Politik

Kampf gegen Linksextremismus Das "linksunten"-Verbot führt in ein Dilemma

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Eine Demonstration gegen das Verbot der Seite "Linksunten".

(Foto: picture alliance / Felix Kästle/)

Soll der Staat ein linksextremistisches Propagandaportal dulden, um an Informationen aus der Szene zu gelangen? Manch Polizist und Experte empfiehlt es. Das Innenministerium widerspricht entschieden.

Dass Aussagen eines Landesvorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) für Furore sorgen, ist äußerst selten. Jan Reinecke hat es kürzlich geschafft. Der Hamburger Chef des BDK kritisierte das Verbot der linksextremistischen Internetplattform "linksunten.indymedia.org". Die Entscheidung von Bundesinnenminister Thomas de Maziere sei "mehr Wahlkampfsymbolik als sinnvoller Kampf gegen Linksradikale". Das Portal sei "polizeitaktisch sogar wichtig, um die Szene, ihre Pläne und Bekennerschreiben zu beobachten. Das fehlt den Polizisten nun in Zukunft".

Die Aufregung war groß. Aus den eigenen Reihen erfuhr Reinecke heftigen Widerspruch, was auch daran liegt, dass gerade Polizisten sehr oft Opfer von Hasstiraden auf "linksunten" waren. Nach dem Hamburger G-20-Gipfel erklärten etwa Autonome aus Freiburg, wo vier mutmaßliche Betreiber der Internetseite festgenommen worden waren, auf "linksunten": "Wir freuen uns über jedes zusammengebrochene Bullenschwein."

"Ich weiß nicht, was den Hamburger Kollegen geritten hat. Man sollte nicht davon ausgehen, dass der Innenminister die Plattform aus Jux und Tollerei dicht gemacht hat oder weil Wahlkampf ist", sagt ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) erklärte: "Das Verbot trifft die Richtigen. Warum es allerdings erst jetzt kommt, obwohl der Verein schon seit Jahren extremistisch wirkt, muss man sich schon fragen."

Die Frage ist leicht zu beantworten. Nach der Hamburger Gewaltorgie haben sich Politik und Sicherheitsbehörden einen verstärkten Kampf gegen den Linksextremismus auf die Fahnen geschrieben. Experte Olaf Sundermeyer, der seit Jahren die ultrarechte und -linke Szene verfolgt, spricht von einer Neujustierung. Seiner Meinung nach ist als Folge des G-20-Gipfels "deutlich zu erkennen", dass sich der Sicherheitsapparat "künftig intensiver mit dem Thema Linksextremismus beschäftigen" werde.

Sundermeyer stellt - wie Reinecke - in Frage, ob das Verbot der Plattform richtig gewesen sei, "weil das allen anderen die Möglichkeit nimmt, zu beobachten, was diese Szene treibt". Zumal "ganz schnell eine Alternative im Netz" auftauchen werde. Soll der Staat also ein linksextremistisches Propagandaportal dulden, das Tag für Tag gegen Polizisten und politische Gegner hetzt, um weiter an Informationen aus der Szene zu gelangen? Reinecke gibt keine Antwort auf die Frage. Er begründet dies mit Zeitmangel.

Staat konnte Anhaltspunkte auf Rechtsbrüche nicht mehr hinnehmen

Dafür steht der stellvertretende BDK-Bundesvorsitzende Michael Böhl Rede und Antwort. Er spricht offen von "einem Dilemma des Rechtsstaates". Gerade im Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel habe sich gezeigt, dass "linksunten" eine "bedeutsame Quelle" zur Aufklärung und Verhinderung von Straftaten gewesen sei, erklärt Böhl auf Anfrage von n-tv.de. Nichts anderes habe Reinecke gemeint. Dessen ungeachtet habe de Maiziere richtig gehandelt. "Die Anhaltspunkte auf Rechtsbrüche waren so stark gestiegen, dass sie der Staat nicht mehr hinnehmen konnte, nur um eine Quelle zu erhalten." Diese Rechtsgüterabwägung sei völlig normal und richtig. Wenn Fahnder bei der Verfolgung von Drogendealern auf misshandelte Zwangsprostituierte stießen, müssten sie auch einschreiten und den Frauen helfen, auch wenn dann vielleicht die Rauschmittelhändler davonkämen.

Das Bundesinnenministerium widerspricht Reineckes Position auf ganzer Linie. Die Sicherheitsbehörden verfügten auch so "über hinreichende Instrumente", die linksextremistische Szene zu beobachten. Zudem sei die "weit überwiegende Zahl" der Strafverfahren gegen Inhalte auf dem Portal ergebnislos geblieben. Gewaltexzesse wie beim G-20-Gipfel könnten "nicht durch die bloße Beobachtung von "linksunten.indymedia‘ verhindert werden".

Ähnliches ist auch aus diversen Landesämtern für Verfassungsschutz zu hören. Zwar wird dort betont, dass die Plattform zahlreiche Informationen sowohl zur links- als auch zur rechtsextremistischen Szene geliefert habe. Tatsächlich offenbarte die Antifa-Bewegung auf dem Portal einen hohen Kenntnisstand über Veranstaltungen von Neonazis und anderer politischer Gegner der Ultralinken, insbesondere der AfD. Der Einschätzung, die Wächter des Grundgesetzes würden einer wichtigen Quelle beraubt, wird allerdings widersprochen.

Erfolgreiche Klage gegen das Verbot wäre Rohrkrepierer für den Minister

Beim Hamburger Verfassungsschutz heißt es zum Beispiel: "Einfacher wird es für die Verbreitung der Propaganda durch die Szene sicherlich nicht, wenn man sich die via Internet erzielte Reichweite von ‚indymedia‘ anschaut". Zwar würden "auch offene Quellen" ausgewertet, "aber natürlich nicht nur". Da es sich bei dem Portal um eine "Plattform mit einer großen Reichweite handelt", sei all die Hetze gegen den Staat und seine Repräsentanten nicht hinnehmbar.

Allerdings zeigt sich die Zwickmühle auch an anderer Stelle. Das Verbot von "linksunten" könnte die Gewaltbereitschaft erhöhen und die völlig zerstrittene Szene zusammenschweißen - ein Effekt, den der Verfassungsschutz ohnehin nach dem G-20-Gipfel feststellte. Das Bundeskriminalamt rechnet mit "Solidaritäts- und Vergeltungsaktionen" gegen staatliche Einrichtungen, wie nach Angaben der "Welt am Sonntag" aus einer vertraulichen "Gefährdungsbewertung" vom 25. August hervorgeht. Auch das Landeskriminalamt Baden-Württemberg warnt davor, dass das Verbot von "linksunten" als "Angriff auf die linke Szene als Ganzes wahrgenommen" werde und es "zu Solidaritätsaktionen sowie zu entsprechenden Resonanzstraftaten kommt".

Ein regelrechter Rohrkrepierer für den Innenminister könnte seine Entscheidung werden, wenn sich die mutmaßlichen Betreiber des Portals mit ihrer Klage gegen das Verbot durchsetzen. De Maiziere hatte "linksunten", seine Macher und deren Mitstreiter zum Verein erklärt. Die inhaftierten Linksextremisten sprechen von Missbrauch des Vereinsrechts, "um sich eines unliebsamen Nachrichtenportals zu entledigen". ​Jürgen Kasek, Sprecher der sächsischen Grünen meint: ​"Ob das Verbot rechtlich Bestand hat, wird sich erst noch zeigen müssen." Kasek ist vom Fach. Er ist Rechtsanwalt.

Quelle: ntv.de

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