Volle Macht plötzlich greifbar Demokraten stehen vor Senats-Showdown
06.11.2020, 17:44 Uhr
Wenn Biden das Weiße Haus gewinnt, der Senat aber an die Republikaner geht, wird das Regieren schwer.
(Foto: AP)
Während Joe Biden in Georgia an Donald Trump vorbeizieht und der Demokrat damit wohl kurz vor dem Einzug ins Weiße Haus steht, läuft in dem südlichen Bundesstaat noch eine weitere entscheidende Wahl: die um die Mehrheit im Senat.
Entschieden ist bislang nicht, wer Präsident der Vereinigten Staaten wird oder bleibt - auch wenn die Chancen des demokratischen Kandidaten Joe Biden von Stunde zu Stunde besserstehen. Sollte Biden ins Weiße Haus einziehen, stünde er möglicherweise vor einem Problem: Wie schon in der Amtszeit von Barack Obama könnten die Republikaner seine Initiativen blockieren.
Der US-Präsident ist bei Gesetzesvorhaben auf die beiden Kammern des Kongresses, das Repräsentantenhaus und den Senat angewiesen. Das Repräsentantenhaus dürfte in demokratischer Hand bleiben, im Senat aber haben die Republikaner die Nase vorn. Im Wahlkampf hatten die Demokraten mit dem Schlachtruf "Flip the Senate" dazu aufgerufen, die Kammer zurückzuerobern - doch die erhoffte "Blaue Welle" blieb aus.
Vier zusätzliche Abgeordnete wären für den Machtwechsel aus eigener Kraft nötigt, bislang kann nur ein Demokrat einen zuvor republikanischen Sitz erobern - der frühere Astronaut Scott Kelly verdrängt wohl für die Demokraten die republikanische Senatorin von Arizona, Martha McSally. Nun aber zeichnet sich plötzlich doch noch ein Weg zur demokratischen Mehrheit im Senat ab: im auch für die Präsidentschaft zentralen Südstaat Georgia.
In Georgia droht ein Senatswahlkampf neuen Ausmaßes
Hier wurde über zwei Senatssitze abgestimmt. Für den ersten traten pro Partei zwei Kandidaten an, keiner der vier erreichte 50 Prozent der Stimmen. In dieser "Senate Special Election" liefern sich nun die republikanische Amtsinhaberin Kelly Loeffler und der stärkere der demokratischen Herausforderer, Pastor Raphael Warnock, Anfang Januar eine Stichwahl. Noch enger geht es im Rennen um den zweiten Senatssitz zwischen nur zwei Kandidaten zu.
Dort liegt der demokratische Kandidat, Jon Ossoff, zwar knapp hinter dem Republikaner David Perdue. Doch auch in diesem Duell reicht nicht die relative Mehrheit, um einen Sitz im Senat zu gewinnen, es muss die absolute Mehrheit sein. Amtsinhaber Perdue fiel mit jeder weiteren Tranche ausgezählter Stimmen um wenige Punkte zurück - und liegt nun hauchdünn unter den erforderlichen 50 Prozent. Erreicht diese keiner der Kandidaten, gibt es auch hier im Januar eine Stichwahl.
Diese Stichwahlen würden richtungsweisend, denn es ist gut möglich, dass sie über die Macht im Senat in Washington entscheidet. Gewinnen die Demokraten beide Sitze, würden sie in der Kammer ein Patt von 50 zu 50 herstellen. Das wäre aus eigener Kraft zwar noch keine Mehrheit, aber: Zieht Joe Biden ins Weiße Haus ein, wird seine Vizepräsidentin Kamala Harris die "Tiebreakerin" im Senat. Endet eine Abstimmung dort im Gleichstand, bricht ihre Stimme das Unentschieden.
