Politik

Silvio Berlusconi Der Totgesagte lebt

Rechtskräftig verurteilt, aber noch immer politisch aktiv: Silvio Berlusconi.

Rechtskräftig verurteilt, aber noch immer politisch aktiv: Silvio Berlusconi.

(Foto: REUTERS)

Am 4. März wird in Italien gewählt und wie es aussieht, dürfte Silvio Berlusconis Mitte-Rechts-Bündnis die führende politische Kraft werden. Derzeit sagen ihm die Umfragen sogar die absolute Mehrheit der Sitze voraus.

Wer hätte das gedacht? Niemand. Aber Silvio Berlusconi politisch totzusagen, ist der größte Fehler, den man in Italien machen kann. Und doch schien der 81-Jährige am Ende, als er am 9. Mai 2014 das Altenheim der Stiftung Heilige Familie in Cesano Boscone bei Mailand betrat, einen weißen Kittel überstreifte, um dann den ganzen Tag lang Alzheimerpatienten zu betreuen.

Da dachte ich, genauso wie alle Journalisten, die seinen ersten Tag als Sozialarbeiter auf Haftverschonung mit ihren Kameras bis zum Eingang des Altenheims begleiteten: Jetzt ist der auf sieben Milliarden Euro geschätzte Medienmogul wirklich politisch erledigt. Der steht nicht wieder auf. Falsch gedacht.

Am Ende einer zwölf Jahre andauernden juristischen Schlacht hatte die Staatsanwaltschaft von Mailand ihn doch noch erwischt, am letzten Zipfelchen einer jahrzehntelangen Steuerhinterziehung, wie es Staatsanwalt Fabio De Pasquale sagte. Das System Berlusconi war denkbar einfach. Schweizer Briefkastenfirmen unter seiner Kontrolle kauften Filmrechte in den USA und verkauften sie dann an die italienische Mutter Mediaset zum doppelten oder dreifachen Preis. Ein System, das seit 1994 nach den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft 368 Millionen Euro an der Steuer vorbeischleuste.

Auch mit 81 Jahren will Berlusconi sich nicht aus der Politik zurückziehen.

Auch mit 81 Jahren will Berlusconi sich nicht aus der Politik zurückziehen.

(Foto: dpa)

In seinen neun Jahren als Regierungschef ließ Berlusconi 21 Gesetze verabschieden, die ihn persönlich begünstigten: Verjährungsfristen wurden verkürzt, finanzielle Straftatbestände deutlich erleichtert. Trotzdem blieben am Ende 7,3 Millionen Euro hinterzogene Steuern übrig. Dafür wurde Berlusconi am 1. August 2013 rechtskräftig zu vier Jahren Haft verurteilt. Eine allgemeine Amnestie mit einem Strafnachlass von drei Jahren aus dem Jahre 2006 begünstigte auch ihn, so dass ein Jahr Haftverbüßung übrig blieb. Anstelle des Mailänder Gefängnisses "San Vittore" besuchte der Milliardär schließlich einmal in der Woche Alzheimerkranke.

"Er ist krank", sagte seine Frau über ihn

Nach der rechtskräftigen Verurteilung hatte ihn der Senat Italiens Ende 2013 aus seinen Reihen ausgeschlossen. Als Vorbestrafter verlor er auch den Ehrentitel "Cavaliere", Ritter der Arbeit. Eine Schmach für den stolzen Mailänder, schlimmer noch als die Vorwürfe seiner zweiten Frau, Veronica Lario, die 2009 über ihn sagte: "Er ist krank, und wer ihm heute nahe steht, sollte ihn in Behandlung bringen." Kurz zuvor war seine Liaison mit der eben erst 18 Jahre alten Neapolitanerin Noemi Letizia bekannt geworden. Sie könne nicht mehr mit einem Mann zusammen sein, "der mit Minderjährigen Umgang" habe, so Lario weiter.

