Politik

Interview mit Johannes Hillje "Demokraten sollten Angriffe von Demokratiefeinden nicht legitimieren"

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Der Thüriger AfD-Chef Björn Höcke gehört zum besonders radikalen Flügel seiner Partei, in der AfD ist er mittlerweile tonangebend.

Der Thüriger AfD-Chef Björn Höcke gehört zum besonders radikalen Flügel seiner Partei, in der AfD ist er mittlerweile tonangebend.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die AfD kann von starker sozialer Verunsicherung profitieren, wenn die Menschen nicht das Gefühl haben, dass die Politik sich ausreichend um Abstiegsängste kümmert, sagt der Politikberater Johannes Hillje. Ihn stört, dass die demokratischen Parteien sich untereinander für den aktuellen Umfrage-Erfolg der AfD verantwortlich machen.

ntv.de: Ich würde gern mit Ihnen durchdeklinieren, wer schuld daran ist, dass die AfD so stark geworden ist. Fangen wir mit der Union an: Spielen CDU und CSU hier eine Rolle?

Johannes Hillje: Grundsätzlich spielen beim aktuellen Aufschwung der AfD mehrere Akteure und Faktoren eine Rolle, also nicht nur die anderen Parteien, sondern etwa auch die ökonomische Lage, die Krisenherde und gesellschaftliche Stimmungen. Es gibt also nicht den einen Grund, der allein erklärt, warum die AfD in den Umfragen derzeit einen Zuwachs erfährt. Das ist mir ganz wichtig: In den letzten Wochen hat sich die ungute Gewohnheit etabliert, dass Parteien ohne einen Funken Selbstkritik ihre politischen Mitbewerber für Erfolge der AfD verantwortlich machen. Aber die AfD attackiert alle demokratischen Parteien, sie greift die repräsentative Demokratie insgesamt an. Ein Konsens der Demokraten sollte auch beinhalten, dass man selbstkritisch mit dem Aufwind von Demokratiefeinden umgeht und deren Angriffe auf die politischen Mitbewerber nicht legitimiert. Aber auch die Union spielt eine Rolle.

Johannes Hillje ist Politik- und Kommunikationsberater. Er ist Policy Fellow im Progressiven Zentrum in Berlin. Im vergangenen Jahr erschien sein Buch "Das 'Wir' der AfD: Kommunikation und kollektive Identität im Rechtspopulismus".

Johannes Hillje ist Politik- und Kommunikationsberater. Er ist Policy Fellow im Progressiven Zentrum in Berlin. Im vergangenen Jahr erschien sein Buch "Das 'Wir' der AfD: Kommunikation und kollektive Identität im Rechtspopulismus".

(Foto: imago/IPON)

Welche?

In ihrer Funktion als größte Oppositionspartei ist sie dafür verantwortlich, welcher Ton in der Opposition herrscht. Natürlich darf Oppositionsarbeit hart und scharf sein - aber Pointierung sollte nicht ins Populistische kippen.

Wo wäre daran das Problem?

Wenn der Tonfall demokratischer Parteien nur schwer zu trennen ist von dem der AfD, dann legitimiert das deren politische Rhetorik und Ziele. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: In der Debatte um die Wärmeplanung hat Thüringens CDU-Chef Mario Voigt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vorgeworfen, er wolle eine "Energie-Stasi" einsetzen, die den Leuten in den Keller gucke. Mit solchen Äußerungen wird die Linie zur populistischen Opposition überschritten.

Mario Voigt sagt, er habe nur zuspitzen wollen.

Diese DDR-Analogie rückt die Bundesregierung in die direkte Nähe eines Diktaturregimes. Das ist die klassische Erzählung der AfD, die schon seit Jahren in ihren Kampagnen die Bundesrepublik als "DDR 2.0" beschreibt und die Ampel als "Klimadiktatur" beschimpft. Mit solchen Äußerungen tut die CDU weder sich noch der Demokratie einen Gefallen. Damit legitimiert sie die demokratieverachtenden Erzählungen der AfD und nimmt in Kauf, dass der Diskurs ins Demokratiefeindliche driftet.

