Politik

Israels Botschafter im Interview "Diese Krise hat die NATO 'great again' gemacht"

"Als Israeli denke ich, dass der deutsche Humor etwas lockerer sein könnte, aber als 'Englishman' würde ich sagen, dass er sehr gut zu der eher zurückhaltenden europäischen Art von Humor passt", sagt Jeremy Issacharoff.

"Als Israeli denke ich, dass der deutsche Humor etwas lockerer sein könnte, aber als 'Englishman' würde ich sagen, dass er sehr gut zu der eher zurückhaltenden europäischen Art von Humor passt", sagt Jeremy Issacharoff.

(Foto: picture alliance/dpa)

In seinem Abschiedsinterview mit ntv.de spricht Jeremy Issacharoff über seine Zeit als Botschafter Israels in Deutschland, den deutschen Humor und die Mischung aus Trauer und Inspiration, die er hier erfahren hat. Über den Krieg von Russland gegen die Ukraine sagt Issacharoff: Vielleicht kann Israel eine Rolle in der Vermittlung spielen.

ntv.de: Herr Botschafter, hätten Sie jemals für möglich gehalten, dass es wieder einen Krieg in Europa geben würde?

Jeremy Issacharoff: Ich glaube nicht, dass irgendjemand den Ausbruch eines solchen Konflikts vorausgesehen hat. Es war klar, dass das Ende des Kalten Krieges nicht das Ende der allgemeinen Spannungen zwischen West und Ost, zwischen Russland und der NATO bedeutete. Aber ich glaube nicht, dass irgendjemand es für möglich gehalten hat, dass diese Spannungen ein solches Ausmaß an Feindseligkeit erreichen würden und zu einer viel umfassenderen Operation und schließlich zu einem Krieg gegen die Ukraine führen könnten.

Sind Sie schockiert darüber, was Wladimir Putin unschuldigen Menschen in der Ukraine antut?

Ich bin sehr traurig über die Bilder, die ich sehe. Entbindungskliniken werden bombardiert, Zivilisten werden getötet. Ich denke, es wird schlimmere Bilder geben, solange man nicht sicher sein kann, ob und wann das Blutvergießen endet und welche Möglichkeiten es gibt, Frieden und Stabilität wiederherzustellen. Natürlich ist die Sorge um die Menschen, die in diesem Krieg getötet und verletzt werden, sehr groß.

Ist dies eine neue Ära der Gewalt?

In meiner früheren Tätigkeit, bevor ich Botschafter in Deutschland wurde, war ich an vielen Gesprächen mit den Russen beteiligt. Wir haben mit den Russen in einer Reihe von Fragen sehr konsequent zusammengearbeitet. Es ist jedoch klar, dass sich der Westen Europas und Russland derzeit in einer tiefen Krise befinden. Es betrübt mich, dass die Situation immer instabiler und feindseliger zu werden scheint.

Kann Israel bei möglichen Friedensverhandlungen eine Rolle spielen?

Wie ich bereits erwähnt habe, verfügt Israel über offene Kommunikationskanäle zu Russland, die in den letzten Jahren unter anderem wegen der Lage in Syrien sehr wichtig waren. Russland ist in Syrien, das eine gemeinsame Grenze mit Israel hat, sehr stark vertreten. Auch zu den Ukrainern haben wir ein offenes Verhältnis. Wenn wir etwas dazu beitragen können, einen sehr komplizierten Dialog ein wenig zu erleichtern, dann sollte man das versuchen.

Als Folge dieses Konflikts gibt Deutschland jetzt deutlich mehr Geld für sein Militär aus. Ist das Ihrer Meinung nach eine gute Entscheidung?

Natürlich hat jeder, der die Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag gehört hat, verstanden, dass dies eine sehr grundlegende Veränderung bedeutet, die sich aus dieser Krise in den Bereichen Verteidigungsausgaben, NATO-Verpflichtungen, Sanktionen gegen Russland und Energiebedarf ergibt. Ich denke, man hat erkannt, dass Europa in der Lage sein muss, sich selbst zu verteidigen, aber auch die andere Seite abzuschrecken, um zu verhindern, dass die Feindseligkeiten auf den NATO-Raum übergreifen. Interessanterweise hat diese Krise unter anderem dazu beigetragen, die NATO "great again" zu machen, indem sie ihre Einheit und ihre Fähigkeiten gestärkt hat.

Lassen Sie uns über Ihre Amtszeit als israelischer Botschafter in Berlin sprechen. Nach fast fünf Jahren werden Sie uns bald verlassen. Wir müssen über eine wichtige Frage sprechen: Jetzt, wo Sie Deutschland kennen, würden Sie sagen, dass die Deutschen einen guten Sinn für Humor haben? Haben sie überhaupt einen Sinn für Humor?

