Peter Steudtner zum Fall Yücel "Die Haft endet nicht mit der Entlassung"
17.02.2018, 10:02 Uhr
Peter Steudtner kurz nach seiner Freilassung im Oktober 2017. Heute sagt er: "Wir hören erst auf, wenn sich die Lage ändert."
(Foto: dpa)
Deniz Yücel ist frei. Einer, der ein ähnliches Schicksal erlebt hat, berichtet darüber, was dem "Welt"-Journalisten jetzt bevorsteht. "Es ist nicht leicht, im normalen Leben anzukommen", sagt Peter Steudtner, der fast vier Monate im selben Gefängnis wie Yücel saß.
Was löst die Freilassung von Deniz Yücel bei Ihnen aus?
Peter Steudtner: Es ist eine große Erleichterung, dass Deniz raus ist. Wir kennen uns zwar nicht gut, aber wir haben eine große Verbindung - wir haben ein ähnliches Schicksal.
Peter Steudtner war 2017 in der Türkei Referent in einem Weiterbildungsseminar für Menschenrechtler. Unter dem Vorwurf, eine bewaffnete Terrororganisation unterstützt zu haben, kam er im Juli 2017 in Haft. Ende Oktober 2017 begann sein Prozess. Überraschend beantragte die Staatsanwaltschaft, die Untersuchungshaft ohne Auflagen aufzuheben. Steudtner reiste anschließend nach Deutschland aus.
Haben Sie damals in der Türkei miteinander gesprochen?
Wir haben uns in der letzten Woche meiner Haftzeit mehrmals durch dicke Panzerglasscheiben gesehen. Das war während der Anwaltsbesuche. Wir haben uns zugewunken und zugerufen. Aber wir konnten nicht miteinander sprechen.
Werden Sie sich in Deutschland treffen?
Ich bin mir sicher, dass wir uns treffen werden. Aber ich würde ihm erst einmal die Zeit gönnen, in Ruhe mit den Seinen anzukommen.
Ist es etwas anderes, mit Leidensgenossen zu reden?
Es sind unterschiedliche Ebenen, die man teilt. Die Isolation, dieses Nicht-Kommunizieren-Können, das teilt man ja auch mit seinen nächsten Angehörigen. Aber zu Menschen, die auch in der Türkei oder anderswo inhaftiert waren, da entsteht automatisch eine andere Nähe-Ebene. Da fragt man ganz natürlich: Wie war es denn bei dir?
Was ist nach einer Freilassung wichtig, vielleicht jetzt auch für Deniz Yücel?
Wichtig ist nicht nur die Solidarität in der Haftzeit, sondern auch danach. Weil die Haft nicht mit der Entlassung aufhört. Es ist nicht leicht, im normalen Leben anzukommen - wenn man weiß, wie es den anderen, die noch drin sind, geht. Viele Sachen, auch beruflich, gehen jetzt vielleicht nicht mehr. Auch da hilft Solidarität. Ich wünsche Deniz Yücel und allen anderen, die rauskommen, die gleiche Solidarität, die wir hatten - drinnen wie draußen.
Ihr Prozess ist noch nicht vorbei. Wie belastend ist das?
Das ist auf jeden Fall ein Damoklesschwert, das über uns schwebt. Wir sind zehn. Der elfte, um den es in unserem Prozess geht, ist Taner Kiliç, der türkische Vorsitzende von Amnesty International. Erst wurde er freigelassen und dann sofort wieder inhaftiert. Das ist auch für uns ein Schreckenszeichen. Acht von uns sind türkische Menschenrechtsverteidiger. Sie sind noch in der Türkei, und sie wollen dort auch sein. Das heißt, bei einem eventuellen Schuldigsprechen wäre ein direkter Zugriff auf sie möglich. Das ist schon belastend.
Was würde eine Verurteilung in der Türkei für Sie bedeuten?
Das hängt davon ab, ob die türkischen Behörden einen internationalen Haftbefehl gegen mich aussprechen würden. Ich nehme nicht an, dass die deutschen Behörden den umsetzen würden, weil das ganz klar politisch motiviert ist. Es gibt keinerlei Beweise gegen uns. Trotzdem ist das belastend. Das wird Deniz Yücel wahrscheinlich ähnlich gehen.
Was bleibt noch immer im Hinterkopf?
Ich habe das Glück, dass ich heute keinerlei Alpträume habe. Ich hatte sie auch im Gefängnis nicht. Gleichzeitig ist es natürlich belastend zu wissen, dass in der Türkei und anderswo Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Filmschaffende inhaftiert sind und die Zivilgesellschaft in vielen Ländern eingeschränkt ist. Das belastet mich jetzt stärker - aus meiner eigenen Erfahrung heraus. Gleichzeitig gibt mir das die Motivation, mich weiter für Menschenrechte einzusetzen. Wir hören erst auf, wenn sich die Lage ändert.
Sie sind in der Berlinale-Jury für den Friedensfilmpreis. Schauen Sie Kinofilme anders an als früher?
Natürlich spielen bei vielen dieser Filme Menschenrechtskonflikte eine Rolle. Aber es ist nicht so, dass ich dabei jetzt einen Fokus auf die Türkei hätte - oder auf Gefängnisfilme.
Quelle: ntv.de, Ulrike von Leszczynski, dpa