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Sieben Tage nach dem Dammbruch Satellitenfoto zeigt entleerten Kachowka-Stausee

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Die Situation am Kachowka-Stausee eine Woche nach dem Dammbruch: Blick auf das AKW Saporischschja (im roten Kreis).

Die Situation am Kachowka-Stausee eine Woche nach dem Dammbruch: Blick auf das AKW Saporischschja (im roten Kreis).

(Foto: © Sentinel Hub, ESA, Leaflet, MapTiler, OpenStreetMap contributors)

Der Dammbruch am Dnipro zwingt der Ukraine nicht nur eine verheerende Flutkatastrophe auf. Das abfließende Wasser könnte zudem auch den weiteren Kriegsverlauf beeinflussen. Am AKW Saporischschja entsteht eine riesige offene Flanke, wie Satellitenfotos zeigen.

Die Flutkatastrophe im Süden der Ukraine führt zu massiven Veränderungen am Dnipro. Der einst 230 Kilometer lange Kachowka-Stausee läuft nach dem Dammbruch bei Nowa Kachowka ungehindert leer.

Eine volle Woche nach der Zerstörung der Sperrmauer ist ein Großteil der riesigen Wasserfläche zwischen Nikopol am Nordufer und Enerhodar auf der Südseite verschwunden, wie aktuelle Satellitenfotos belegen.

Für die Ukrainer am Nordufer und für die russischen Besatzungstruppen am Südufer des Dnipro ergibt sich daraus eine vollkommen neue Situation. Bisher waren sie am Kachowka-Stausee durch eine riesige Wasserfläche voneinander getrennt.

Binnen einer Woche ist der Wasserspiegel jedoch um gut acht Meter gefallen. Das Staubecken ist zwischen Nikopol und Enerhodar fast komplett entleert. Der bislang größte Stausee der Ukraine hat Schätzungen zufolge mehr als 70 Prozent seiner Wassermassen verloren und beginnt von den Rändern her auszutrocknen. Weite Flächen des Seegrunds liegen offen in der Sonne.

Die Aufnahmen aus dem All belegen, wie inmitten der rund 1000 Kilometer langen Front in der Ukraine ein neuer, weitgehend ungedeckter Abschnitt entsteht. Auf Höhe des Kernkraftwerks Saporischschja (Link zur Karte) war der Stausee bis vor kurzem fünf bis zehn Kilometer breit.

Hochauflösendes Satellitenbild vom 13. Juni: Der Kachowka-Stausee ist fast komplett verschwunden.

Hochauflösendes Satellitenbild vom 13. Juni: Der Kachowka-Stausee ist fast komplett verschwunden.

(Foto: © Planet Labs GmbH)

Jetzt zieht sich der Dnipro in der Mitte des entleerten Staubeckens in einen neuen, schmalen und stark gewundenen Flusslauf zurück. An der schmalsten Stelle scheint der verbliebene Strom nur noch gut 400 Meter breit zu sein. Dunkelbraune Schlammflächen tauchen auf. Dazwischen sind helle Kies- oder Sandbänke zu erkennen.

Seit Ende vergangener Woche steht fest: Das Kühlbecken der Nuklear-Anlage ist von der Frischwasserzufuhr abgeschnitten. Die sechs Reaktorblöcke sind zwar abgeschaltet. Das Kraftwerk benötigt aber dennoch laufend Wasser zur Kühlung, um eine mögliche Kernschmelze zu verhindern.

Experten der Atomenergie-Organisation IAEA gehen davon aus, dass die im Becken gespeicherte Wassermenge für "mehrere Monate" zur Kühlung ausreichen sollte. Alle Hoffnungen ruhen allerdings darauf, dass der Damm des Speicherbeckens nicht beschädigt wird - und dass das Atomraftwerk in den kommenden Monaten nicht zwischen die Fronten gerät.

Das steht jedoch durchaus zu befürchten: Vor dem Dammbruch war der Stausee an dieser Stelle zwischen fünf und zehn Kilometer breit. Auf dem Südufer steht seit den ersten Kriegswochen russisches Militär, das dort unter anderem auch das Gelände des Atomkraftwerks kontrolliert. Die nächstgelegenen ukrainischen Positionen befinden sich bisher auf dem Nordufer östlich von Nikopol.

Der Dammbruch gefährdet nicht nur die Kühlwasserversorgung des Atomkraftwerks am Südufer des Stausees. Die Katastrophe könnte auch die militärische Lage in der Region verändern: Im weiteren Verlauf des Krieges könnte durch das entstandene Terrain ein neues Operationsgebiet in der ungedeckten Flanke der russischen Armee entstehen. Das entleerte Staubecken könnte über kurz oder lang Teil der Kampfzone werden.

Das Südufer am Kachowka-Stausee war Berichten zufolge bisher vergleichsweise schwach befestigt. Bisher musste das russische Militär hier nur Überfälle ukrainischer Kommando-Einheiten mit Booten fürchten. Nach dem Dammbruch wirkt der zunehmend breiter werdende Uferstreifen wie entblößt. Um diesen Bereich zu sichern, müssten die Russen weitere Truppenkontingente in einen bisher weitgehend ruhigen Frontabschnitt verlegen.

Die jüngsten Aufnahmen aus der Region stammen vom europäischen Erdbeobachtungssatelliten Sentinel 2 und wurden am 13. Juni aufgenommen: Die AKW-Anlagen bei Enerhodar liegen hier rechts unten im Bild und sind teils von Wolken verdeckt. Das Vergleichsfoto ist dagegen vom 5. Juni: Zu sehen ist also die Situation am Stausee unmittelbar vor dem Dammbruch.

Kühlwasser-Speicher am AKW Saporischschja: Dieser stark vergrößerte Ausschnitt eines Satellitenbilds zeigt das AKW am 9. Juni bei wolkenfreiem Himmel.

Kühlwasser-Speicher am AKW Saporischschja: Dieser stark vergrößerte Ausschnitt eines Satellitenbilds zeigt das AKW am 9. Juni bei wolkenfreiem Himmel.

(Foto: © Planet Labs GmbH)

Die Zerstörung der Staumauer bei Nowa Kachowka enthüllt Gelände, das fast siebzig Jahre lang unter Wasser stand. Bei sommerlichen Witterungsbedingungen könnte sich der teils schlammige Untergrund bald verfestigen. Schließlich befand sich hier vor der Flutung in den 1950er-Jahren größtenteils fester Boden mit Straßen, Höfen und ganzen Siedlungen.

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Der Kachowka-Damm selbst befindet sich in diesem Ausschnitt nicht im Bild. Die Überreste des Damms liegen rund 120 Kilometer flussabwärts im Südwesten. Das verbliebene Wasser im leerlaufenden Stausee fließt weiter ab. Die zerstörte Staumauer bei Nowa Kachowka kann den Dnipro nicht mehr zurückhalten. Und: Daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Die Breschen sind zu groß, um sie rasch zu reparieren. Zudem liegt die Staumauer bisher noch im Niemandsland zwischen den Fronten.

Der Kachowka-Stausee wird damit weiter austrocknen. Der Betreiber der ukrainischen Wasserkraftwerke hat zudem angekündigt, den Abfluss an den übrigen Dämmen am Dnipro zu verringern. Erklärte Absicht von Ukrhydroenergo ist es, Wasser für die Stromerzeugung im kommenden Winter zu speichern.

Quelle: ntv.de

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