD-Obmann Kay-Uwe Ziegler setzt sich mit einem Schild in das Gremium. Darauf soll nach Teilnehmerangaben "Ausschussvorsitzender" stehen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Der Streit um die Besetzung von Chefposten in Bundestagsausschüssen durch die AfD dauert bereits mehr als zwei Jahre. Nun ist er eskaliert. Der Abgeordnete Kay-Uwe Ziegler versucht im Gesundheitsausschuss die Leitung an sich zu reißen und empört damit die Teilnehmer der anderen Parteien.
Die AfD-Fraktion hat im Gesundheitsausschuss des Bundestages einen Eklat provoziert. Nach übereinstimmender Darstellung von Abgeordneten der Koalition und Union nahm der AfD-Angeordnete Kay-Uwe Ziegler zu Beginn der Sitzung den Platz der amtierenden Ausschussvorsitzenden Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen ein und erhob Anspruch auf die Sitzungsleitung. Die anderen Abgeordneten hätten die Sitzung daraufhin boykottiert, bis Ziegler den Platz wieder aufgab. Die AfD-Fraktion wollte nach eigener Aussage mit der Aktion darauf aufmerksam machen, dass ihr der Vorsitz in dem Ausschuss zustehe.
Die anderen Fraktionen warfen der AfD einen Verstoß gegen parlamentarische Regeln vor. "Morgendliche Sitzblockaden sind der Würde des Parlaments nicht angemessen", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge. "Den Ausschussbetrieb im Deutschen Bundestag zu stören, hat mit demokratischen Gepflogenheiten nichts zu tun."
Der SPD-Abgeordnete Christos Pantazis sprach von einem "skandalösen Verhalten", das nicht hinnehmbar sei. Pantazis schilderte die Vorgänge in dem Ausschusssaal: Ziegler "tauschte das Schild der Vorsitzenden und weigerte sich trotz Aufforderung des Sekretariats, den Platz zu räumen", erklärte Pantazis. "Damit wollte er unrechtmäßig die Sitzungsleitung übernehmen."
Die Sitzung konnte den Angaben zufolge deshalb erst mit Verspätung beginnen. Mit der Aktion wollte Ziegler nach Angaben der AfD-Bundestagsfraktion den Anspruch der Partei auf den Ausschussvorsitz deutlich machen. Denn gemäß dem Verteilschlüssel im Bundestag steht theoretisch der AfD-Fraktion der Vorsitz in dem Gremium zu - allerdings wollen die anderen Fraktionen nicht zulassen, dass die AfD den Ausschussvorsitz antritt.
Der angekündigte Eklat
In einem auf Mittwoch datierten Schreiben an die Ausschussmitglieder hatten Ziegler und der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Martin Sichert, das Vorgehen vorab angekündigt und gerechtfertigt. Nach mehr als zwei Jahren habe sich die AfD-Fraktion entschlossen, "unseren Anspruch auf den Ausschussvorsitz zur heutigen Ausschusssitzung deutlicher als bisher zum Ausdruck zu bringen", schreiben sie.
Nach Rechtsauffassung der AfD-Fraktion sei Ziegler der rechtmäßige Vorsitzende des Ausschusses. "Zur heutigen Sitzung wird deshalb der durch unsere Fraktion bestimmte Vorsitzende, Kay-Uwe Ziegler, den Vorsitz übernehmen", kündigten die beiden AfD-Abgeordneten in dem Schreiben an die übrigen Ausschussmitglieder an. Nach Angaben der AfD-Fraktion gab Ziegler nach etwa 15 Minuten den Vorsitzendenplatz wieder frei, weil die Ausschussmitglieder der anderen Fraktionen die Sitzung boykottiert hätten.
Der AfD-Abgeordnete Sichert warf den anderen Fraktionen seinerseits nach der Sitzung undemokratisches Verhalten vor. Durch deren Verhalten werde es der AfD-Fraktion "verunmöglicht, die uns gemäß Geschäftsordnung des Bundestags und Vereinbarungen im Ältestenrat zustehenden Ausschussvorsitze mit Leben zu füllen", erklärte Sichert. Dies sei "ein Schlag ins Gesicht der Millionen AfD-Wähler, die ein Anrecht auf gleichwertige Repräsentation haben".
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, äußerte sich im Redaktionsnetzwerk Deutschland zu dem Vorgang. "Mit der amtsanmaßenden Besetzung des Ausschussvorsitzes im Gesundheitsausschuss wurde eine weitere Grenze überschritten, das ist versuchte Selbstermächtigung", kritisierte Mihalic. "Die Masken bei der AfD sind schon lange gefallen. Sie ist eine rechtsextreme Partei und bedient sich unglaublich undemokratischer Methoden." Bei den Vorgängen im Gesundheitsausschuss werde deutlich, dass die AfD es "mit ihren umstürzlerischen Plänen ernst meint".
Seit zwei Jahren schwelender Konflikt
Der Vorfall im Gesundheitsausschuss ist Teil eines seit mehr als zwei Jahren dauernden Streits, über den am kommenden Mittwoch (20. März) auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt. Die AfD-Fraktion hat vor dem höchsten deutschen Gericht geklagt. Sie war nach der vergangenen Bundestagswahl mit ihren Kandidaten für den Vorsitz in drei Bundestagsausschüssen - darunter der Gesundheitsausschuss - gescheitert.
Üblicherweise wird der Vorsitz in den Ausschüssen nach einem bestimmten Mechanismus vergeben: Die größte Fraktion darf sich zuerst einen Ausschuss aussuchen und dort den Chefposten besetzen, dann die zweitgrößte, die drittgrößte und so weiter. Das geht über mehrere Runden, bis die Vorsitze der Ausschüsse verteilt sind. Die AfD ging dabei leer aus. In den Ausschüssen, die sie betrafen, wurde über die Besetzung des Vorsitzes abgestimmt, wobei die AfD-Kandidaten aber durchfielen.
Kappert-Gonther sagte, der Gesundheitsausschuss habe vielfach geheime, demokratische Wahlen über den Vorsitz durchgeführt. Kein Kandidat der AfD habe eine Mehrheit bekommen. Die AfD-Fraktion sieht unter anderem ihr Recht auf Gleichbehandlung als Fraktion verletzt.
Quelle: ntv.de, gut/AFP/dpa