Gerade die Thüringer CDU hat es mit einer besonders radikalen und in den Umfragen starken AfD zu tun. Wenn Sie sagen, dass sich die Union mit einer solchen Rhetorik keinen Gefallen tut, dann ist es aus Ihrer Sicht für Mario Voigt nicht einmal taktisch sinnvoll, so zu argumentieren?

Für die Landtagswahl im kommenden Jahr hat Mario Voigt das Ziel formuliert, die AfD kleiner zu machen. Das ist ein löblicher Anspruch, denn die Werte der AfD, gerade in Thüringen, aber auch in Sachsen, sind erschreckend. Nach aktuellen Umfragen ist die Partei dort stärkste Kraft.

Aber?

Man kriegt die AfD nicht klein, indem man ihre Rhetorik größer macht. Dann wählen die Menschen das Original, nicht die Kopie. Das haben wir schon häufig gesehen, beispielsweise im bayerischen Landtagswahlkampf 2018, als Markus Söder und die CSU mit Begriffen wie "Asyltourismus" in den Wahlkampf gezogen sind. Der CSU hat das damals nicht geholfen. Der AfD dagegen schon.

Markus Söder scheint das verstanden zu haben, er hat diesen Kurs damals sehr deutlich korrigiert.

Das stimmt, nach öffentlicher Kritik ist er etwa zwei Monate vor der Wahl umgeschwenkt. Rechtspopulistische Rhetorik in der Migrationspolitik war dann von ihm nicht mehr zu hören. Bei Markus Söder weiß man natürlich nie, wie nachhaltig solche Lehren sind - er ist ja dafür bekannt, seine Positionen so häufig zu wechseln wie sein Faschingskostüm. Was mich stutzig macht: Im aktuellen Landtagswahlkampf nähert er sich der rechtspopulistischen Rhetorik an anderer Stelle an: Er macht seinen Wahlkampf zum Kulturkampf. In der krisenverunsicherten Gesellschaft gibt es eine Hinwendung zum Materiellen, auf die Söder mit einer Thematisierung des Kulturellen reagiert. Die harte Auseinandersetzung mit den Grünen ist ja völlig okay, aber er argumentiert teilweise wie die AfD mit Blick auf eine vermeintliche "Wokeness"-Bewegung, die eine autoritäre Umerziehung bei lebensweltlichen Themen wie Ernährung, Mobilität, Sprechgewohnheiten anstrebe. Es mag solche Tendenzen im linken Spektrum geben, aber so etwas als einflussreiche Bewegung oder gar Gefahr für die Demokratie zu stilisieren, wie manche es in der Union machen, ist weit übertrieben und irreführend. Aus meiner Sicht erklärt die Union damit einen Strohmann, den die AfD aufgestellt hat, zur tatsächlichen Gefahr.

Ist der Umfrage-Erfolg der AfD trotzdem nicht auch Ausdruck eines Protests gegen die Politik der Grünen?

Für die AfD ist Habeck die neue Merkel. Habeck ist das neue zentrale Feindbild der AfD. Das heißt aber nicht, dass das, was Habeck oder die Grünen machen, automatisch die AfD stärkt. Und für die Grünen wäre es auch die völlig falsche Schlussfolgerung, der AfD sachlich nachzugeben, um sie wieder kleiner zu machen. Es geht darum, der AfD die emotionale Mobilisierungsgrundlage zu entziehen. Denn grundsätzlich profitiert die AfD von einer Veränderungsverunsicherung - eine Verunsicherung, die gerade in den letzten Wochen durch die Debatte um das Heizungsgesetz gestiegen ist.

Weil die Leute glaubten, dass sie alle im nächsten Jahr ihre Heizung austauschen müssen?

Zumindest ist dieser Eindruck, auch durch Falschinformationen, entstanden. Aber vor den kommunikativen Versäumnissen lagen auch handwerkliche Fehler: Der erste Gesetzentwurf, der Ende Februar bekannt wurde, beinhaltete eine sehr hohe Belastung, aber noch keine Formen der Entlastung. So etwas erzeugt ein Gefühl der Transformationsüberforderung. Und bis heute ist unklar geblieben, wie die soziale Förderung genau aussehen soll. Ich meine: Vertrauen in Veränderungen entsteht durch soziale, ökonomische und alltagskulturelle Sicherheit.