Um diese Mehrheit zu sichern, wird in Georgia ein Senatswahlkampf bislang ungekannten Ausmaßes erwartet: Zwei Monate vor der Stichwahl wäre klar, dass allein diese beiden Sitze über die Macht in der Kammer entscheiden. Denn angenommen, Joe Biden würde am 20. Januar als Präsident vereidigt, bräuchte er für jedes maßgebliche Gesetz die Zustimmung der Republikaner im Senat. Für die Demokraten eine Horrorvorstellung, für die Republikaner eine große Chance: Es wäre eine ihrer letzten Bastionen, Biden daran zu hindern, seine Wahlversprechen umzusetzen.
Nicht nur die Corona-Hilfen stehen auf der Kippe
Wegen des Konjunktureinbruchs durch die Corona-Krise hat Biden im Falle eines Wahlsiegs ein großes Hilfspaket angekündigt. Er will damit den Amerikanern und der US-Wirtschaft finanziell durch die Pandemie helfen. Die Republikaner würden ein solches Hilfspaket möglicherweise aus Trotz verhindern wollen. Außerdem hatte Biden im Wahlkampf angekündigt, als Präsident die Krankenversicherung auszuweiten. "Jeder sollte das Recht auf eine bezahlbare Gesundheitsversorgung haben", sagte er in einem TV-Duell mit US-Präsident Donald Trump. Biden will den US-Amerikanern die Wahl zwischen einer Privatversicherung und der Option einer öffentlichen Gesundheitsversorgung geben. Mit "Bidencare" sollen auch die Preise für Arzneimittel erschwinglicher werden. Dass er dafür einen republikanischen Senat hinter sich bekommen würde, darf als unwahrscheinlich gelten.
Ein weiteres Vorhaben von Biden wäre der angestrebte Wandel in der Klimapolitik. Unter seiner Präsidentschaft sollen vier Millionen Gebäude im ganzen Land energetisch saniert und dafür mindestens eine Million Arbeitsplätze geschaffen werden. Weitere Jobs sollen durch den Ausbau der Elektromobilität entstehen. Alles Ideen, die durch den Senat gehen müssten. Die angekündigte Rückkehr ins Pariser Klimaabkommen könnte Biden dagegen auch ohne die Hilfe der Senatoren umsetzen. Schon dem eigentlichen Beitritt der USA hatte der Senat nicht zugestimmt.
"Trump wird immer noch da sein"
Die Oberhand im Senat wäre nicht nur ein Triumph für die Republikaner, sondern letztlich auch ein Erfolg für Donald Trump - auch wenn er die Präsidentschaftswahl verlieren sollte. Selbst Senatoren, die ihn Anfang 2016 noch scharf kritisiert hatten, etwa Ted Cruz aus Texas oder Lindsey Graham aus South Carolina, haben sich spätestens nach dessen Wahlsieg vor vier Jahren zu loyalen Trump-Gefolgsleuten gedreht. Sie könnten zu dem Schluss kommen, dass eine weitere 180-Grad-Wendung ihrer Karriere schaden würde, schließlich hat Trump die Wahl zwar mutmaßlich verloren. Doch die Zustimmung zu ihm ist unter den republikanischen Wählern weiterhin sehr hoch. Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, hat bereits im Vorhinein einen harten Kampf angekündigt, sollte Biden die Wahl gewinnen.
Dabei sollte man jedoch im Hinterkopf behalten, dass nicht nur Trump als "Deal-Maker" bekannt ist. Joe Biden hat sich in seiner politischen Laufbahn immer wieder für eine Zusammenarbeit mit der anderen Seite eingesetzt. "Ich denke, er wird sich bemühen, überparteilich zu sein", sagte die Politologin Sudha David-Wilp vom German Marshall Fund im Interview mit ntv.de. Wahrscheinlich ist das aber nicht: "Trotzdem könnte es sein, dass die republikanischen Senatoren unter Druck gesetzt werden, nicht mit den Demokraten zusammenzuarbeiten, denn Trump wird auch nach einer Niederlage noch da sein", so David-Wilp. Der Trumpismus könnte also auch ohne Donald Trump weitergehen.
Quelle: ntv.de