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Vorher-nachher-Bilder vom Dnipro So sehen Satelliten die Flutkatastrophe in der Ukraine

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Dammbruch am Dnipro: Die Bresche in der Staumauer rechts im Bild.

Dammbruch am Dnipro: Die Bresche in der Staumauer rechts im Bild.

(Foto: © Planet Labs PBC)

Der Dammbruch am Dnipro verwandelt einen rund 100 Kilometer langen Frontabschnitt in der Ukraine mitten im Krieg in eine Katastrophenzone. Neue Satellitenbilder zeigen, mit welcher Gewalt sich die Flutwelle in Richtung Cherson wälzt.

Am Tag nach dem Dammbruch bei Nowa Kachowka gelangt zusätzliches Bildmaterial zur Lage im Süden der Ukraine an die Öffentlichkeit: Vorher-nachher-Vergleiche ermöglichen den direkten Blick auf schwer betroffene Gebiete.

Aktuelle Satellitenbilder aus dem europäischen Weltraumprogramm Copernicus zum Beispiel zeigen das Ausmaß der Überschwemmungen. In den Falschfarbenaufnahmen der Sentinel-3-Erdbeobachtungssatelliten sind die aus dem Kachowka-Stausee ausgetretenen Wassermassen in Dunkelgrau zu erkennen. Trockenes Gelände erscheint in Rot. Das erste Bild links stammt von Montag, 5. Juni und zeigt die Situation im Dnipro unmittelbar vor der Katastrophe. Das zweite Bild rechts wurde gestern aufgenommen, also am Tag 1 nach dem Dammbruch.

Hochauflösende Aufnahmen kommerziell genutzter Erdbeobachtungssatelliten liefern zusätzlich detaillierte Eindrücke zur Flutkatastrophe am Unterlauf des Dnipro. Hier ein Blick auf den Flussabschnitt bei Nowa Kachowka mit der geborstenen Staumauer rechts im Bild:

Seit den Morgenstunden des 6. Juni ergießen sich die Wassermassen aus dem riesigen Kachowka-Stausee ins Flusstal in Richtung Cherson. Die Flussabschnitte unterhalb der zerstörten Talsperre bei Nowa Kachowka sind auf eine Länge von rund 100 Kilometern überschwemmt.

Die Zerstörungen sind gewaltig: Binnen weniger Stunden haben die reißenden Fluten den Dammbruch zu einer riesigen Bresche aufgeweitet. Der Staudamm ist auf einer Länge von fast 800 Metern eingestürzt. Noch immer wälzen sich große Mengen an aufgestautem Wasser zu Tal.

Flaches Land am linken, südlichen Ufer: Das Dnipro-Tal unterhalb des Kachowka-Damms.

Flaches Land am linken, südlichen Ufer: Das Dnipro-Tal unterhalb des Kachowka-Damms.

(Foto: Kartendaten: © OpenStreetMap-Mitwirkende, SRTM | Kartendarstellung: © OpenTopoMap (CC-BY-SA))

Der Dnipro fließt hier bei Nowa Kachowka zunächst in Richtung Westen, wo er auf eine Höhenstufe trifft. Das rechte, nordwestliche Ufer des Flusses steigt steil an. Das bebaute Gelände dort befindet sich gut ein Dutzend Meter über dem regulären Wasserspiegel.

Problematischer gestaltet sich die Lage am linken Ufer des Dnipro. Hier sind die Uferbereiche flach, das Terrain steigt dort kaum an. Der Flusslauf grenzt hier an die weiten Ebenen der südukrainischen Steppenregionen an. Alle Ortschaften in Ufernähe sind akut von Überschwemmungen bedroht.

Der gebrochene Kachowka-Damm, Blickrichtung Südwesten:

Der Vorher-Nachher-Vergleich der stark vergrößerten Satellitenbilder belegen das Ausmaß der Schäden: Am Kachowka-Damm selbst ist die massive Betonstaumauer mit ihren Überlauftoren aus Stahl auf nahezu kompletter Länge in den Fluten verschwunden. Selbst die massiven Schleusenanlagen - ausgelegt für Erz- und Getreidefrachter zur Binnenschifffahrt auf dem Dnipro - wurden teils unterspült und mitgerissen.

Die Bilder stammen - soweit nicht anders angegeben - vom Tag vor der Katastrophe und dem Tag danach. Im Vorher-Nachher-Vergleich ist zu erkennen, mit welcher Gewalt die Strömung in den Stunden nach dem Dammbruch wirkte: Das Kachowka-Wasserkraftwerk am Staudamm ist samt Generatorengebäuden vollständig zerstört. Von der einst 350 Megawatt starken Anlage ragen nur noch Überreste aus dem reißenden Strom.

Unterhalb der Staumauer waren die Auswirkungen des Dammbruchs bereits in den frühen Morgenstunden des 6. Juni zu spüren: Die Bewohner der ufernahen Wohngebiete von Nowa Kachowka sahen sich schnell mit dem steigenden Wasserspiegel konfrontiert.

Die Stadt am Kachowka-Damm steht seit den ersten Kriegstagen unter russischer Kontrolle. Unklar ist, wie viele Menschen in der einst rund 45.000 Einwohner zählenden Stadt zum Zeitpunkt des Dammbruchs noch ausharrten. Nowa Kachowka ist Kriegsgebiet: Seit vergangenem Herbst verläuft hier die Front zwischen der besetzten Zone und der freien Ukraine.

Die Vorher-Nachher-Bilder vom Dnipro-Ufer bei Nowa Kachowka deuten auf umfangreiche Schäden an der Uferbebauung hin. Die Kaianlagen und eine Anlegestelle im Westen der Kleinstadt sind komplett überspült. Noch aus dem All sind in der stark vergrößerten Aufnahme die aufgewühlten Wassermassen zu erkennen.

Der Dnipro, der hier bis vor kurzem noch als breites, aber gemächliches Gewässer in Richtung Meer floss, hat sich in einen reißenden Strom verwandelt. Die Vergleichsbilder hier sind nach Südosten ausgerichtet; Norden ist als links unten.

Wenige Kilometer westlich von Nowa Kachowka liegt das ukrainische Dorf Korsunka am Flussufer. Bis zum russischen Überfall lebten die Einwohner hier vom Obst- und Gemüseanbau, wie ausgedehnte Gewächshäuser und Gartenanlagen belegen. Die verschlafene Ortschaft zählt zu den schwer betroffenen Regionen.

Die aktuellen Satellitenbilder zeigen großflächige Überschwemmungen im Wohngebiet. Der ansteigende Wasserpegel hat weite Teile der Siedlung überschwemmt. Das Wasser drang hier über Gräben und Kanäle teils mehr als einen Kilometer weit in die Ebene vor.

Berichte aus Korsunka liegen bisher nicht vor. Der Ort liegt wie Nowa Kachowka in der russisch besetzten Zone und damit außerhalb des Einflussbereichs ukrainischer Helfer. Westlich des Dorfes steht die gesamte Uferbebauung unter Wasser.

Auf Satellitenaufnahmen aus den Tagen vor der Katastrophe ist zu sehen, wie weit dieser Teil des Dnipro-Ufers vom Hauptfahrwasser des Dnipro entfernt liegt. Die Wohnhäuser am Ufer befinden sich hinter einem breiten Sumpf- und Auwaldstreifen, der das feste Ufer vom Strömungsbereich trennt. An manchen Stellen ist dieser Schutzstreifen fast zwei Kilometer breit - mittlerweile aber vollständig überspült.

Ähnlich ist die Lage weiter flussabwärts: Am gesamten Unterlauf des Dnipro sind insbesondere die Gebiete auf der linken Uferseite von der Flutwelle betroffen. Kurz hinter Korsunka beschreibt das Flusstal einen Bogen. Der Dnipro biegt nach Südwesten ab, um weiter in Richtung Cherson zu strömen.

Auf der rechten, hier nördlichen Uferseite trifft der Strom auf ein teils felsiges Steilufer, das den Wassermassen mehr Widerstand entgegenbringt als die flachen Sumpfzonen auf der gegenüberliegenden Seite. Dort liegen lang gestreckte Ortschaften wie Krynky, Kosatschi und Pischdschaniwka, in denen mittlerweile Hunderte von Grundstücken mit Wohngebäuden im Wasser stehen.

Drohnenaufnahme: Das Steilufer des Dnipro

Hinweis: Die 360-Grad-Drohnenaufnahme zeigt die Situation am Dnipro bei Korsunka im Juni 2020.

Von Korsunka bis Oleschky, dem Ort an der Antwoniwka-Brücke bei Cherson, sind alle ufernahen Siedlungen von den Fluten bedroht. Alle genannten Orte befinden sich unter russischer Kontrolle. Auch hier ist unklar, wie viele Menschen sich zum Zeitpunkt des Unglücks in den Siedlungen in Ufernähe aufhielten.

