Aktion eines Buchhändlers "Da mach ich mir große Sorgen um die Meinungsfreiheit"
03.06.2023, 17:25 Uhr
Ben von Rimscha führt die Buchhandlung am Moritzplatz in Berlin.
(Foto: privat)
Der Berliner Ben von Rimscha ist Chef der Buchhandlung am Moritzplatz, einer Kreuzberger Institution. Neulich hat er seinen Ärger über Leute öffentlich gemacht, die ihm den Verkauf "sexistischer", "frauenfeindlicher" und "faschistischer" Werke vorwerfen - und damit auch Postkarten von Loriot meinen.
ntv.de: Herr von Rimscha, Sie haben während der Woche der Meinungsfreiheit, die der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ins Leben gerufen hat, an einem Ihrer Schaufenster auf den Text des Grundgesetz-Artikels 5 aufmerksam gemacht, der das freie Wort garantiert. Was war der Anlass für die Aktion?
Ben von Rimscha: Ich wollte darauf aufmerksam machen, dass die Kunst- und Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist, das es zu verteidigen gilt. Die Übergriffigkeit, schrägen Beschuldigungen und Pöbeleien hatten ein Ausmaß erreicht, das ich nicht mehr hinnehmen möchte. Ich bin ein politischer Mensch und mache mir Sorgen um den Zustand der Gesellschaft. Es muss schließlich einen Grund geben, dass die AfD in Thüringen, geführt von einem astreinen Rechtsextremisten, auf 30 Prozent kommt. Und Beschneidung von Meinung, die wir gerade erleben, ist meiner Ansicht nach eine - ich betone: eine unter vielen - der Ursachen dafür.
Was genau widerfährt Ihnen denn?
Leute kommen in den Laden, knallen ein kürzlich bei mir gekauftes Buch auf die Theke und fordern ihr Geld zurück. Ich muss mir dann anhören, dass ich angeblich transfeindliche, antisemitische oder faschistische Literatur sowie sexistische und frauenfeindliche Postkarten von Loriot verkaufe. "Jim Knopf" wird als rassistisch verdammt. Ein Kunde entfernte kürzlich einen Stapel mit Büchern von Ahmad Mansour und versteckte ihn hinter anderen Büchern, damit dieser "gefährliche, rassistische und AfD-nahe Schund" nicht mehr unter die Leute komme. Solche Fälle sind keine Seltenheit mehr. Sie haben zugenommen.
Was tun Sie, wenn jemand Sie beschimpft oder übergriffig wird?
Ich frage nach, welche Werke genau gemeint sind. Wenn jemand von mir verlangt, ich solle alle Bücher von Sally Rooney aus dem Programm nehmen, weil die Autorin eine Antisemitin sei, dann versuche ich zu vermitteln, dass es zwischen Autor und Werk einen Unterschied gibt. Ezra Pound war bekennender Faschist und Antisemit, Dostojewski ein spielsüchtiger Panslawist, Jean-Paul Sartre ein Maoist - sollen wir deren Werke nun alle ausmustern? Zuletzt gab "Die Antiquiertheit der Frau" von Sara Rukaj Anlass für Empörung; die Philosophin hat es gewagt, die Queer-Theorie in einer herrlich polemischen Art auseinander zu nehmen. Das reicht schon, zu den Bösen gezählt zu werden.
Aber Rukaj steht doch klar links.
Natürlich tut sie das. Die Leute, die bei mir Luft ablassen, haben die Bücher nicht gelesen und wollen es auch gar nicht. Die hören in ihrer Blase, das Werk sei queer-feindlich, was ihnen ausreicht, es zu verteufeln. Wenn ich darauf verweise, dass der - übrigens brillante - Text von Rukaj marxistisch und von Sigmund Freud beeinflusst ist, werde ich angeblafft: "Nein, das ist Faschismus!" Das ist ein großer Hohn, das Buch in der Weise zu diffamieren, eine Verharmlosung des Faschismus. Wer es auch nur wagt, das Buch von Rukaj als Debattenbeitrag in einem Land mit Meinungsfreiheit zu verteidigen, wird als Menschenfeind hingestellt. Da mach ich mir dann doch große Sorgen um die Meinungsfreiheit und frage: Welcher Autor und welches Werk sollen als Nächstes auf den Index?