(lacht) Als Israeli würde ich sagen, dass wir einen anderen Sinn für Humor haben als die Deutschen. Wir sind vielleicht ein bisschen offener, ein bisschen unverblümter. Als jemand, der im Vereinigten Königreich aufgewachsen ist, würde ich sagen, dass der englische Humor wahrscheinlich ein wenig europäischer ist. Er ist dezenter, nuancierter. Als Israeli denke ich, dass der deutsche Humor etwas lockerer sein könnte, aber als "Englishman" würde ich sagen, dass er sehr gut zu der eher zurückhaltenden europäischen Art von Humor passt, im Gegensatz zum israelischen oder sogar dem amerikanischen.

Was werden Sie an Deutschland am meisten vermissen?

Ich glaube, ich war noch nie an einem Ort, der in mir so viele gegensätzliche Gefühle gleichzeitig ausgelöst hat. Zum Beispiel hat mich die Nachricht vom Tod des Holocaust-Überlebenden Leon Schwarzbaum sehr bewegt. Ich habe ihn in Deutschland sehr gut kennengelernt und habe unglaublich viel Respekt vor ihm. Seine Stärke hat mich sehr inspiriert. Natürlich hat er über den Holocaust gesprochen, aber dabei hat er gezeigt, dass man die Geschichte des Holocausts nicht erzählen kann, ohne auch Geschichten von unglaublichem Mut und Entschlossenheit zu hören. Es ist die Kombination aus Trauer und Inspiration, die einen großen Teil meiner Arbeit hier ausgemacht hat. Die Emotionen, die ich in Deutschland empfunden habe, vor allem, wenn man sieht, wo die Beziehungen heute stehen und wie weit sie sich von den Schrecken des Holocaust entfernt haben, fand ich sehr faszinierend.

Auf der positiven Seite werde ich auch die Natur und die Seen in Berlin vermissen. Ich habe die vielen Möglichkeiten, hier spazieren zu gehen und wunderschöne Grünflächen kennen zu lernen, sehr genossen.

Welche ist Ihre eindrucksvollste Erinnerung an Ihre Zeit hier?

Eine der vielen eindrücklichen Erinnerungen war für mich Ende Januar 2020, als Bundespräsident Steinmeier Israel zum Gedenken an die Befreiung von Auschwitz besuchte und eine sehr starke und denkwürdige Rede in Yad Vashem hielt. Bundespräsident Steinmeier und der ehemalige israelische Staatspräsident Reuven Rivlin reisten anschließend nach Auschwitz und kehrten von dort gemeinsam nach Berlin zurück. Gegen Ende des Besuchs standen beide Präsidenten spontan vor dem Brandenburger Tor, was für mich ein Zeichen für den langen und schwierigen Weg war, den beide Länder seit dem Holocaust bis zum heutigen Tag zurückgelegt haben. Aus einer tiefen Tragödie war eine tiefe Freundschaft geworden.

Haben sich die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland in den letzten Jahren noch weiter vertieft?

Auf jeden Fall. Sie haben sich inzwischen zu einer strategischen Partnerschaft entwickelt, in der sich Deutschland nicht nur für die Existenz und die nationale Sicherheit Israels einsetzt. Es ist auch eine Beziehung, in der Israel sich für die Sicherheit Deutschlands einsetzt.

Ich würde sagen, dass es in der Führung beider Länder ein starkes Bewusstsein für diese Partnerschaft gibt, und das muss nun weiter in die Zivilgesellschaften beider Länder durchsickern. Dies kann unter anderem durch eine drastische Zunahme des Jugendaustauschs geschehen, den wir jetzt vorantreiben müssen. Meiner Meinung nach ist der Jugendaustausch eine der wichtigsten Investitionen in die Zukunft der deutsch-israelischen Beziehungen.

Was ist der nächste Schritt in Ihrer Karriere?

Ich möchte aktiv bleiben. Ich hatte eine unglaublich interessante Karriere als Diplomat, und ich denke, ich habe großes Glück gehabt. Ich glaube nicht, dass ich mir einen interessanteren Ort hätte aussuchen können, um meine Karriere zu beenden. Der Posten des israelischen Botschafters in Deutschland ist eine der anspruchsvollsten und sensibelsten Positionen, die ein israelischer Diplomat bekleiden kann.

Wahrscheinlich werde ich am Ende nicht nur zu Hause den Garten pflegen. (lacht) Ich würde gerne darüber nachdenken, wie man auf zwischenmenschlicher Ebene arbeiten kann und über Themen, die unsere Nationen auf praktischere Weise zusammenbringen können. Die Stärkung der Beziehungen zwischen Israel und Deutschland könnte auch die Beziehungen zwischen Europa und dem Nahen Osten und die Ausweitung des Friedens und der Normalisierung in der Region stärken.

Mit Jeremy Issacharoff sprach Philipp Sandmann

Eine englische Version dieses Interviews finden Sie hier.

Quelle: ntv.de

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