Dicht besiedelte Konfliktzone Warum der Gazastreifen einem Pulverfass gleicht
09.10.2023, 14:16 Uhr Artikel anhören
Dunkle Rauchschwaden über dem israelischen Grenzgebiet: Der Gazastreifen (hier in einer Falschfarbenaufnahme: Vegetation erscheint in Rot) am Tag des Großangriffs.
(Foto: © ESA / Sentinel Hub)
Eingeklemmt zwischen der Negev-Wüste und dem Mittelmeer erstreckt sich im Südwesten Israels ein schmales, eng bebautes Küstengebiet: Abgeriegelt von der Außenwelt leben hier 2,3 Millionen Menschen unter der Herrschaft radikaler Islamisten. Wie groß ist der Gazastreifen?
Die Existenz des Gazastreifens ist eng mit der Geschichte Israels und der Entwicklung des Nahostkonflikts verbunden. Nach der Staatsgründung Israels im Jahr 1948, dem gescheiterten UN-Teilungsplan für Palästina und dem nachfolgenden Überfall der arabischen Nachbarstaaten blieben für den palästinensischen Teil der Bevölkerung in der Region vornehmlich zwei Siedlungsgebiete, das Westjordanland mit Ortschaften wie Ramallah und Hebron im Osten, sowie der schmale Küstenstreifen am Mittelmeer, benannt nach der dort gelegenen Palästinensermetropole Gaza.
Der Gazastreifen - Ausgangsort der jüngsten Angriffe auf Israel - ist entlang der Küstenlinie rund 40 Kilometer lang und an der schmalsten Stelle knapp sechs Kilometer breit. In dem dicht bebauten Gelände an der kargen Küste leben auf engstem Raum rund 2,3 Millionen Menschen, teils in jahrzehntealten Flüchtlingslagern, teils in von mehrstöckigen Betonbauten geprägten Städten wie Rafah, Khan Yunis und Gaza-Stadt.
Mit einer Fläche von 360 Quadratkilometern ist der Gazastreifen nicht mal halb so groß wie Hamburg. Das Gebiet war zuvor schon nach allen Seiten nahezu komplett abgeriegelt. Die Einreise auf dem Seeweg war nicht möglich. Israelische Sperranlagen ziehen sich von der Küste über eine Länge von rund 60 Kilometern durchs hügelige Hinterland. Es gibt nur wenige reguläre Grenzübergänge. Der Grenzverlauf mit Sicherungsstreifen, Sperrzaun, Stacheldraht und Beobachtungsposten ist selbst auf Aufnahmen aus dem All noch gut zu erkennen.
Im Südwesten grenzt der Gazastreifen auf einer Breite von knapp 13 Kilometern an Ägypten und die unwirtlichen Wüstenzonen der Halbinsel Sinai. Der wichtigste Grenzübergang bei Rafah wird von den ägyptischen Behörden strikt kontrolliert. Lebensmittel, Ersatzteile und Güter des täglichen Bedarfs erreichen den Gazastreifen per Lkw. Auf jedem freien Stück Land wird Obst und Gemüse angebaut.

Blick aus dem All: Der Gazastreifen am Tag des Großangriffs gegen Mittag des 7. Oktober (Verlauf des Grenzzauns hervorgehoben).
(Foto: ntv.de Daten / ESA, Sentinel Hub)
Mit der Machtübernahme der radikalislamistischen Hamas ab 2006 verschärfte sich die Lage: Der Gazastreifen ist seitdem praktisch zur israelischen Seite hin komplett abgeriegelt, die Bevölkerung isoliert. Die israelische Armee versucht, den florierenden Schmuggel von Waffen und Sprengstoff durch die gezielte Zerstörung von provisorischen Tunnelbauten zu unterbinden.
Hamas-Milizen nutzten den Gazastreifen schon vor der überfallartigen Attacke vom vergangenen Samstag als Rückzugsraum und Deckung - und mehrfach bereits für vereinzelte Angriffe mit Salven ungelenkter Raketen, die aus dem Gazastreifen in Richtung Israel abgefeuert werden.
Seit Juni 2007 ist der Zugang zum Gazastreifen von israelischer Seite aus über den Grenzübergang Erez stark eingeschränkt. "Der Personenverkehr von und nach Israel wird nur bei Vorliegen einer israelischen Sondergenehmigung erlaubt", beschrieb das Auswärtige Amt die Situation vor Beginn der jüngsten Eskalation. "Die Versorgungslage im Gazastreifen ist schwierig", hieß es weiter.
"Die öffentliche Stromversorgung ist auf wenige Stunden am Tag beschränkt. Das Grundwasser gilt als belastet. Treibstoffmangel wirkt sich auch auf andere öffentliche Dienstleistungen, wie Kläranlagen, aus." Die öffentliche Infrastruktur, wie Straßen, Strom- und Abwasserversorgung wurde durch mehrere Gewaltausbrüche und Konflikte der vergangenen Jahre beschädigt.
Der jüngste Großangriff der Hamas-Islamisten erschwert die humanitäre Situation im Gazastreifen zusätzlich: Die radikalislamische Bewegung spricht Israel das Existenzrecht ab und will kompromisslos "jeden Quadratmeter Palästinas" mit militärischer Gewalt zurückerobern. Die Hamas-Bewegung steht seit jeher dem iranischen Regime und dem Gedanken eines strikt religiösen Gottesstaats nahe. Der brutale Überfall auf grenznahe israelische Siedlungen droht eine neue Spirale der Gewalt auszulösen. Schon wenige Stunden nach Beginn der Angriffe reagierte das israelische Militär mit massiven Luftschlägen gegen Hamas-Ziele im Gazastreifen.
Der neuerliche Ausbruch schwerer Kampfhandlungen wirkt sich unmittelbar auf die Bevölkerung im Gazastreifen aus: Die palästinensischen Behörden sprechen von mindestens 558 Toten und mehr als 2800 Verletzten. Insgesamt 123.538 der 2,3 Millionen Einwohner hätten ihre Häuser "aus Angst, aus Sorge um ihren Schutz und wegen der Zerstörung ihrer Häuser" verlassen müssen, erklärte das UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) zu Wochenbeginn. Mehr als 73.000 Flüchtlinge wurden demnach kurzfristig in Schulen untergebracht. Israel befindet sich im Kriegszustand, das israelische Militär bringt Panzer, Geschütze und Zehntausende Soldaten entlang der Grenzen in Stellung.
Quelle: ntv.de