Politik

Genauso grausam wie der IS "Die Botschaft der Hamas ist: Ihr seid nicht mal Menschen"

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Hätte sich niemals vorstellen können, "dass wir mal an einen Punkt wie den jetzigen kommen": Harel Chorev.

Hätte sich niemals vorstellen können, "dass wir mal an einen Punkt wie den jetzigen kommen": Harel Chorev.

(Foto: IMAGO/Xinhua)

Die Grausamkeit von Samstag, die Orgien, in denen Gewalt gefeiert wird - das ist dem Palästina-Experten Harel Chorev sehr vertraut aus Forschung zur Terrormiliz IS. Wie viel beide Terrorgruppen gemeinsam haben und warum, erklärt er ntv.de.

Triggerwarnung: Der folgende Text enthält explizite Schilderungen brutalster Gewalt. Passagen des Textes können auf Leserinnen und Leser verstörend wirken.

ntv.de: Die Grausamkeit, mit der die Terroristen ihr Massaker angerichtet haben, ist schwer zu fassen. Hätte man dennoch mit so etwas rechnen müssen?

Der Historiker und Palästina-Experte Harel Chorev lehrt an der Universität Tel Aviv.

Der Historiker und Palästina-Experte Harel Chorev lehrt an der Universität Tel Aviv.

Harel Chorev: Hamas sollten wir vor allem anhand dessen beurteilen, was wir sehen, weniger anhand von Aussagen. Denn das ist einer der Gründe, warum Wissenschaftler, mich selbst eingeschlossen, sie in der Vergangenheit so falsch eingeschätzt haben. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass wir mal an einen Punkt wie den jetzigen kommen und so etwas erleben würden. Soll, darf ich das plastischer beschreiben?

Um das Ausmaß dieser Terrorattacke zu ermessen, wäre das gut.

Die Hamas hat sehr viel am Sonnabend selbst gedreht, die israelischen Behörden sammeln all diese Gräuel-Videos, die zum Teil auch im Internet zu finden sind. Darunter sind Aufnahmen von dem Musikfestival, sie zeigen Frauen, die bei lebendigem Leibe verbrannt werden, während die Terroristen um sie herum tanzen. Andere Menschen werden in ihrem Auto angezündet.

Wie haben die Terroristen in den Kibbuzim gewütet?

Ich weiß von einem Zeugen, der überlebt hat und berichten konnte, was er gesehen hatte. Ich hoffe, er wird irgendwann in der Lage sein, seine Aussagen aufzunehmen. Für den Moment gebe ich sie wieder: Im Beisein dieses Mannes wurde einer Hochschwangeren der Bauch aufgeschlitzt, das Kind entfernt und geköpft. Generell haben die Terroristen viele Köpfe von Opfern in den Gazastreifen mitgenommen, um sie als Trophäen zu präsentieren. Das alles sind Praktiken, die wir sehr gut kennen: vom IS, von der Terrormiliz Islamischer Staat. Und zwar nur vom IS. Keine politische Widerstandsgruppe würde sich je so verhalten.

Auf mehreren dieser Videos sind Leute zu sehen, die mit großen Kameras filmen. Es war offenbar geplant, diese Aufnahmen zu machen. Stolz liegt nahe als Motiv. Gibt es weitere?

Der Stolz auf die Grausamkeit ist das eine. Hinzu kommen zwei weitere Punkte, und auch hier sehen wir Parallelen zum Islamischen Staat. Der IS hat das mit seinen Opfern genauso gemacht, eine Enthauptung wurde mit vier Kameras aus allen Perspektiven gefilmt. Es wurde also stark in mediale Darstellung investiert mit Ziel 1: Mobilisierung. Andere Verrückte damit zu begeistern und für die Gruppe zu gewinnen. Ziel 2: Entmenschlichung. Es ist eine Botschaft an den Feind, und sie sagt: Ihr seid nicht einmal Menschen. Ihr seid gar nichts. Kakerlaken. Zum Zertreten. Dieselbe Botschaft senden die Filme vom Samstag. In den Trümmern der Kibbuzim wurden auch IS-Flaggen gefunden.

Wie stark ist die Verbindung zum IS?

