Neues Buch schließt eine LückeAutor wagt sich an eine schwarze Geschichte Afrikas

Afrika ist die Wiege der Menschheit und nach Größe und Einwohnerzahl zweitgrößter Kontinent. Doch die Geschichte der mehr als 50 Staaten erzählen meist andere, nicht Menschen aus Afrika. Aman Levits "Black History" füllt diese Lücke - auch zum Vergnügen und Erkenntnisgewinn deutscher Leser.
Es war kurz nach dem schrecklichen Bürgerkrieg in Liberia. Durch die Straßen wankten zerlumpte Kindersoldaten, die noch vor wenigen Wochen im Auftrag brutaler Warlords wahllos Menschen getötet hatten. Die Kleinen waren so gut wie rund um die Uhr auf Drogen Sie lebten auf dem Zentralfriedhof der Hauptstadt Monrovia in alten Mausoleen, die sie leergeräumt und zu Schlafstätten umfunktioniert hatten.
Mit ihren Säulen und Kapitellen, mit den viktorianischen Blumenranken und Verzierungen glichen die Mausoleen kleinen Tempeln, wie es sie oft auf alten Friedhöfen in den USA gibt. Nur mitten in Afrika hatte ich mit so etwas nicht gerechnet. Über die Geschichte des westafrikanischen Landes wusste ich nur grob Bescheid - errichtet von befreiten Sklaven, die auf den Kontinent ihrer Vorfahren zurückgekehrt waren, gilt Liberia als der einzige afrikanische Staat, der niemals von Europäern kolonisiert worden ist, auch wenn das Staatsgebiet zuvor unter britischer Kontrolle war.
In welchem Ausmaß allerdings die Rückkehrer aus den USA ihre amerikanische Kultur mitgebracht hatten, verwunderte mich dann doch. Ich war neugierig und wollte mich tiefer in die Geschichte einlesen, was schwieriger war als erwartet. Buchläden gab es damals in Monrovia keine, auch keine Bibliotheken. Ein Entwicklungshelfer hatte mir verraten, dass es auf dem zentralen Markt einen Stand gebe, an dem ich eventuell Bücher zur Geschichte des Landes bekommen könnte. Ich ging hin und wurde fündig.
Über, nicht von Afrikanern
Es gab genau zwei Bände, von denen bereits die Buchrücken abfielen. "Liberia - History of the First African Republic" hieß das eine, bei dem anderen handelte es sich um eine Länderstudie. Doch zu meiner Überraschung stammte keines der Werke aus Afrika. Das eine war 1970 in New York, das andere zwei Jahre später in Washington verlegt worden. Dabei war Liberia nicht immer das rückständige, kriegsverheerte Land, das ich vor zwanzig Jahren erlebte. In den 1970er Jahren hatte sich dort der internationale Jetset getroffen und auf der Terrasse des Hotel Ducor, auf einem Hügel über der Stadt, am schicken Pool Champagner-Partys gefeiert.
Was mich als jungen Reporter überraschte, hat der schwedische Schriftsteller Amat Levin nun tiefergehend analysiert und aufgearbeitet. "Black History - die vergessene Geschichte Afrikas" heißt sein Buch, in dem er sich mit dem zentralen Dilemma der afrikanischen Geschichtsschreibung auseinandersetzt: Die Historie des Kontinents wurde in großen Zügen von außen geschrieben - im Mittelalter von Beobachtern aus dem Nahen Osten, von arabischen oder jüdischen Einwanderern, später in der Zeit des Kolonialismus von Europäern oder Amerikanern. Jedoch selten von den Hauptfiguren, nämlich von den Afrikanern selbst.
"Lange Zeit gab es nur wenige afrikanische Gesellschaften, die ihre eigene Geschichte aufschrieben", sagt Levin ntv.de. "Sie bevorzugten die mündliche Überlieferung." Damit benennt der Autor, der familiäre Wurzeln im westafrikanischen Gambia hat, einen der Gründe, weshalb es lange Zeit den Außenstehenden so leichtfiel, die große historische Erzählung des Kontinents zu lenken. Dabei hatten sich längst nicht alle afrikanischen Kulturen auf die mündliche Geschichtsschreibung verlassen. "Natürlich gab es auch Ausnahmen, etwa die Gesellschaften des heutigen Äthiopien oder Sudan", weiß Levin.
