Dreikönigstreffen in Stuttgart "Der Erfolg könnte für die FDP zum Problem werden"
06.01.2022, 08:23 Uhr
Christian Lindner vor einem Jahr beim Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart. An diesem Donnerstag tritt der Parteichef erstmals als Regierungsmitglied im Stuttgarter Opernhaus auf - wegen Corona erneut ohne Publikum.
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Mittelfristig werde die alleinige Fixierung der FDP auf ihren Chef Christian Lindner nicht ausreichen, sagt Liberalismus-Experte Hans Vorländer im Interview mit ntv.de. In der Klimapolitik erwartet der Politologe, dass es "zunehmend auch nach außen sichtbare Konflikte" zwischen FDP und Grünen gibt.
ntv.de: Die FDP hat im Wahlkampf stark auf einen Kurswechsel in der Corona-Politik gesetzt, aber geblieben ist davon nach mehrmaligen Änderungen des Infektionsschutzgesetzes kaum etwas. Muss Christian Lindner befürchten, dass seine Partei durch die Beteiligung an der Ampel an Strahlkraft verliert?

Hans Vorländer ist Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung und des Mercator Forums Migration und Demokratie an der TU Dresden. Er ist u.a. Mitglied des Sachverständigenrates für Integration und Migration und Vorsitzender des Beirats für gesellschaftlichen Zusammenhalt des Landes Sachsen.
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Hans Vorländer: Es ist immer ein Unterschied, ob sich eine Partei in der Opposition befindet oder an der Regierung beteiligt ist. Beteiligung an der Regierung bedeutet, Kompromisse einzugehen und mit den Koalitionspartnern einen pragmatischen Weg zur Lösung von Problemen zu suchen. Das findet im Augenblick statt.
Mittlerweile kann Lindner sich vorstellen, für eine Impfpflicht zu stimmen, auch wenn das Thema in der FDP noch umstritten ist. Sind Impfpflicht und Liberalismus überhaupt miteinander vereinbar?
Liberalismus ist eine ideenpolitische Strömung, die Freiheit und individuellen Rechten einen Vorrang gibt. Aber gleichwohl ist Freiheit nicht ohne soziale Verantwortung denkbar. Wenn die Appelle, sich impfen zu lassen, nicht ausreichen, ist auch in einem liberalen Paradigma eine Befürwortung der Impfpflicht denkbar, zumal wir das beispielsweise bei Kindern bei den Masern bereits haben. Unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte, insbesondere der Verhältnismäßigkeit, ist auch für eine liberale Partei eine Impfpflicht begründbar.
Für welchen Liberalismus steht die FDP heute?
Die FDP vereint seit ihrer Gründung sowohl wirtschaftsliberale wie bürgerrechtsliberale, aber auch sozialliberale Strömungen, die zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlicher Weise programmatisch verankert waren. Gegenwärtig wird man sicherlich sagen können, dass die großen Auseinandersetzungen, die es früher in der FDP gab, Geschichte sind. Im Wesentlichen hat sich die FDP auf einen pragmatischen Liberalismus hin orientiert, bei dem es Bezüge zum Bürgerrechts- und Rechtsstaatsliberalismus gibt, in dem aber vor allem die marktwirtschaftliche Orientierung stark verankert ist. Spuren eines sozialen Liberalismus findet man beispielsweise in Fragen des sozialen Aufstiegs, der ja auch in der Wahlplattform vor der Bundestagswahl eine gewisse Rolle gespielt hat.
Würden Sie sagen, dass die sozialliberalen Spuren ein wesentlicher Grund waren, warum die FDP bei der Bundestagswahl gewählt wurde?
Große programmatische Orientierungen spielen selten eine entscheidende Rolle bei Wahlen, da kommt es eher auf die konkreten Personen, die Alleinstellungsmerkmale und die Funktion einer Partei an. Die FDP hat erstens von der Schwäche der CDU profitiert, zog zweitens junge Wähler an, war drittens mit ihrem moderat kritischen Kurs in der Corona-Pandemie erfolgreich und wurde schließlich auch gewählt, weil von Lindner erwartet werden konnte, dieses Mal in die Regierungsverantwortung zu gehen.
Die FDP konnte im Koalitionsvertrag nicht alle Wahlversprechen erfüllen, zum Beispiel gibt es noch immer den Solidaritätszuschlag für Top-Verdiener. Glauben Sie, dass FDP Anhänger der Partei das übel nehmen werden?
Nein. Dahinter steckt das Kalkül, dass diese Frage durch das Bundesverfassungsgericht geklärt wird. Insofern musste die FDP sich da nicht verkämpfen. Zumal die SPD sich darauf auch nicht eingelassen hätte.
Mit welchen Projekten und welchen Inhalten könnte die FDP sich ihren heutigen Anhängern für eine Wiederwahl 2025 empfehlen?
2025, das ist noch weit weg. Bis dahin wird die Koalition eine Reihe von Krisen und Veränderungen meistern müssen. Die FDP muss in dieser Zeit zeigen, dass sie überzeugende Konzepte hat und diese auch im Konzert mit SPD und Grünen durchsetzen kann. Gerade bei der Bewältigung und Einhegung des Klimawandels dürfte es zunehmend auch nach außen sichtbare Konflikte geben, vor allem mit den Grünen. Im Moment wird dieses Thema noch von der anderen Krise, der Corona-Krise überlagert. Aber die Transformation der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität ist das große Thema. Hier gibt es ganz unterschiedliche ordnungspolitische Vorstellungen bei FDP und Grünen, die sicher noch kontrovers ausgetragen werden.
Ist die starke Fokussierung der FDP auf Lindner ein Problem oder ein Ausweis seines Erfolgs?
Der Erfolg könnte zum Problem werden, weil die FDP mit der Fixierung auf Lindner auch eine deutliche Schwäche zu erkennen gibt. Es ist nicht richtig sichtbar, wo die nachfolgende Generation ist. Vor allen Dingen hat die FDP nach außen hin in den Führungspositionen ein Frauenproblem. Mittelfristig wird die alleinige Fixierung auf Lindner nicht ausreichen.
Im Bundestag sind die FDP-Abgeordneten in die Mitte gerückt, sie sitzen künftig zwischen Grünen und Union. Sehen Sie auch ein inhaltliches Rücken in die Mitte?
Die FDP hat sich wirtschaftspolitisch immer rechts von der SPD und in soziokulturellen Fragen immer links von der Union gesehen. Insofern entspricht die jetzige Sitzordnung am ehesten ihren eigenen politischen Positionierungen - obwohl man dazusagen muss, dass die FDP in den Parlamenten in der Regel eher rechts von der Union gesessen hat, was sich historisch erklärt. Aber es hat auch schon, zurzeit beispielsweise in Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz, eine Mitteposition der FDP im Parlament gegeben.
Sie haben die Schwäche der CDU bereits angesprochen - in den Niederlanden haben die Christdemokraten zuletzt weniger als 10 Prozent erreicht, den Regierungschef stellt dort seit 2010 die liberale VVD. Können Sie sich ähnliche Verhältnisse irgendwann in Deutschland vorstellen?
Das Parteiensystem befindet sich im Augenblick in großen Veränderungen, weil die traditionellen Bindungen abnehmen. Überraschungen sind daher immer möglich, wie man bei der Bundestagswahl bei der SPD gesehen hat. Aber dass die Schwächephase der CDU zu einer Mehrheitsposition der FDP werden könnte, die dann auch den Kanzler stellt, ist doch eher unwahrscheinlich.
Mit Hans Vorländer sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de