Zu den Hochzeiten des IS, also um 2014 herum, haben nach unseren Kenntnissen etwa 20 Prozent der Menschen die Gruppe unterstützt. Viele dieser Leute haben sich dann Hamas oder der Terrorgruppe Islamic Djihad angeschlossen. Wie auch Al Quaida speisen sich die Ideologien dieser Gruppen aus radikalen Reformideen für den Islam aus dem späten 19. Jahrhundert, sie sind schon sehr alt. Aber vor allem nach 1967, durch die Enttäuschung über den verlorenen Krieg gegen Israel, entstanden daraus radikale Bewegungen.

Und 1988 dann die Hamas?

Genau, und sie hat sich damals eine Konvention gegeben, eine Norm, die mit Bezug auf Israel bereits von "eliminieren" sprach. Wie der IS das in Syrien versuchte, hat die Hamas sich in Gaza einen eigenen Staat geschaffen. Was von Al Quaida verurteilt wurde.

Warum das?

"Ein Staat macht schwach, Ihr habt zu viele andere Belange. Ihr könnt Euch dann nicht mehr voll auf den Dschihad, den Gotteskampf konzentrieren", war die Kritik von Al Quaida. Aber man sieht daran auch: Sie haben die Hamas von Anfang an als Gotteskrieger betrachtet.

Am Samstag hat es sehr viele Vergewaltigungen gegeben. Spielt eine solche Art der Erniedrigung eine Rolle im Konzept der Hamas?

Auch das ist eine Parallele zum IS, dass Vergewaltigungen fester Bestandteil solcher Massaker sind. Das speist sich nicht aus dem Islam, sondern aus früheren Stammesfehden und dem Männlichkeitsbild, das daraus übernommen wurde. Es ist ja bekannt, dass der IS jesidische Frauen gezwungen hat, Sexsklavinnen zu sein. Das ist dieselbe Denkweise. Man kann also nicht alles auf den radikalen Islam schieben, es hat auch Ursachen in dem Verständnis, was es bedeutet, ein Mann zu sein. Und wenn Du stirbst, dann war es das eben. Mehrere israelische Familien, die in ihren Häusern am Samstag gefangen gehalten wurden, haben von solchen Gesprächen berichtet. Die Terroristen sagten, "Es macht uns nichts aus zu sterben. Wir werden Märtyrer sein, wir sehnen uns danach." Diese Kultur der Todessehnsucht ist uns ebenfalls aus dem Dschihad vertraut. Die Aussage: "Wir lieben den Tod mehr als ihr das Leben liebt." Man hätte wissen können, dass so etwas kommen würde, aber wir haben die Zeichen nicht beachtet.

Haben Sie noch ein Beispiel?

Vor längerer Zeit wurde ein Familienvater in Jerusalem von Palästinensern getötet, ein orthodoxer Jude. Anschließend wurde in Gaza eine Karikatur öffentlich gemacht. Sie zeigt das Opfer in der Mitte eines traditionellen palästinensischen Gerichts, Makluba. Dort steht geschrieben: "Herrliches Makluba, herrlicher Freitag" - der Israeli wurde an einem Freitag ermordet. Der Zeichner dieser Karikatur arbeitet im Büro von Ismail Hanija, dem Chef des politischen Arms der Hamas.

"Herrliches Makluba" - der Kopf des jüdischen Opfers als Speise für eine palästinensiche Familie.

"Herrliches Makluba" - der Kopf des jüdischen Opfers als Speise für eine palästinensiche Familie.

(Foto: unbekannt)

Nach außen ist die Gruppe ganz anders aufgetreten. International hat sich Hamas viele Jahre als legitime Befreiungsorganisation der Palästinenser präsentiert, den Menschenrechten verpflichtet. Über diverse NGOs haben sie reichlich Geld eingesammelt und es investiert in Sub-Gaza.

Was ist das?

Sub-Gaza ist das Tunnelsystem unter dem Gazastreifen. Dort hat die Hamas sich eine milliardenschwere Infrastruktur eingerichtet. Ich kann mich an Geheimdienstberichte erinnern über die Nahrungsmittellager, die dort eingerichtet waren, vor zehn Jahren schon. Von der palästinensischen Bevölkerung abgezwackt, hat die Hamas damit ihre Entwicklung vorangetrieben. Die Mehrheit der Palästinenser im Gazastreifen unterstützt die Hamas nicht, sie hat die Menschen zu sehr ausgebeutet.

Mit Harel Chorev sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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