Wie bedeutsam gerade diese beiden Länder für die Entwicklung der gesamten Menschheit sind, beschreibt Levin eindrücklich. Auf dem Gebiet des heutigen Sudan befand sich einst das nubische Reich. Auch dort gibt es Pyramiden, kleinere und kantigere als in Gizeh, aber nicht weniger beeindruckende. Vor viertausend Jahren stand das südlicher gelegene Land in einem Konkurrenzverhältnis zu dem mächtigen Nachbarn im Norden, den Ägyptern. Beide Kulturen haben einander bekämpft, aber auch stark beeinflusst. Für kurze Perioden führten nubische Herrscher sogar das ägyptische Reich an. Im Alten Museum in Berlin lässt sich die enge Verzahnung der Kulturen anschaulich nachvollziehen - auf ägyptischen Reliefs tauchen immer wieder auch schwarzhäutige Personen auf.
Neuentdeckung mündlicher Quellen
In Äthiopien wiederum befinden sich noch heute einige der ältesten christlichen Kirchen. Es gibt sogar das Gerücht, dass die mythische Bundeslade, die "Indiana Jones"-Fans ein Begriff sein dürfte, aus Israel hierhin gebracht wurde und bis heute in einem Kloster in der Nähe der Stadt Aksum streng bewacht verwahrt wird. Auch davon berichtet Amat Levin kurzweilig in seinem Buch. "Wir müssen verstehen, wie riesig Afrika ist, und wie unglaublich vielseitig seine Menschen, Kulturen und Gesellschaften sind", so der Autor im ntv-Interview. Dazu will er einen Beitrag leisten, auch indem er die Aufgabe viel unbefangener angeht als die meisten Wissenschaftler.
"Ich bin Journalist, kein Historiker", sagt Levin. "Deshalb habe ich mich vielmehr als eine Brücke zwischen der akademischen Welt mit der unschätzbaren Arbeit der Historiker und der breiten Öffentlichkeit verstanden." Dieses Verständnis macht sein Buch so unterhaltsam und lesbar. In "Black History" zeichnet der Autor schlaglichtartig größere und kleinere Kapitel der afrikanischen Geschichte nach. Und er gibt einen Eindruck davon, wie sehr viel reicher die Vergangenheit des Kontinents ist, als es die rein europäischen oder orientalischen Quellen oftmals vermuten ließen.
Inzwischen wird die mündliche Geschichtsschreibung auch von der akademischen Welt aufgegriffen und für die eigenen Forschungen genutzt. "Das hat sich während der vergangenen sechzig Jahre geändert", so Levin. "Die Forscher haben nun Wege gefunden, wie sie die mündlichen Überlieferungen mit den schriftlichen Zeugnissen verbinden und auch vergleichen können." Mit beeindruckenden Resultaten, gerade auch von jungen afrikanischen Historikern, auf die sich der schwedisch-gambische Autor ebenfalls beruft.
Deutschland wirkte kurz, aber "brutal"
Gerade auch für deutsche Leser dürfte sein Buch spannend sein. Aus den verschiedensten Gründen waren die deutschen Staaten und Reiche nicht in dem Maße in Afrika involviert, wie ihre europäischen Nachbarn. Doch in den wenigen Jahren ihrer Kolonialherrschaft haben die Deutschen tiefe Spuren hinterlassen. "Deutschlands Auftritt in der afrikanischen Geschichte ist kürzer als der von Großbritannien, Frankreich oder Portugal", sagt Levin, "aber er war besonders brutal."
An erster Stelle stehe hier der Völkermord an den Herero und Nama zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der teils sogar als eine Art Blaupause für spätere Genozide bis hin zum Holocaust angeführt werde. "Aber es gibt weitere Beispiele, etwa die Zwangsarbeit in Kamerun unter deutscher Herrschaft bis hin zur Berlin-Konferenz, welche die Grundlage für den europäischen Imperialismus in Afrika legte."
Gerade auch hierfür liefert "Black History" einen wertvollen Beitrag, für das Verständnis, wie nah sich doch oft die verschiedenen Kontinente und Länder stehen. "Mein Eindruck ist, dass immer mehr Menschen wahrnehmen, in welchem Maße afrikanische Geschichte ein Teil der Menschheitsgeschichte ist und inwieweit diese auch geholfen hat, die moderne Geschichte zu formen." Ein Punkt ist Amat Levin aber noch wichtig: "Bei einer Bevölkerung von 1,5 Milliarden Menschen ist es natürlich unmöglich zu sagen, wie die 'afrikanische' Perspektive aussieht." Genau das wird nach der Lektüre des Buches besonders klar.

