"Lage ist sehr ernst" Dreyer appelliert an Zusammenhalt der SPD
02.06.2019, 14:16 Uhr
Der Rücktritt von Parteichefin Nahles löst in der SPD ein Beben aus. Sogar die Große Koalition scheint in Gefahr. Vizechefin Dreyer bittet um Geduld. Der Weg aus der Krise sei eine "Mammutaufgabe". Mittlerweile beginnen Spekulationen darüber, wer an der SPD-Spitze nachfolgen könnte.
Nach dem Rücktritt der bisherigen Parteichefin Andrea Nahles steht die SPD noch unter Schock. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer bat in einem ersten Statement um Geduld. Die SPD sei "nicht führungslos", sagte die SPD-Vizechefin. Es gebe sechs gewählte Stellvertreter der Vorsitzenden. "Wir werden uns beratschlagen und dann dem Parteivorstand einen Vorschlag machen", sagte sie mit Blick auf eine Vorstandssitzung an diesem Montag. "Wir brechen keine Entscheidung übers Knie."
Dreyer betonte jedoch: "Es geht natürlich weiter mit der SPD und wir werden auch Wege finden, um aus dieser ernsten Lage herauszukommen", sagte sie in Berlin. Die Partei sei nicht führungslos. Dennoch sei die Lage "sehr, sehr ernst".
Die SPD-Vizechefin ist selbst als kommissarische Parteichefin im Gespräch. Falls es nicht zu einer Neuwahl kommt, könnte vorübergehend auch der dienstälteste Fraktionsvize Rolf Mützenich den Fraktionsvorsitz übernehmen, der sich dazu bereits gegenüber dem "Kölner-Stadt-Anzeiger" bereiterklärt hat. Auf beide haben sich führende Sozialdemokraten nach Informationen der Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland verständigt.
Auch Nahles' frühere Gegenkandidatin Simone Lange erwägt eine erneute Kandidatur für den SPD-Vorsitz. "Ich werde meine Entscheidung genau davon abhängig machen, ob die Partei jetzt die Chance der neuen Wege und neuen Ideen nutzt", sagt die Flensburger Oberbürgermeisterin "T-Online.de". Lange hatte sich beim Bundesparteitag im April 2018 gegen die große Koalition positioniert, war aber Nahles unterlegen. "Dass die Groko ein Fehler war, ist mittlerweile allen bewusstgeworden", sagt Lange.
"Sie ist eine Kämpferin"
Für die Entscheidung von Nahles äußerte Dreyer am Sonntag "hohen Respekt", aber auch Bedauern. Nahles habe sich Rat geholt, aber schließlich die Entscheidung für sich - und nicht leichtfertig - getroffen, sagte Dreyer. "Sie ist eine Kämpferin." Letztlich habe Nahles sich aber nicht mehr genug gestützt gefühlt. Dreyer beklagte, es habe "teilweise an Solidarität gemangelt". Es habe Äußerungen gegeben, "die ganz und gar nicht dem entsprechen, dass wir respektvoll miteinander umgehen müssen".
Man müsse nun zusammenhalten und die SPD aus dem Tief holen. Dies bezeichnete Dreyer als "Mammutaufgabe": "Wenn wir es jetzt nicht verstehen, alle zusammenzuhalten und gemeinsam solidarisch einen Weg da herauszufinden, dann sieht es wirklich schwarz aus in der SPD. Ich glaube schon, dass diese Botschaft auch bei allen angekommen ist." Noch am Sonntag will die engere Parteiführung der SPD zu einer Krisensitzung zusammenkommen.
Juso-Chef Kevin Kühnert kritisiert das Verhalten der Sozialdemokraten untereinander: "Alles beginnt mit einer einfachen Feststellung: Wer mit dem Versprechen nach Gerechtigkeit und Solidarität nun einen neuen Aufbruch wagen will, der darf nie, nie, nie wieder so miteinander umgehen, wie wir das in den letzten Wochen getan haben", schrieb Kühnert am Sonntag auf Twitter. "Ich schäme mich dafür."
SPD-Chefin Nahles hatte ihren Rückzug als Fraktions- und Parteivorsitzende damit begründet, dass sie nicht mehr über den "notwendigen Rückhalt" in der Partei verfüge. An der Vorsitzenden war nach der SPD-Schlappe bei der Europawahl, bei der die SPD auf den dritten Platz hinter Union und Grünen zurückgefallen war, scharfe Kritik geübt worden.
GroKo könnte wackeln
Mit ihrem Rücktritt wolle Nahles die Möglichkeit eröffnen, dass in beiden Funktionen in geordneter Weise die Nachfolge geregelt werden könne, erklärte sie in einem Schreiben an die SPD-Mitglieder. Am Montag werde sie im Parteivorstand ihren Rücktritt vom Parteivorsitz und am Dienstag in der Bundestagsfraktion ihren Rücktritt vom Fraktionsvorsitz erklären. Dort wollte sie sich ursprünglich zur Wiederwahl stellen. Nach Angaben einer Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion will sie auch ihr Bundestagsmandat niederlegen. Einen genauen Zeitpunkt dafür gebe es aber noch nicht.
Die Rücktrittsankündigung löste auch Spekulationen über die Zukunft der Großen Koalition aus. Die CDU will das Regierungsbündnis offenbar nicht in Frage stellen. Es sei klar, dass die Koalition den Regierungsauftrag habe und diesen auch erfüllen müsse, hieß es aus Parteikreisen in Berlin. Jeder in der Koalition müsse sich dieses Auftrags bewusst sein und verantwortungsvoll damit umgehen.
SPD-Vize Olaf Scholz hatte noch vor dem angekündigten Rückzug von Nahles eine weitere Große Koalition nach der nächsten Bundestagswahl ausgeschlossen. "Drei große Koalitionen in Folge würden der Demokratie in Deutschland nicht gut tun", sagte der Bundesfinanzminister und Vizekanzler dem Berliner "Tagesspiegel". "Eine Fortsetzung der heutigen Koalition nach 2021 will niemand - nicht die Bürgerinnen und Bürger, nicht die Union - und wir Sozialdemokraten schon gar nicht."
Quelle: ntv.de, ftü/aeh/rts/AFP/dpa