Politik

Scharfe Kritik an Saleh Aufstand gegen Berliner SPD-Fraktionschef

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und SPD-Fraktionschef Saleh auf einem Parteitag 2016.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und SPD-Fraktionschef Saleh auf einem Parteitag 2016.

(Foto: dpa)

Erst geht es gegen den Regierenden Bürgermeister, nun auch gegen den Fraktionschef: Die schlechten Wahlergebnisse der SPD in Berlin sorgen für Frust im Abgeordnetenhaus. In einem Brief gehen einige Abgeordneten nun ihren Chef Saleh scharf an.

Chaostage in der Berliner SPD: Angesichts des historisch schlechten Abschneidens bei der Bundestagswahl und eher mäßiger Erfolge der seit einem Jahr amtierenden rot-rot-grünen Koalition bricht sich der Frust jetzt Bahn. Erst legten zwei Abgeordnete aus den eigenen Reihen Partei- und Regierungschef Michael Müller öffentlich einen Rücktritt nahe. Nun probt ein gewichtiger Teil der SPD-Fraktion den Aufstand gegen ihren Vorsitzenden Raed Saleh - der wiederum als innerparteilicher Gegenspieler Müllers gilt.

Der Frontalangriff auf den 40-Jährigen, der der Fraktion seit 2011 vorsteht, ist bislang beispiellos. Bitter beklagen sich 14 der 38 SPD-Abgeordneten in einem fünfseitigen Brief an Saleh über Arbeit und Führungsstil ihres Vorsitzenden. Der sei für die Abgeordneten kaum zu erreichen, präsentiere seine Agenda eher in der Zeitung als in der Fraktionssitzung, lasse die eigenen Leute bei wichtigen politischen Weichenstellungen wie den Haushaltsverhandlungen "im Regen stehen".

Diskussionskultur und Willensbildung funktionierten in der Fraktion "kaum noch", es fehle an "Gemeinsinn, Zusammenhalt und Solidarität", heißt es weiter. "Das fühlt sich für viele so an, als wären wir eine Ansammlung von Einzelkämpferinnen und -kämpfern, die punktuell zusammenarbeiten. So können und werden wir nicht erfolgreich sein."

Lesereise statt Wahlkampf

Aber auch die Außenwirkung der größten Regierungsfraktion sei nicht gut, schreiben die Abgeordneten. Bei wichtigen Veranstaltungen wie auch Senatssitzungen sei sie regelmäßig "nicht durch Dich als unseren Vorsitzenden vertreten", heißt es an Saleh gerichtet. Weder mit dem SPD-Landesverband noch mit dem Senat funktioniere die Kooperation, häufig gebe es sogar ein Gegeneinander. Nötig sei mehr Abstimmung zwischen Fraktion und Partei, mehr Dialog mit den Bürgern.

Saleh habe den Brief als "sehr willkommen" bezeichnet, berichtet die "Berliner Zeitung". Die SPD befinde sich einer schwierigen Phase, sagte demnach der Fraktionschef. "Selbstverständlich werden wir auch in der Fraktion breit diskutieren, wie wir gemeinsam besser werden können."

Da hat sich viel Frust aufgestaut - zumal sich die Umsetzung vieler Vorhaben von Rot-Rot-Grün als zäh erweist. Hat der als Strippenzieher geltende Saleh das womöglich unterschätzt? Als die SPD im Frühjahr und Sommer Wahlkampf gegen den miesen Bundestrend machte und sich mit einem gegen die Regierung gerichteten Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafens Tegel konfrontiert sah, war er jedenfalls lange abgetaucht. Saleh schrieb gemeinsam mit seinem Pressesprecher ein Buch zum Thema Leitkultur und ging dann auf Lesereise.

Nach dem Wahldesaster am 24. September - die Berliner SPD landete mit 17,9 Prozent noch unter dem Bundesergebnis - wetterte er via Zeitung gegen die "Funktionäre" in der SPD, verlangte den Rücktritt der gesamten Bundesparteispitze - bis auf Martin Schulz. Das Fass zum Überlaufen aber brachte wohl sein Verhalten nach der jüngsten Rücktrittsforderung der SPD-Abgeordneten Dennis Buchner und Sven Kohlmeier an Partei- und Regierungschef Müller. "Viele machen sich Gedanken über den Zustand und die Zukunft unserer Partei, das wundert mich nicht", kommentierte er, statt sich demonstrativ hinter Müller zu stellen.

"Gute Miene zum bösen Spiel"

"Zu guter Führung gehört für uns auch, dass Du Dich unmittelbar und klar positionierst, wenn Kolleginnen und Kollegen den Rücktritt von Michael Müller fordern", schreiben nun die Abgeordneten dazu. "Wir haben lange gute Miene zum bösen Spiel gemacht", bringt es ein SPD-Parlamentarier im Gespräch auf den Punkt. "Doch nun hat Raed den Bogen ein stückweit überspannt."

Wie es für Saleh weitergeht, ist offen. An diesem Samstag steht ein SPD-Landesparteitag an. Eigentlich war erwartet worden, dass sich Müller dort verteidigen und darlegen muss, warum er neben dem Amt als Regierender Bürgermeister auch Landesparteichef bleiben will. Hintergrund sind Vorschläge, dieses Amt abzugeben. Doch nun dürfte der Aufstand gegen den Fraktionschef in den Fokus rücken, den eine Art Hassliebe mit Müller verbindet. Am kommenden Dienstag will sich die Fraktion aussprechen.

Ob Saleh womöglich abtreten muss, ist offen. In jedem Fall dürften die ihm oft unterstellten Ambitionen, Müller als Regierungschef abzulösen, einen Dämpfer erhalten haben. Und dem Lager um Müller wird das nicht unrecht sein. "Die SPD muss wieder Berlin verstehen", hatte Saleh jüngst erklärt. Ob der öffentlichen Scharmützel versucht im Moment allerdings eher Berlin, die SPD zu verstehen.

Quelle: ntv.de, Stefan Kruse, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen