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Dammbruch in der Ukraine Satellitenbilder zeigen die Flutzone am Dnipro

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Wasser strömt durch einen Hunderte Meter breiten zerstörten Abschnitt: Der Kachowka-Damm nach der Katastrophe.

Wasser strömt durch einen Hunderte Meter breiten zerstörten Abschnitt: Der Kachowka-Damm nach der Katastrophe.

(Foto: © Planet Labs PBC)

Der Kachowka-Damm bricht, gewaltige Wassermassen wälzen sich durch den Süden der Ukraine. Welche Ortschaften zwischen Nowa Kachowka und der Dnipro-Mündung bei Cherson sind betroffen? Satellitenbilder und Karten zeigen das betroffene Gelände im Überblick.

Mitten im Krieg sieht sich die Ukraine mit einer Flutkatastrophe konfrontiert: Im Süden des Landes bricht der unter russischer Kontrolle stehende Kachowka-Staudamm. Seit den frühen Morgenstunden des 6. Juni ergießt sich das aufgestaute Wasser aus dem Kachowka-Stausee in den Unterlauf des Dnipro.

Der Kachowka-Stausee geht zurück auf ein gigantisches Mammutprojekt aus Sowjetzeiten: Ein gut drei Kilometer langes Dammbauwerk staut hier den Dnipro zum größten und längsten Binnengewässer der Ukraine auf. Der Kachowka-Stausee ist gut 230 Kilometer lang und bis zu 20 Kilometer breit - und damit länger und breiter als Gardasee und Bodensee zusammen.

Vorher-Nachher-Bilder des Dammbruchs:

Aktuelle Satellitenbilder führen das Ausmaß der Zerstörungen am Kachowka-Damm vor Augen. Die Aufnahmen auf der linken Seite stammen vom Sonntag, 4. Juni. Die hochauflösenden Kameraaugen eines Erdbeobachtungssatelliten zeigen ein zwar beschädigtes, aber noch funktionsfähiges Sperrwerk.

Mindestens zwei Fluttore des Damms sind geöffnet. Wasser strömt offenbar kontrolliert in den Unterlauf des Dnipro bei Nowa Kachowka. Das Satellitenfotos rechts dagegen wurde am 6. Juni gegen Mittag aufgenommen, also wenige Stunden nach dem Dammbruch. Zu sehen ist ein mächtiger Wasserstrom, der sich durch eine mehrere Hundert Meter breite Lücke im Damm flussabwärts wälzt.

Der Kachowka-Damm samt Wasserkraftwerk stand seit den ersten Kriegstagen unter russischer Kontrolle. Der Ort Nowa Kachowka auf dem linken, südlichen Ufer des Dnipro hat große strategische Bedeutung: Hier verlief bis vergangenen Herbst eine der wenigen Straßenbrücken über den Strom.

Seit dem Rückzug der russischen Truppen über den Dnipro im vergangenen Herbst bildet der Unterlauf des Flusses einen Teil der mehr als 1000 Kilometer langen Frontlinie. Einheiten der Invasionsarmee sprengten im November die letzte verbliebene Fahrbahn in unmittelbarer Nähe der Staumauer. Seitdem blieb das Bauwerk beschädigt zurück.

Reparaturarbeiten waren so nah an der Front so gut wie unmöglich. Das Wasserkraftwerk versorgte jedoch weiterhin Teile im Süden der Ukraine mit elektrischer Energie. Für die russischen Invasionspläne spielt der Staudamm unabhängig davon eine lebenswichtige Rolle: Knapp oberhalb des Sperrwerks zweigt der Nord-Krim-Kanal ab.

Große Teile der Wasserversorgung auf der Krim hängen von einem stabilen Pegelstand im Stausee ab. Der Krim-Kanal versorgt zudem auch die ausgedehnten Anbauflächen im Bewässerungsfeldbau in der Steppenregion zwischen Cherson und Melitopol. Das Problem: Der Krim-Kanal speist sich aus dem Reservoir des Kachowka-Stausees. Sinkt der Wasserstand, fällt der Kanal trocken.

Ein Blick auf die Flutzone am Unterlauf des Dnipro:

Auf der Karte ist der Eingang zum Krim-Kanal rechts neben dem Staudamm gut zu erkennen. Westlich des Sperrwerks, also unterhalb der Staumauer, führen Hochspannungsleitungen von Süden nach Norden quer über das Flusstal.

Satellitenaufnahmen von Ende Mai und Anfang Juni belegen, dass sich der bauliche Zustand des Sperrwerks in den vergangenen Tagen verschlechtert hat. Zu erkennen sind zwei geöffnete Fluttore, durch die das Schmelzwasser des Frühjahrs abfließt. Unmittelbar daneben ist ein Teil der Fahrbahn-Konstruktion offenbar eingebrochen. Dieser Vorfall muss sich zwischen dem 28. Mai und dem 5. Juni ereignet haben.

Beschädigungen vor dem Dammbruch erkennbar:

Die Flutwelle aus dem Kachowka-Stausee wird das linke Ufer aller Voraussicht stärker treffen als die gegenüberliegende Seite. Der Unterlauf des Dnipro folgt ab Nowa Kachowka einer Höhenstufe. Auf der ukrainisch gehaltenen Seite zieht sich ein ausgeprägtes Steilufer bis fast zur Mündung. Die Innenstadt von Cherson befindet sich auf einem Höhenzug.