Berlusconis Privatvilla "Arcore" bei Mailand war Schauplatz von Sex-Orgien, bei denen Dutzende Prostituierte auftraten, die er allesamt fürstlich entlohnte. Er ließ Prostituierte wie Patrizia D´Addario in seiner römischen Luxusresidenz "Palazzo Grazioli" übernachten. Das kam heraus, weil Berlusconi partout am Morgen der Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten nicht in den Pressesaal herunterkommen wollte. Der Grund war simpel, aber für uns Journalisten damals nicht vorstellbar: Berlusconi konnte aus den Privatgemächern nicht herunterkommen, weil er es vorzog, oben mit Patrizia D´Addario zu bleiben.

Auch der Sex-Skandal von 2010 um Karima Al-Marough, besser bekannt als Ruby Rubacuori, eine damals noch minderjährige Prostituierte, schadete ihm nicht. Um seine Gespielin aus dem Gewahrsam der Mailänder Polizei zu befreien, wo sie wegen eines Streites mit einer Mitbewohnerin gelandet war, rief er persönlich den Polizeichef von Mailand an und behauptete, Ruby sei eine Nichte von Hosni Mubarak. Der Polizeichef gehorchte. Allerdings kam bald heraus, dass sie eben nicht die Nichte des damaligen ägyptischen Präsidenten war, sondern ein junges Mädchen, aus einem Heim in Sizilien geflohen und als Prostituierte bereits polizeibekannt. Monatelang waren die Sex-Feste in Berlusconis Privatvilla bei Mailand in Arcore das Thema überhaupt in Italien. Am Ende wusste jeder Italiener, welche Sex-Praktiken der Gründer von Forza Italia wünschte, wie viele Damen gleichzeitig bei ihm in Diensten standen - sie bekamen Wohnungen und Juwelen geschenkt. Insgesamt hat er rund 50 Millionen Euro für die Damen ausgegeben.

Aber Berlusconi war das politische Stehaufmännchen. Weder die Vorwürfe, er habe Geld von der Mafia angenommen, um sein Immobilien-Imperium ab 1964 aufzubauen, noch die Aussagen einiger abtrünniger Mafiosi aus Palermo, einige Familien der Cosa Nostra hätten 1993 für Berlusconis Partei Forza Italia Wahlvereine gegründet, konnten ihm in den Augen der Italiener schaden. Noch mitten im Sturm der Sex-Skandale kehrte er 2011 wieder an die Regierung zurück. Die Verluste weiblicher Wählerstimmen schien er mit der heimlichen Bewunderung durch viele Männer wettgemacht zu haben.

Während Berlusconi drei Jahre später im Altenheim den Kranken beistand - aus Zeugenaussagen wissen wir, dass er vor allem Witze erzählte, um die Patienten bei Laune zu halten - traf ihn ein weiterer Tiefschlag: Sein engster Gefolgsmann Marcello Dell´Utri musste für sieben Jahre ins Gefängnis wegen "Beihilfe zur Mafia". Die beiden kannten sich aus ihrer Zeit an der Uni Mailand, Dell´Utri wurde der Kontaktmann zwischen Berlusconi und der Mafia. So platzierte er 1975 den Mafiaboss Vittorio Mangano direkt im Hause Berlusconis in Arcore als angeblichen "Stallmeister". Seine wirkliche Aufgabe war es, Berlusconis Kinder vor Entführungen durch andere Mafia-Familien zu schützen.

Ein Sozialdemokrat half Berlusconi beim Comeback

Um Berlusconi war es einsam geworden. Sein Hausanwalt Cesare Previti, der ihm Anfang der 1970er Jahre das Firmengeflecht Dutzender Briefkastenfirmen aufgebaut hatte, war wegen Justizbestechung verurteilt worden. Dell´Utri saß in Roms Hochsicherheitsgefängnis Rebibbia ein. Berlusconi selbst musste Sozialarbeit leisten. Niemand wettete mehr einen Pfifferling auf ihn.