Kommen Sie mit den Leuten ins Gespräch, die Sie und Ihr Angebot kritisieren?
Jeder Versuch ist zum Scheitern verurteilt. Zuhören, das Abwägen von Argumenten kennen diese Menschen nicht. Die tragen eine Gesinnungsethik vor sich her ohne jeden Realitätsbezug, ohne Sachlichkeit, fast irrational, als handele es sich bei Sprache um Voodoo. Es geht nicht darum, Standpunkte auszutauschen, sondern allein darum, seine Haltung zu demonstrieren. Es wird nur in Lagern nach Schema F gedacht. Jeder bleibt in seiner Bubble. Es geht allein um Haltungen, die man sich gegenseitig um die Ohren haut. Wenn der oder die dieses oder jenes Wort sagt, dann ist er oder sie böse. Ich muss mir das jede Woche anhören. Ich nenne das die Theorie der Nachbarschaft der sauberen und schmutzigen Bücher.
Eine Art Kontaktschuld für das geschriebene Wort?
Die schmutzigen Bücher kontaminieren sozusagen die sauberen; Sie finden bei mir kein einziges Buch eines neurechten Verlages. Es geht diesen Leuten nur darum, öffentlich und vor allem vor sich selbst zu zeigen, auf der richtigen Seite zu stehen. Antirassistisch und queer-freundlich bin ich auch. Aber ich muss es nicht zur Schau stellen. Als würde irgendein Mensch mit Verstand noch das N-Wort sagen. Ich habe zwei dunkelhäutige Kinder und möchte nicht, dass die mit dem N-Wort beleidigt werden. Entscheidend ist der Kontext in der Literatur.
So hat auch Boris Palmer argumentiert.
Palmer ist wie Michael Kohlhaas eine tragische Figur, die sich immer weiter reinreitet. Der Inhalt von dem, was er meinte, spielte keine Rolle mehr, nur noch: Hilfe, er hat das N-Wort ausgesprochen. Für mich geht es um Lesbarkeit von Büchern im historischen Kontext. Man kann doch nicht Koeppens "Tauben im Gras", eines der besten Werke der deutschen Nachkriegsliteratur, auf den Index setzen, weil darin das N-Wort vorkommt. In den Fünfzigern und Sechzigern war es Alltag, das N-Wort auszusprechen. Wieso soll ein Buch, das der zutiefst rassistischen bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft kritisch den Spiegel vorhält, rassistisch sein? Das Gegenteil ist der Fall!
Was also tun?
Ich bin für eine antirassistische oder - noch besser - rassismusfreie Gesellschaft. Genau deshalb halte ich es nach wie vor für richtiger, an den realen Umständen etwas zu ändern und nicht auf Sprach-Magie zu setzen. Ich bin sicher, dass das sehr viele Menschen als abgehoben empfinden, was wiederum bedeutet, dass der Glaube, durch Worte die Welt zu verbessern, kontraproduktiv ist. Die AfD befindet sich im Höhenrausch und ein Redakteur der "Tagesschau" ersetzt das Wort Mutter durch "entbindende Person". Da stimmt generell etwas nicht.
Sind Sie besorgt, wenn Sie ein Interview wie dieses geben, dass alles noch schlimmer wird?
Nein, bin ich nicht. Sie finden bei mir nichts mit neurechtem Inhalt, Zeug von Autoren, die eine andere Gesellschaft wollen als die, die wir haben. Ich will aber weiterhin Werke von Rukaj und anderen Autoren der Edition Tiamat verkaufen. Das ist ein großartiger Verlag, der die Stimmen der Vernunft in der identitätspolitischen Debatte zu Wort kommen lässt.
Mit Ben von Rimscha sprach Thomas Schmoll
Quelle: ntv.de