Politik

Trump macht DruckBeim Thema Wahlen kann Selenskyj sich ganz entspannt zurücklehnen

10.12.2025, 16:45 Uhr 5UbL9d25-400x400Von Denis Trubetskoy, Kiew
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Trump und Selenskyj im Oktober bei einem Besuch des ukrainischen Präsidenten im Weißen Haus. (Foto: picture alliance / Captital Pictures)

Mit der Forderung nach Wahlen in der Ukraine folgt US-Präsident Trump einem russischen Narrativ. Aber dem ukrainischen Präsidenten bringt diese Forderung aus den USA ausnahmsweise mal keine neuen Probleme.

Dass Donald Trump seinen ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj nicht mag, war schon vor der berühmt-berüchtigten Szene im Weißen Haus am 28. Februar kein Geheimnis. Dabei macht der US-Präsident bei seinem Versuch, die Ukraine unter Druck zu setzen, um irgendeinen Frieden mit Russland zu bekommen, erstaunlich viel, um Selenskyj innenpolitisch zu stärken. Der damalige Eklat im Oval Office trieb die heimischen Umfragewerte des ukrainischen Präsidenten in die Höhe. Die wochenlangen Diskussionen um den "Friedensplan" Washingtons konnten die Folgen des jüngsten Korruptionsskandals in Kiew für Selenskyj abmildern.

Die neueste Forderung Trumps nach Neuwahlen passt auf den ersten Blick nicht in diese Reihe. Erstens ist es ohnehin eine offene Frage, wie man Wahlen im Krieg durchführen soll, während das ganze Territorium der Ukraine jederzeit von russischen Drohnen und Raketen erreicht werden kann. Sichere Wahlen sind nicht vorstellbar, während selbst in Kiew eine russische Rakete einschlagen kann, noch bevor der Luftalarm losgegangen ist - von front- und grenznahen Großstädten wie Charkiw, Cherson oder Saporischschja ganz zu schweigen.

Zweitens bedeutet Wahlkampf im Krieg die Zunahme der innenpolitischen Instabilität, von der am Ende nur Russland profitieren würde. Das sehen auch die meisten Gegner Selenskyjs in der Ukraine so. Sie fordern zwar die Beteiligung an einer "Regierung der nationalen Einheit", lehnen Wahlen jedoch ab.

Sicherheit der Wahlen wäre kaum zu gewährleisten

Den ukrainischen Präsidenten kostet es allerdings recht wenig, seine grundsätzliche Bereitschaft zu Wahlen zu bekunden - zumindest im Vergleich zu anderen Zugeständnissen, die Selenskyj im schwierigen Umgang mit der aktuellen US-Administration machen muss. Mit denen will er verhindern, dass diese zumindest den Verkauf von Waffen und Munition sowie die Weitergabe von Aufklärungsdaten an Kiew einstellt.

Selenskyj weiß bestens, dass die Sicherheitsfragen mit Blick auf Wahlen im Krieg unlösbar sind. Zumal es selbst im Falle einer Art elektronischen Wahl, in die die ukrainische Bevölkerung kaum Vertrauen hätte, unklar bliebe, wie genau beispielsweise Soldaten an der Front oder die Millionen von Flüchtlingen abstimmen sollten. Die Diskussion dazu gibt es nämlich nicht erst seit gestern.

Selenskyj kann sich der Frage also ganz ruhig stellen und sagen: Ich bin bereit, Wahlen abhalten zu lassen; die US-Amerikaner und die Europäer müssten aber bei der Gewährleistung der Sicherheit von solchen Wahlen aushelfen. Diese Bitte des Präsidenten ist mehr als legitim - umsetzbar ist sie jedoch kaum bis gar nicht. Selenskyj weiß natürlich auch, dass für die Austragung von Wahlen eine Verfassungsänderung notwendig wäre. Denn eigentlich sind Parlamentswahlen unmöglich: Die ukrainische Verfassung sieht indirekt, aber doch deutlich ein Verbot solcher Wahlen während des Kriegsrechts vor. Eine verfassungsändernde Mehrheit in der Werchowna Rada zu finden, dürfte höchst schwierig sein. Um eine Präsidentschaftswahl auszurichten, müsste lediglich die Wahlgesetzgebung geändert werden, wofür eine einfache Mehrheit ausreichend wäre. Das wäre kein Selbstläufer, aber machbar.

Nach einem Waffenstillstand hätte Selenskyj stärkere Konkurrenten

Eine Austragung von Präsidentschaftswahlen im Krieg böte Selenskyj darüber hinaus seine wahrscheinlich beste Chance, wiedergewählt zu werden - also eher das Gegenteil von dem, was Trump erreichen möchte. Wie Putin hat Trump die Desinformation verbreitet, Selenskyj sei nicht demokratisch legitimiert, weil seine Amtszeit regulär 2024 zu Ende gegangen sei. Denn Selenskyjs Vertrauenswerte sind weiterhin hoch, im Schnitt lagen sie in diesem Jahr bei rund 60 Prozent, schaut man auf die ständigen Umfragen des Kiewer Internationalen Soziologie-Instituts (KIIS). Für die Zeit nach Bekanntwerden der Operation "Midas" des Nationalen Antikorruptionsbüros NABU gibt es noch keine verlässlichen Studien. In Kiew heißt es allerdings, dass der erwartete Negativtrend durch die Entlassung des umstrittenen Stabschefs Andrij Jermak gestoppt werden konnte.

Zur Realität gehört allerdings auch: Nur 25 Prozent würden Selenskyj nach dem Krieg noch gerne auf einer Top-Position in der Politik sehen. Das ist typisch für ein Land, in dem bisher nur ein Präsident wiedergewählt wurde. Der Trend der Präsidentschaftsumfragen, die im Krieg überwiegend nichtöffentlich sind, ist auch deutlich: Für Selenskyj wäre es kein Problem, in die Stichwahl zu kommen. Diese würde er gegen einen neuen, beliebten Kandidaten jedoch vermutlich verlieren. Für die Rolle eines solchen Kandidaten kämen theoretisch der ehemalige Armeechef und heutige Botschafter in London, Walerij Saluschnyj, sowie der Chef des Militärgeheimdienstes HUR, Kyrylo Budanow, in Frage.

Beide sind allerdings im Staatsdienst - und eine Kandidatur gegen den Armee-Oberbefehlshaber Selenskyj während eines Krieges würde wohl selbst bei einem Teil ihrer potenziellen Wählerschaft komisch ankommen. Vor allem wäre sie ein klares Risiko für deren politische Zukunft. Denn dann wäre es nicht Selenskyj, sondern sein Nachfolger, der irgendwann einen unliebsamen Waffenstillstandsdeal mit Russland unterschreiben müsste.

Bei einer Wahl nach einer Waffenruhe hätte Selenskyj dies schon hinter sich - und damit schlechtere Karten und vermutlich stärkere Konkurrenten. Allein aufgrund der dennoch bestehenden Gefahren einer innenpolitischen Instabilität wäre die Ukraine gut beraten, die Wahlen vorerst nicht auszutragen - auch abgesehen von den offensichtlichen Sicherheitsfragen. Präsident Selenskyj kann sich aber bei diesem Thema ausnahmsweise mal zurücklehnen.

Quelle: ntv.de