Die Wiederauferstehung begann am 4. Dezember 2016, als 60 Prozent der Italiener die vom damaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi vorgeschlagene Staatsreform ablehnten. Zu Anfang hatte Berlusconi die Reform noch unterstützt, dann aber den politischen Wind gespürt, der sich in Italien gegen den jungen Reformpolitiker Renzi drehte: Der Sozialdemokrat hatte die Europawahlen in Italien mit einem Traumergebnis von 40 Prozent gewonnen und wollte Italien von Fuß bis Kopf erneuern. Aber viele seiner Vorhaben blieben auf halber Strecke stecken, weil sie in einer großteils statisch-reformunwilligen Bevölkerung auf enormen Widerstand stießen oder unausgegoren und halbherzig waren. Die Gewerkschaften rebellierten gegen die Lockerung des Kündigungsschutzes und ließen sich auch nicht mit Abgabensenkungen bei Neueinstellungen ködern. Immerhin bescherte diese Maßnahme den Italienern aber knapp 800.000 neue Arbeitsplätze.

Renzi verlor den Reformkampf auch im Dauerkonflikt mit den Altlinken seiner eigenen Partei, die eine neue Linkspartei namens "Gleich und Frei" gründeten. Berlusconis Forza Italia dagegen, schon auf 11 Prozent abgesunken, ist mit 16 Prozent wieder die relativ größte Partei der Rechten - weit entfernt von den 30 Prozent seiner Hochzeiten, aber mit den Verbündeten zusammen, der Lega Nord von Matteo Salvini und der Rechtspartei "Fratelli d´Italia" von Giorgia Meloni, könnte es unter dem neuen Wahlrecht, einer Mischung aus Proportional- und Mehrheitswahlrecht, zu einer Mehrheit der Sitze reichen.

Matteo Renzi, der strahlende Held der Europawahlen von 2014, musste nach dem Referendumsdebakel zurücktreten. Die Regierung seines Parteifreundes Paolo Gentiloni machte danach eigentlich keine großen Fehler und genießt gute Anerkennungswerte - aber Chef der Demokratischen Partei (PD) ist immer noch derselbe Matteo Renzi, den die Italiener vor drei Jahren als "Verschrotter der alten Politik und Politiker" bewunderten, dessen Überheblichkeit sie aber heute eher abstößt. Wer nicht die Protestpartei "Fünf Sterne" (M5S) wählt, die auf ein Viertel der Stimmen hoffen kann, sehnt sich zurück nach den guten alten Zeiten, nach Berlusconi, der den Wahlkampf führt wie schon 1994: prallvoll mit unfinanzierbaren Versprechungen: Eine Mindestrente in Höhe von 1000 Euro ist nur eine davon. Da mögen Renzi und die Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo nicht nachstehen. Abschaffung der Fernsehgebühren (Renzi) und ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle (Grillo): Es wird versprochen, was nicht haltbar ist.

Sollte am Ende keine absolute Stimmenmehrheit für eines der drei Lager herausspringen, gibt es aufgrund der totalen Absage der Grillo-Bewegung an Koalitionen wieder nur einen Ausweg: die italienische GroKo aus PD und Mitte-Rechts. Und da hat nur einer die Hand am Drücker: Silvio Berlusconi. Für sein Comeback sollte er sich vor allem bei Matteo Renzi bedanken, der die Wähler der Mitte zuerst magisch angezogen hatte, mit Reformwillen und jugendlichem Elan, dessen Projekte aber fast alle steckengeblieben sind und dessen Arroganz viele Wähler wieder zum Altbekannten zurückkehren lässt: zu Silvio Berlusconi.

Ein noch von ihm selbst mit verabschiedetes Gesetz von 2012 ("Legge Severino") nimmt dem einstigen Cavaliere übrigens bis heute das passive Wahlrecht. Er kann weder Abgeordneter noch Minister werden. Wenn Berlusconis Mitte-Rechts-Koalition die absolute Sitzmehrheit gewinnen sollte, müsste Berlusconi die Regierung von außen lenken.

Quelle: ntv.de

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