Die Flutwelle gefährdet insbesondere die Siedlungen am linken Ufer in den russisch kontrollierten Gebieten am Dnipro. Hier ist das Ufer flach, das Hinterland stellenweise sumpfig. Mehr als ein Dutzend Ortschaften liegt hier am Beginn der flachen Ebene der südukrainischen Steppenregionen.

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(Foto: Kartendaten: © OpenStreetMap-Mitwirkende, SRTM | Kartendarstellung: © OpenTopoMap (CC BY-SA 3.0))

Von der Überflutung akut bedroht sind jedoch insbesondere die zahlreichen Flussinseln und die niedrig gelegenen Gebiete an den Einmündungen der Nebenflüsse. Daten des Nasa-Erdbeobachtungsdienstes MODIS erlauben bereits wenige Stunden nach der Katastrophe eine erste Einschätzung zum Ausmaß der unmittelbar betroffenen Gebiete.

Die Wassermassen des Stausees haben demnach bis zum Nachmittag des 6. Juni vor allem die ufernahen Flächen am linken, südlichen Dnipro-Ufer überflutet. Die Nasa-Auswertung liefert allerdings nur Näherungswerte: Die Daten beruhen auf einer automatischen Analyse optischer Sensor-Daten. Angezeigt wird die Ausdehnung reflektierender Wasseroberflächen.

Da, wo die Flutwelle bewaldetes Gelände überspült, zeigen die Nasa-Daten nichts an. Das betrifft zum Beispiel auch die größtenteils baumbestandenen Flussinseln im Dnipro-Delta, wo sich der Fluss rund 90 Kilometer unterhalb des Kachowka-Damms südwestlich von Cherson ins Schwarze Meer ergießt.

Hinweis: Die Infografik zum Wasserstand im Kachowka-Stausee wird aktualisiert, sobald neue Daten vorliegen.

Daten zum Pegelstand im Kachowka-Stausee deuten darauf hin, dass der Wasserstand im Frühjahr ungewöhnlich stark anstieg. Die Vermutung liegt nahe, dass die Regulierung über die Fluttore am Staudamm kriegsbedingt beeinträchtigt war. Nach einem Tiefstand im Januar erreichte der Pegel historische Höchstwerte.

Die Angaben zum Pegelstand beruhen auf Messdaten aus dem Orbit: Forscher eines europäischen Erdbeobachtungsnetzwerks halten hier mittels Satelliten und Radarsignalen die Füllstände wichtiger Gewässer im Blick. Diesen Daten zufolge lag der Wasserstand im Stausee zuletzt bei knapp 18 Metern - und damit gut rund zwei Meter über dem langjährigen Mittelwert.

Niedrigwasser im Winter, Höchststand vor dem Dammbruch:

Der ukrainischen Regierung zufolge sind bis zu 80 Ortschaften durch Überschwemmungen infolge der Zerstörung des Kachowka-Staudamms bedroht. Moskau und Kiew beschuldigen sich gegenseitig, den Kachowka-Staudamm gesprengt zu haben.

Unterhalb des Kachowka-Damms gab es vor dem Krieg nur noch eine Eisenbahnbrücke und die berühmte Antoniwka-Brücke und ansonsten bis zur Mündung ins Schwarze Meer keine einzige feste Dnipro-Querung. Seit dem gezielten Beschuss der Straßenbrücke bei Cherson und der anschließenden Sprengung durch abziehende russische Truppen kann der Fluss hier nur noch mittels Booten oder Fähren überquert werden.

Das Katastrophengebiet im Überblick kurz vor dem Dammbruch:

Der Unterlauf des Dnipro: Dieses hochauflösende Satellitenbild vom 5. Juni 2023 zeigt die von Überflutung bedrohten Regionen zwischen Nowa Kachowka (rechts im Bild) bis zur Dnipro-Mündung südwestlich von Cherson (links).

Der Unterlauf des Dnipro: Dieses hochauflösende Satellitenbild vom 5. Juni 2023 zeigt die von Überflutung bedrohten Regionen zwischen Nowa Kachowka (rechts im Bild) bis zur Dnipro-Mündung südwestlich von Cherson (links).

(Foto: © Planet Labs PBC)

Auch der Damm bei Nowa Kachowka und die angrenzenden Anlagen des Wasserkraftwerks standen in den vergangenen Monaten wiederholt unter Beschuss. Von ukrainischer Seite aus wurden zum Beispiel die Straßenverbindungen auf der südöstlichen Seite gezielt zerstört.

Die ukrainischen Artillerieschläge beschränkten sich allerdings erkennbar auf die Fahrbahn sowie auf die russischen Behelfsbrücken an den Schleusenanlagen. Im November vergangenen Jahres erschütterte im Zuge des russischen Rückzugs aus der Cherson-Region eine schwere Explosion den Damm auf der nordwestlichen Seite. Diese Explosion ist durch Videoaufnahmen belegt.

Experten gehen bislang nicht davon aus, dass der Dammbruch durch die erlittenen Kriegsschäden ausgelöst worden sein könnte. Die Regierung in Kiew spricht von einer gezielten Sprengung durch russische Kräfte. Moskau wiederum behauptet, die Ukrainer hätten den Damm gesprengt, um die Cherson-Front zu sichern.

Die Indizien- und Interessenlage sprächen dafür, dass Russland hinter der Zerstörung steckt, erklärte Militärexperte Thomas Wiegold. Die enormen Schäden deuteten auf eine gezielte Sprengung hin, meinte auch der Dammbau-Experte Arnd Hartlieb von der TU München. "Da muss etwas Gewaltiges passiert sein", sagte er bei ntv.

Quelle: ntv.de

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