Politik

Türkischer Spion vor Gericht Bei Interview Mord?

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(Foto: imago/CHROMORANGE)

Dass türkische und kurdische Aktivisten auch in Deutschland vom türkischen Geheimdienst observiert werden, ist kein Geheimnis. In Hamburg steht nun ein mutmaßlicher Spion vor Gericht, der offenbar noch ganz andere Befehle hatte.

Der türkische Geheimdienst MIT ist ein recht umtriebiger Verein: Seine Agenten sind nicht nur im eigenen Land aktiv, sondern haben auch die türkische Community in Deutschland im Visier. Rund 6000 MIT-Spione sollen nach Schätzungen von Sicherheitspolitikern in der Bundesrepublik aktiv sein - stimmt diese Zahl auch nur annähernd, käme ein Agent auf 450 Deutschtürken und -kurden. Die Ziele und Methoden des Geheimdienstes sind dabei auch ohne eine direkte Einmischung mehr als fragwürdig, wie zuletzt die Liste mit angeblichen Anhängern der Gülen-Bewegung zeigte, die dem BND übergeben wurde. Doch der MIT scheint sich schon längst nicht mehr auf das bloße Bespitzeln zu beschränken, wie der Fall von Mehmet Fatih S. zeigt, der ab heute vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg verhandelt wird.

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Steckt der türkische Präsident hinter dem aggressiven Vorgehen seiner Agenten im Ausland?

(Foto: picture alliance / Uncredited/Pr)

Der mutmaßliche Spion muss sich wegen "geheimdienstlicher Agententätigkeit" vor Gericht verantworten: S. soll zwischen September 2015 und Dezember 2016 sowohl kurdische Einrichtungen als auch einzelne Personen ausgekundschaftet und dafür 30.000 Euro erhalten haben. Fünf Jahre Haft stehen darauf im Höchstfall - viel zu wenig, findet Yüksel Koc: "S. wollte mich umbringen", sagt der ehemalige Bremer Kurdenführer. Koc ist mit seiner Meinung nicht allein, tatsächlich spricht einiges dafür, dass es bei einer reinen Spionagetätigkeit von S. auf Dauer wohl nicht geblieben wäre.

Ein Leben auf der Flucht

"Wenn Yüksel sterben soll, müssen wir über den Zeitpunkt der Aktion und deren Ablauf reden. Am besten, wir schlagen während einer Demonstration zu...", heißt es offenbar in einer handschriftlichen Notiz, die in S. Wohnung gefunden wurde. Ausgerechnet die Frau des mutmaßlichen Spions warnte Koc im September 2016 vor den Machenschaften ihres Mannes und übergab dem kurdischen Aktivisten einen ganzen Stapel ähnlicher Notizen. Dass es wohl nicht nur um einen besonders perfiden Rosenkrieg geht, zeigt die Reaktion der Behörden, denen sich die Frau später anvertraut: Die Kurdin steht mittlerweile unter Polizeischutz und gilt bei dem anstehenden Prozess gegen S. als wichtigste Zeugin.

Für Koc hat sich die Situation mit der Anklage von S. nur marginal verbessert: "Du hast es nur der Nutte zu verdanken, dass du nochmal davongekommen bist", zitiert der Bremer aus einer SMS, die ihm ein Unbekannter von einer ukrainischen Nummer geschickt hat. Seit der Festnahme des mutmaßlichen Spions, der jahrelang unerkannt für einen kurdischen Fernsehsender als Journalist arbeitete und auch Koc zweimal interviewte, führt der ehemalige Kurdenführer deshalb ein Leben auf der Flucht: Selten bleibt Koc länger als drei Tage an einem Ort, seine Heimatstadt Bremen, in der er bis Dezember vergangenen Jahres gearbeitet und gelebt hat, meidet er - aus Furcht, doch noch Opfer eines Anschlags zu werden.

"Kurdische und türkische Aktivisten sind in ganz Europa in physischer Gefahr", schließt Jan van Aken aus dem Fall Koc und fügt hinzu: "Wir unterschätzen immer wieder, wie weit der Arm von Erdogan reicht." Der außenpolitische Sprecher der Linken erhofft sich von dem Prozess gegen S. eine Kehrtwende im Umgang mit türkischen Spionen: "Woher kamen die Namen der 52 Deutschen, die in türkischer Haft sitzen? Natürlich vom türkischen Geheimdienst in Deutschland. Deshalb darf es diesmal nicht bei einer Geldstrafe bleiben." Ob der Fall tatsächlich die von van Aken erhoffte Wirkung entfaltet und dem türkischen Geheimdienst seine Grenzen aufzeigen kann, wird nicht nur Yüksel Koc mit Spannung erwarten.

Quelle: ntv.de

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