Gaza vollständig besetzen Netanjahu: "Die Würfel sind gefallen"
05.08.2025, 07:49 Uhr Artikel anhören
Israelische Soldaten beobachten den nördlichen Gazastreifen vom Süden Israels aus.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Monatelang laufen in Doha Verhandlungen um einen Waffenstillstand in Gaza und um ein Ende der Geiselnahme. Doch zuletzt sorgen Gräuel-Videos der Hamas von den Geiseln für Entsetzen. Jetzt scheint Israels Regierungschef Netanjahu Berichten zufolge bei seinen Zielen voll auf die Armee zu setzen.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erwägt einem Medienbericht zufolge eine Ausweitung der Offensive im Gazastreifen und die Einnahme des gesamten Palästinensergebiets. Der TV-Sender Channel 12 beruft sich dabei auf einen Insider aus dem Büro Netanjahus. Der Regierungschef werde am Dienstag sein Kabinett einberufen, um eine Entscheidung in dieser Angelegenheit zu treffen, berichten israelische Medien. Eine Stellungnahme der israelischen Regierung liegt bisher nicht vor.
Netanjahu habe sich für die vollständige Besetzung des Gazastreifens entschieden, einschließlich Operationen in Gebieten, in denen Geiseln festgehalten werden, berichtet zudem die israelische Tageszeitung "The Jerusalem Post" unter Verweis auf eine Quelle im Büro des Regierungschefs.
Auch das Nachrichtenportal "ynetnews.com" zitierte einen Offiziellen, der Netanjahu nahe stehen soll, mit den Worten: "Die Würfel sind gefallen - wir beabsichtigen, den Gazastreifen vollständig zu besetzen."
Die israelischen Streitkräfte kontrollieren derzeit rund 75 Prozent der Fläche des Küstengebiets, das in etwa so groß ist wie München. Die Geiseln werden in jenen Teilen vermutet, in die das israelische Militär bislang nicht vorgedrungen ist und die weiterhin von der Hamas kontrolliert werden.
"Kämpfen, um unsere Kriegsziele zu erreichen"
Zuvor hatte Netanjahu mitgeteilt, der Armee im Verlauf der Woche neue Befehle für den Krieg gegen die radikalislamische Hamas im Gazastreifen geben zu wollen. "Ich werde in dieser Woche das Kabinett einberufen, um der israelischen Armee Anweisungen zu erteilen, wie sie unsere drei Kriegsziele erreichen soll", sagte Netanjahu bei einer Kabinettssitzung.
"Wir befinden uns inmitten eines intensiven Kriegs, in dem wir sehr bedeutende, historische Erfolge erzielt haben", sagte der Ministerpräsident weiter. "Wir müssen weiter vereint bleiben und gemeinsam kämpfen, um unsere Kriegsziele zu erreichen: den Feind zu besiegen, unsere Geiseln zu befreien und sicherzustellen, dass der Gazastreifen keine Bedrohung mehr für Israel darstellt."
Hamas-Gräuel-Videos sorgen für Entsetzen
Zuvor hatten Hunderte israelische Ex-Sicherheitsbeamte, darunter ehemalige Geheimdienstchefs, US-Präsident Donald Trump aufgerufen, den Druck auf Netanjahu für eine Beendigung des Gazakriegs zu erhöhen. "Es ist unsere professionelle Beurteilung, dass die Hamas keine strategische Gefahr mehr für Israel darstellt", hieß es in dem Brief. Die 550 Unterzeichner forderten Trump auf, Netanjahu zu einem Waffenstillstand zu bewegen.
Zuletzt hatten von der Hamas verbreitete Propaganda-Videos mit zwei ausgehungerten israelischen Geiseln für Entsetzen und Empörung gesorgt. Eines der Videos zeigt den abgemagerten 24-jährigen Evyatar David, wie er sich in einem engen Tunnel sein eigenes Grab zu schaufeln scheint. Ein anderes Video zeigt, wie der Deutsch-Israeli Rom Braslavski sich Nachrichtenvideos über die Hungersnot der Palästinenser im Gazastreifen anschauen muss.
Bundeskanzler Friedrich Merz zeigte sich schockiert über die Aufnahmen. "Ich bin entsetzt über die Bilder von Evyatar David und Rom Braslavski", sagte Merz der "Bild"-Zeitung. "Die Hamas quält die Geiseln, terrorisiert Israel und benutzt die eigene Bevölkerung im Gazastreifen als Schutzschild." Gerade deshalb führe zunächst kein Weg an einem verhandelten Waffenstillstand vorbei, betonte Merz. "Die Freilassung aller Geiseln ist dafür zwingende Voraussetzung." Die Hamas dürfe dann aber "in der Zukunft von Gaza keine Rolle spielen".
"Abscheuliche Grausamkeit, grenzenlose Unmenschlichkeit"
Auch Außenminister Johann Wadephul, der am Freitag von einer Reise nach Israel und in die Palästinensergebiete zurückgekehrt war, äußerte sich schockiert. Die Clips zeigten "die ganze Niedertracht ihrer Peiniger", sagte Wadephul zur "Bild"-Zeitung. Zuvor hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sich aufgebracht geäußert: "Abscheuliche Grausamkeit, grenzenlose Unmenschlichkeit: Das ist es, was die Hamas verkörpert", schrieb er auf X. Die Lösung sei "die der beiden Staaten Israel und Palästina, die friedlich nebeneinander leben".
Nach israelischer Einschätzung befinden sich derzeit noch 50 Geiseln in der Gewalt der Hamas, von denen noch 20 am Leben sein sollen. Monatelange indirekte Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas, um eine Waffenruhe herbeizuführen und die letzten Geiseln freizubekommen, brachten kein Ergebnis.
Das israelische Militär hat sich in der Vergangenheit gegen eine Komplett-Besatzung des Gazastreifens ausgesprochen. Die Beseitigung sämtlicher Hamas-Tunnel und -Bunker könne Jahre dauern, beschrieb die "Times of Israel" die Bedenken der Armeeführung. Auch könnten demnach Geiseln in Gefahr geraten und getötet werden, sollten israelische Truppen den Orten ihrer Gefangenschaft zu nahe kommen.
Laut "The Jerusalem Post" hat das Büro des Premierministers dem Generalstabschef der IDF, Generalleutnant Eyal Zamir, nun die folgende Botschaft übermittelt: "Wenn Ihnen das nicht passt, sollten Sie zurücktreten."
Quelle: ntv.de, gut/rts/dpa/AFP