Erst hinter Oleschky beginnt sich das Tal des Dnipro langsam aufzuweiten. Cherson selbst liegt auf der rechten Uferseite westlich von Oleschky. Große Teile des Stadtzentrums wurden auf erhöht liegendem Gelände erbaut. Lediglich Teile des Hafens und der angrenzenden Wohngebiete unterhalb der Stadt befinden sich in der von Hochwasser gefährdeten Lage.

Die Stadt Oleschky liegt gegenüber von Cherson an der Zufahrt zur Antoniwka-Brücke. Insbesondere die Wohngebiete der einst 24.000 Einwohner zählenden Kleinstadt befinden sich in den Uferniederungen. Satellitenaufnahmen vom 7. Juni zufolge sind dort ganze Straßenzüge überschwemmt.

Zahlreiche Wohnhäuser sind in Oleschky teils bis zur Dachkante in den schlammigen Fluten versunken. Die Stadt befindet sich unter russischer Kontrolle. Ersten Berichten zufolge müssen die Einwohner der Stadt größtenteils ohne koordinierte Hilfe von außen auskommen.

Die aktuellen Satellitenbilder lassen auch auf dem gegenüberliegenden Ufer in Cherson ausgedehnte Flutschäden befürchten: Der Hafen von Cherson steht zu großen Teilen unter Wasser. Strömungswirbel auf der Aufnahme von 6. Juni machen sichtbar, mit welcher Macht das Flusswasser in den Seitenarm des Dnipro drückt.

Von den Überschwemmungen sind Industrieanlagen, Lagerhallen und Betriebe betroffen. In der gesamten Region ist mit umfangreichen Umweltschäden zu rechnen. Die Wassermassen aus dem Stausee dürften auf ihrem Weg zum Schwarzen Meer nicht nur große Mengen an belasteten Böden, Heizöl und andere Kraftstoffe mitgerissen haben, sondern zum Teil wohl auch Minen, Granaten und anderes explosives Material aus den russischen Stellungen am Ufer.

Mit der Flutwelle nach dem Dammbruch bei Nowa Kachowka erleben die Menschen in der Ukraine mitten im Krieg eine zusätzliche Katastrophe. Ukrainischen Angaben zufolge sind in der Flutzone bis zu 46.000 Menschen unmittelbar betroffen.

Ganze Wohngebiete am Flussufer sind wohl dauerhaft unbewohnbar. Die Behörden der Ukraine warnen vor Infektionskrankheiten, ausgelöst durch verschmutztes Trinkwasser. In vielen Ortschaften nahe der Front sind koordinierte Hilfsaktionen für ukrainische Kräfte unmöglich.

In den Gebieten unter ukrainischer Kontrolle laufen unterdessen erste Maßnahmen an. Zehntausende Bewohner überschwemmter Siedlungen müssen in sichere Unterkünfte gebracht werden und brauchen dauerhaft eine neue Bleibe.

Dazu kommen massive Schwierigkeiten mit der Versorgung. "Wir haben keinen Strom, kein Gas, kein Wasser", klagt eine Anwohnerin auf der ukrainischen Seite der Katastrophenzone. Der Dammbruch bei Nowa Kachowka wird die Ukraine noch lange belasten.

Die Flutwelle ist eine Katastrophe für die gesamte Region. Die Trinkwasserversorgung in vielen Städten und Orten am Dnipro ist auf konstante Pegelstände angewiesen. Der Kachowka-Stausee war einer der größten Wasserreservoirs der Ukraine.

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Hunderttausende Menschen sind nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj durch den Bruch des Kachowka-Staudammes und die Überschwemmungen von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten.

Das Wasser des Stausees fehlt aber nicht nur in der Trinkwasseraufbereitung. Große Teile der Landwirtschaft im Süden der Ukraine nutzten den Speicher für den Anbau von Ost und Gemüse. Ohne das Wasser aus dem Stausee kommt nicht nur der Bewässerungsfeldbau zum Erliegen. Die Ukraine gilt als Kornkammer Europas. Die Katastrophe trifft somit über kurz oder lang nicht nur die Landwirtschaft in der Ukraine hart. Die Welternährungsorganisation (WFP) warnt vor verheerenden Konsequenzen für hungernde Menschen weltweit.

Quelle: ntv.de

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