Blutiger Wahlkampf in Mexiko Der Linke ist Favorit, alle gegen Trump
01.07.2018, 05:54 Uhr
Favorit Andres Manuel Lopez Obrador ist angetreten, um sein Land von der Korruption zu befreien.
(Foto: picture alliance/dpa)
Mexiko wählt seinen neuen Präsidenten und Teile des Kongresses. Favorit ist der Linke López Obrador, der sich als Saubermann gegen eine korrupte Elite inszeniert – und als Sieger. Der Wahlkampf war blutig.
Die größte Unterstützung erhält der Mann, der die größte Angst auslöst. 100.000 Menschen strömen am Mittwochabend ins Aztekenstadion, um Andrés Manuel López Obrador bei seinem Wahlkampfabschluss zu sehen. Schon Stunden vor seinem Auftritt drängen sich Zehntausende Menschen durch eine Handvoll Eingänge. Wer kein Ticket hat, der rüttelt mit Tausenden anderen so lange an den Toren, bis sie nachgeben und der Weg frei wird. Die anderen müssen auf Leinwänden verfolgen, wie ein Orchester und Sänger mexikanische Klassiker darbieten, umgedichtet auf den Star des Abends. La Ola schwappt durchs Stadionrund. Amlo, wie López Obrador entsprechend seiner Initialen meist genannt wird, feiern sie wie einen Rockstar.
Mexiko wählt am heutigen Sonntag seinen neuen Präsidenten, und keiner ist so populär wie López Obrador. Der 64-Jährige tritt mit seiner Partei Morena im Wahlbündnis "Zusammen schreiben wir Geschichte" an. Es ist eine Entscheidung, die richtungsweisend für die Zukunft des Kontinents sein kann. Gegen die Gewalt und Ungleichheit im Land, in Zeiten eines Handelskonflikts mit den USA, der alles noch schlimmer machen könnte, als es schon ist. Etwa 40 Prozent der mexikanischen Bevölkerung lebt in Armut, gibt die Weltbank an.
Die einen sehen in Amlo den Messias, der einzige, der aufräumen kann mit der korrupten Elite, und zugleich der Landbevölkerung und den Armen hilft. Die anderen fürchten ihn, verteufeln ihn als autoritär und gefährlich, als zweiten Hugo Chávez, der das Land in ein zweites Venezuela umbauen wird. Anlass dazu geben Amlos populistische Rhetorik und autoritäre Tendenzen in der Vergangenheit – entsprechende Ankündigungen des ehemaligen Bürgermeisters von Mexiko-Stadt gibt es jedoch nicht. Drei Kandidaten wollen verhindern, dass Amlo gewinnt: Ricardo Anaya von der Partei PAN, ein 39-jähriger konservativer Anwalt, José Antonio Meade, für die PRI ein 49-jähriger Technokrat und Yale-Absolvent, sowie der unabhängige Kandidat Jaime Rodríguez, Gouverneur des Bundesstaats Nuevo Leon.
Auf ihre Gründe für die Unterstützung Amlos angesprochen, ist von Besuchern auf dem Stadiongelände vor allem eines zu hören: Die Hoffnung auf einen "radikalen Wandel". Es ist das, was Amlo ihnen an diesem Abend von der Bühne zurufen wird. Die Wurzel allen Übels, aller Probleme des Landes, dies sei die Korruption. "Wir verkaufen uns nicht", versicherte er. Er werde mit den Korrupten aufräumen und die "Machtmafia" besiegen. Seine Partei Morena, Abkürzung für "Bewegung für eine Erneuerung des Landes", könnte sogar noch einen größeren Sieg davontragen als die Präsidentschaft. Erringt sie im Kongress eine Mehrheit, erleichtert das möglicherweise angestrebte Verfassungsänderungen.
Blutiger Wettstreit
Die großen Themen der Wahlkampagnen waren national, es ging eben um jene Korruption, Armut und Ungleichheit, sowie Gewalt; die größten Probleme Mexikos. Der Wettstreit um die rund 90 Millionen Stimmberechtigten war dabei blutig wie nie zuvor: Mindestens 132 Politiker starben dabei, 48 von ihnen wollten für ein Amt antreten. Mehr als 1000 Menschen zogen ihre Kandidatur zurück, manche davon wegen Drohungen gegen sie oder Familienmitglieder. Die Mexikaner haben genug von den alten Parteien, sie sind wütend, vor allem auf die jahrzehntelang regierende PRI des aktuellen Präsidenten Enrique Peña Nieto. Dessen Scheitern lässt sich für sie beziffern: Im Jahr 2017 wurden 29.168 Tote durch Gewaltverbrechen registriert, so viele wie nie zuvor. Es wird in diesem Jahr wohl noch schlimmer. In den ersten drei Monaten wurden bereits 7667 Tote gezählt, 20 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Der Mai ist nun der Rekordmonat mit fast 3000 Toten, noch nie waren es mehr.
Ein anderer Grund für die Wut ist Korruption, die manchmal auch mit der Gewalt einhergeht. Exemplarisch ist die Ermordung der 43 Studenten im Bundesstaat Guerrero im Jahr 2014, bei der die Polizei mit der Drogenmafia "Guerreros Unidos" zusammenarbeitete. Danach kam es zu riesigen Demonstrationen im ganzen Land. Nur von zwei Studenten wurden die Überreste bislang identifiziert. Noch heute ist auf dem breiten Paseo de la Reforma im Zentrum von Mexiko-Stadt ein großes Zelt als Mahnwache aufgebaut, mit großformatigen Fotos der Toten und bemalten Bettlaken, die Konsequenzen fordern. Eine Tafel zeigt anklagend die Zahl der Tage, seit denen die Studenten verschwunden sind. Das umzäunte, weiße Senatsgebäude steht ein Stück die Straße herunter. Transparency International stuft Mexiko auf seinem Korruptionswahrnehmungsindex auf Platz 135 von 180 ein.
Alle gegen Trump
Das einzige außenpolitische Thema des Wahlkampfs war die Beziehung zu den Vereinigten Staaten, zum großen nördlichen Nachbarn und wichtigsten Handelspartner. Die Mexikaner verbindet eine Hassliebe mit den USA. Die Drohungen aus dem Norden, die Diffamierung von Mexikanern als potenzielle Vergewaltiger und "Tiere", der Streit um das Freihandelsabkommen Nafta und die Zölle als Druckmittel; all dies hat nicht nur die Beziehungen deutlich verschlechtert, sondern auch die Reihen der politischen Konkurrenten geschlossen. Eines vereint die vier Präsidentschaftskandidaten, wie bei einer Präsidentschaftsdebatte im Mai deutlich wurde: Alle gegen Trump. Auch die aktuelle Regierung hat entsprechend gehandelt. Als die USA am 1. Juni ihre Zölle auf Stahl und Aluminium einführten, reagierte Mexiko seinerseits mit Zöllen auf verschiedene Produkte.
Beste Chancen zum Sieg hat allerdings Amlo mit seinem anvisierten Neustart in der Innenpolitik. Der inszeniert sich zwar als ein Außenseiter, der mit der "Machtmafia", der korrupten politischen Klasse und ihrer verbündeten Unternehmerschaft nichts zu tun hat. Das stimmt allerdings nicht, Amlo kandidiert bereits zum dritten Mal hintereinander. Doch in den Umfragen liegt er zwischen 14 und 32 Punkten vor Ricardo Anaya. Den konservativen Konkurrenten sehen Anhänger als technikaffinen, zukunftsorientierten Politiker, seine Kritiker halten ihn für manipulativ und berechnend. Noch nie hat er mit einer Wahl ein politisches Amt erreicht. Anaya fordert ein Grundeinkommen für alle, eine stufenweise Erhöhung des Mindestlohns und will Investitionen fördern. Den derzeitigen Präsidenten Peña Nieto beschuldigt er der Korruption und will ihn deshalb zur Rechenschaft ziehen lassen.
Bekannte Positionen vertritt der Konservative José Antonio Meade, der schon verschiedene Ministerämter innehatte. Er spricht sich für stärkeres militärisches Vorgehen gegen die mächtigen Drogenkartelle aus und hat Investitionen in Bildung, Krankenhäuser und Sozialprogramme angekündigt. Eine Chance wird er damit wohl nicht haben. Zwar sind Umfragen in Mexiko mit Vorsicht zu betrachten, aber einer Analyse von "El País" zufolge sind die Abstände so groß, dass die Wahrscheinlichkeit eines Amlo-Sieges bei 92 Prozent liegt.
Quelle: ntv.de