Der konservative Historiker Andreas Rödder sagt: "Je ideologischer die Grünen auftreten und ihre Politik durchziehen, desto stärker wird, wie man das sozialpsychologisch nennt, die rechte Reaktanz, die in Deutschland auf das Konto der AfD einzahlt".

Das erscheint mir als Zusammenhang viel zu einfach. Selbst wenn es eine Reaktanz im rechten Spektrum geben sollte, müsste man dann doch fragen, warum es der CDU/CSU nicht gelingt, den Unmut aufzufangen und den Menschen eine bessere Perspektive zu geben. Kritik an den Grünen müsste doch eigentlich ein Konjunkturprogramm für die Union sein, schließlich gibt es Wechselwähler zwischen Union und Grünen, aber nicht zwischen Grünen und AfD.

Woher kommen die Stimmen für die AfD?

Anders als bei Wählerwanderungen lässt sich nicht genau sagen, woher Gewinne in Umfragen kommen. Klar ist aber, dass die AfD mittlerweile eine gefestigte Stammwählerschaft von etwa 10 Prozent hat. Das sind Wählerinnen und Wähler, die von den anderen Parteien im Grunde nicht mehr erreicht werden können. Die aktuellen Zugewinne sind meines Erachtens zu einem großen Teil Wählerinnen und Wähler, die auch zuvor schon mal zur AfD tendiert oder sie gewählt haben. Bei der Bundestagswahl 2021 hat sie mehr als 800.000 Wähler ins Nichtwählerlager verloren, die sie in einem Kontext der Veränderungsverunsicherung wieder mobilisieren kann. Man muss Rödder aber auch entgegenhalten, dass der starke Anstieg der AfD nicht in erster Linie in den letzten Monaten und nicht im Kontext der Heizungsdebatte stattgefunden hat, sondern bereits im Spätsommer des vergangenen Jahres.

Anfang Oktober 2022 lag die AfD im RTL/ntv-Trendbarometer bei 14 Prozent.

Der Kontext war damals Inflation, Energieknappheit, auch eine sich anbahnende wirtschaftliche Krise. Von Juli bis Oktober ging es für die AfD in den Umfragen teilweise fünf Prozentpunkte, also mehr als in den letzten Wochen, bergauf.

Im Gefolge der Flüchtlingskrise 2015/2016 kam die AfD erstmals über 10 Prozent, was damals als viel galt. Jetzt gibt es wieder eine Diskussion über die Überlastung der Kommunen. Hilft das der AfD?

Das ist der zweite Aspekt, den ich gegen Andreas Rödders Argumentation einwenden würde: die wieder relevanter gewordene Migrationsthematik. Das Thema spielt nicht nur in medialen Debatten und für die Kommunen eine Rolle, sondern, wie Umfragen zeigen, auch in der Problemwahrnehmung der Menschen. Und auch hier sehen wir teilweise, dass AfD-Positionen und -Rhetorik von der Union übernommen werden. Zuletzt stellten mehrere CDU-Politiker das Grundrecht auf Asyl infrage. Das war bisher ein Alleinstellungsmerkmal der AfD.

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Ich muss noch nach der SPD fragen: Können die Sozialdemokraten etwas tun, um die AfD kleinzuhalten?

Der AfD gelingt es immer dann, eine Kulturalisierung von ökonomischen Themen vorzunehmen, wenn soziale Fragen unzureichend adressiert werden. Wenn es eine große soziale Verunsicherung gibt und die Menschen nicht das Gefühl haben, dass die Politik sich ausreichend um Abstiegsängste kümmert, dann entsteht ein Verunsicherungskontext, von dem die AfD profitieren kann. Daran hat die SPD natürlich einen Anteil, soziale Gerechtigkeit ist ja ihr Markenkern, in der Sozialpolitik werden ihr die höchsten Kompetenzwerte zugerechnet. Aber, wie gesagt, es ist eine Gesamtgemengelage im politischen Diskurs und im Verhalten der demokratischen Parteien.

Mit Johannes Hillje sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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