Politik

Interview mit Uwe Jun "Die Wähler haben Lust auf etwas Neues"

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Martin Schulz gibt der SPD neues Selbstvertrauen.

(Foto: imago/Jürgen Heinrich)

Fünf Wochen in Folge steht die SPD im Stern-RTL-Wahltrend von Forsa nun bei mehr als 30 Prozent, aktuell bei 32 Prozent. Man muss sehr weit zurückschauen, um so gute Umfragewerte für die Sozialdemokraten zu finden. Der Politologe Uwe Jun erkennt Ansätze für eine Wechselstimmung in Deutschland.

n-tv.de: Bei Forsa lag die SPD zuletzt im Oktober 2006 bei 32 Prozent. Sind die aktuellen Umfragewerte der SPD ein kurzfristiger Hype oder ein nachhaltiger Trend?

Uwe Jun: Das kann im Moment noch nicht endgültig beantwortet werden. Auf jeden Fall hat die Benennung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten und zum designierten Parteivorsitzenden so etwas wie einen Hype ausgelöst. Dieser Hype hat zwar auch etwas mit der Person zu tun, aber primär dient Schulz als Projektionsfläche für Hoffnungen, Wünsche und Erwartungen verschiedener Art. Wie lange das anhält, ist derzeit nicht prognostizierbar.

Eine Faustregel sagt, dass kein Kanzler und keine Kanzlerin abgewählt werden, wenn nicht Wechselstimmung herrscht. Gibt es die?

Ansätze sind zu erkennen. Das begann ansatzweise, als die Sympathiewerte der Kanzlerin im Zuge der Flüchtlingskrise zurückgingen. Allerdings gab es damals noch keine personelle Alternative zu Angela Merkel. Mit Schulz ist die nun da. Aber von Wechselstimmung insgesamt zu sprechen, erscheint mir verfrüht. Dennoch scheint es bei vielen Wählern eine Lust auf etwas Neues zu geben. Dies kann in eine Wechselstimmung münden. Für die Bundeskanzlerin wäre das ein Problem. Aber noch ist es nicht so weit wie 1998, als nach sechzehn Jahren Kohl die Wähler eine neue Bundesregierung wollten.

Ist die Strategie der SPD, auf eine Reform der Agenda 2010 zu setzen, erfolgversprechend?

Die SPD hat sich immer als linke Volkspartei verstanden und sich mit der Agenda schwergetan. Wenn sie sich jetzt davon löst, setzt das Selbstvertrauen frei, es gibt der Partei wieder eine eigene Gewissheit. Im Wahlkampf wirkt das mobilisierend. Schon deshalb ist diese Strategie vorteilhaft für die SPD, auch wenn es teilweise nur symbolische Änderungen sind, die Schulz vorschlägt.

Nutzt es der SPD oder schadet es ihr, wenn Arbeitgeberverbände Schulz' vorsichtige Abkehr von der Agenda kritisieren?

Der SPD nutzt vor allem, dass sie sich wieder deutlicher von der CDU abgrenzt. Das hat der Wähler in der Vergangenheit etwas vermisst. Die SPD war zu sehr eingeklemmt zwischen der Union auf der einen und Linken und Grünen auf der anderen Seite. Jetzt versucht sie, sich wieder mehr Spielraum im Parteienwettbewerb zu verschaffen.

Die Vorwürfe gegen Schulz, er habe in seiner Zeit als Präsident des Europaparlaments Mitarbeitern Zulagen zugeschustert, haben sich bislang nicht negativ auf seine Beliebtheitswerte ausgewirkt. Ist Schulz unangreifbar?

Die Pressestelle des Europäischen Parlaments hat Schulz ja entlastet. Danach hat das Thema keine große mediale Aufmerksamkeit mehr bekommen. Derzeit läuft meines Wissens eine Prüfung im Europäischen Parlament – sollte die zu dem Ergebnis kommen, dass Schulz sich falsch verhalten hat, könnte das zu seinem Nachteil ausfallen. Aber da muss man die Ergebnisse dieser Prüfung abwarten.

Die CDU veröffentlicht in den sozialen Medien derzeit Filme, in denen auf Widersprüche in Schulz' Aussagen hingewiesen wird. Zum Beispiel, dass Schulz sagt, dass die Reallöhne stagnieren, während Sigmar Gabriel erklärt, sie würden steigen. Kann so etwas funktionieren oder ist das für den Wahlkampf zu kompliziert?

Auf innere Widersprüche beim Wettbewerber hinzuweisen, ist ein probates Instrument. Und man muss auch sagen, dass Martin Schulz stärker als Frank-Walter Steinmeier oder Peer Steinbrück auf Emotionen und stärker auf eine subjektive Einschätzung von Politik setzt. Eine solche subjektive Einschätzung von Politik muss sich nicht immer an aggregierten Daten messen lassen.

Zugleich scheint die Union eine Art Neuauflage der Rote-Socken-Kampagne zu betreiben. Gibt es diese Angst vor Rot-Rot-Grün überhaupt noch?

Eine Angst davor gibt es nicht, so dass die Union sich in einer solchen Kampagne nicht auf Symbole beschränken könnte. Sie müsste ganz konkret benennen, welche möglichen negativen Auswirkungen Rot-Rot-Grün aus ihrer Sicht hätte. Der Verweis darauf, dass eine solche Koalition kommen könnte, würde sicher nicht reichen.

Was sagt Ihr Bauchgefühl: Bleibt Merkel Kanzlerin oder löst Schulz sie ab?

Als Politikwissenschaftler versuche ich, Einschätzungen anhand von Daten und rationalen Kriterien abzugeben. Mein Bauchgefühl würde ich allenfalls meiner Partnerin mitteilen.

Mit Uwe Jun sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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