Grüner Hoffnungsträger trifft Ex-Guru Bloß nicht über die Spitzenkandidatur reden!
11.07.2015, 06:31 Uhr
Joschka Fischer (l.) und Robert Habeck sind sich in vielerlei Hinsicht einig. Klare Unterschiede gibt es unter anderem beim Freihandelsabkommen TTIP. Fischer ist ein vehementer Verfechter eines Deals mit den USA.
(Foto: picture alliance / dpa)
Zwei Grüne treffen sich, um über die Energiewende zu sprechen. Vollkommen normal, oder? Nicht, wenn es sich um Joschka Fischer und Robert Habeck handelt. Ihr gemeinsamer Auftritt befeuert den parteiinternen Kampf um die Spitzenkandidatur. Angeblich völlig unbeabsichtigt.
Auf keinen Fall. Auf keinen Fall soll der Eindruck entstehen, dass dieser Termin etwas mit seiner Spitzenkandidatur zu tun hat. Robert Habeck, grüner Energiewendeminister in Schleswig-Holstein, spricht deshalb gleich zu Beginn vom langen Vorlauf dieser Veranstaltung. Schon vor einem Jahr, weit vor seiner offiziellen Kandidatur also, sei alles festgezurrt worden. Joschka Fischer, Außenminister a.D., unterstützt ihn bei seinem Dementi so gut er kann. Journalistenfragen weicht er aus. Nach dem x-ten Versuch, doch noch etwas aus ihm herauszukriegen, schüttelt er den Kopf. "Ihr kriegt mich nicht dazu", sagt er.
Was ist da los? Die beiden grünen Realos Habeck und Fischer treten gemeinsam in Kiel auf. "Energieaußenpolitik- die Energiewende als Friedensbringer?", heißt die Veranstaltung. Das klingt nicht ungewöhnlich. Doch für die Grünen hat der gemeinsame Auftritt Brisanz. Ein führender Realo aus der Bundestagsfraktion nennt die Veranstaltung vorsichtig "interessant" – und das auch nur vor vorgehaltener Hand.
Habeck hat im Mai angekündigt, dass er die Grünen durch den Bundestagswahlkampf 2017 führen will. Dass sich nur ein paar Wochen später der frühere Obergrüne Fischer mit ihm trifft, wirkt wie eine Unterstützungsmaßnahme. Fischer und Habeck setzen zwar alles daran, das Thema Spitzenkandidatur zu meiden. Das Dilemma bloß nicht weiter befeuern, so die Devise. Doch die Konsequenz, mit der sie das tun, macht umso deutlicher, dass den Grünen eine veritable Kampfkandidatur um das prestigeträchtige Amt bevorsteht.
"Keiner soll auf der Strecke bleiben"
Nicht nur Habeck, sondern auch Parteichef Cem Özdemir gelten als Anwärter auf das Amt. Özdemir, dem man ganz nebenbei bisher den Segen Fischers nachsagte, hat zwar noch nicht öffentlich erklärt, dass er Spitzenkandidat werden will, es rechnen aber alle in der Partei damit. Und als böte diese Konstellation nicht schon Sprengstoff genug, gilt auch die amtierende Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt als sichere Kandidatin. An einer Urwahl führt wohl kein Weg vorbei.
Aus dem Realo-Flügel heißt es zwar: "Keiner soll auf der Strecke bleiben." Doch wie soll das in dieser Lage gehen? " Die Situation ist verkorkst. Und die grünen Proporzregeln machen sie noch verkorkster. Die Partei setzt auch im Bundestagswahlkampf traditionell auf eine Doppelspitze. Dabei gibt es stets einen Vertreter des linken und einen des rechten Flügels. Zudem muss ein Teil der Doppelspitze weiblich, der andere männlich sein.
"Bei einer Urwahl würden die Grünen-Mitglieder wohl eher für jemanden wie Özdemir oder Habeck stimmen", sagt ein einflussreicher Realo aus der Bundestagsfraktion n-tv.de. Göring-Eckardt macht mit ihrem Partner an der Fraktionsspitze, dem Linken Anton Hofreiter, derzeit schließlich keine besonders gute Figur.
Trotzdem ist nicht klar, ob es wirklich einer der beiden wird. Als linker Spitzenkandidat ist bisher nur der glücklose Fraktionschef Hofreiter im Gespräch. Beliebtheit hin und her – bleibt es dabei, könnte die Nummer eins der Realos eigentlich nur Göring-Eckardt heißen – wegen der Mann-Frau-Quotierung.
Einige Realos erwägen deshalb schon, mit den grünen Konventionen zu brechen. "Gut möglich, dass am Ende zwei Realos die Spitzenkandidatur übernehmen", sagt der einflussreiche Grüne aus der Bundestagsfraktion. Doch es ist mehr als fraglich, ob der linke Flügel das so einfach mit sich machen lässt. Die innerparteiliche Harmonie, sofern bei den Grünen von Harmonie die Rede sein kann, steht auf dem Spiel.
Solaranlagen auf Bagdads Dächern
Habeck und Fischer erwähnen dieses Dilemma in Kiel mit keinem Wort. Totschweigen ist die Devise. Habeck überrascht vor allem damit, dass er den Gedanken zur Energieaußenpolitik sehr weit denkt. Sollte die Politik nicht dafür sorgen, dass bald auf jedem Dach in Bagdad eine Solaranlage steht? Das will er wissen. Der 45-Jährige übernimmt hier die Rolle des kühnen Visionärs, beschränkt sich sonst aber vor allem darauf, Stichwortgeber und Fragesteller für die alte Parteigröße Fischer zu sein.
Fischer dagegen schlüpft in die Rolle des Elder Statesmen, der die großen Linien zieht, angesichts seines Erfahrungsschatzes aber viel mehr an den Realitäten haftet. "Die USA werden es sich nicht erlauben können, die Kontrolle über die Tankstelle der Weltwirtschaft (den persischen Golf) einer anderen Macht zu überlassen", sagt er. Daran änderten auch neue Fördermethoden wie das Fracking nichts. Er hebt hervor, wie wichtig die Atomverhandlungen mit dem Iran seien. Und er lobt den "inhärent dezentralen" Charakter Erneuerbarer Energien, der autoritären Regimen entgegen wirke. Über Solaranlagen auf den Dächern Bagdads nachzudenken, findet er angesichts des Aufstieges des Islamischen Staates (IS) und des syrischen Bürgerkrieges noch etwas verfrüht. Er will aber auf keinen Fall darauf eingehen, ob bei dieser Sichtweise ein grundsätzlicher Unterschied zwischen ihm und dem womöglich nächsten Obergrünen Habeck zutage treten würde. Er lässt die, die ihn darauf ansprechen, wissen, dass seine Antwort doch nur dafür missbraucht werden würde, um seine Unterstützung für den potenziellen Spitzenkandidaten zu untermauern oder infrage zu stellen.
Quelle: ntv.de