Wagenknecht bei Markus Lanz "Eigentlich wollen Sie ewig 1995"
20.09.2023, 06:01 Uhr Artikel anhören
Viel Talkshow-Erfahrung: Sahra Wagenknecht darf bei Markus Lanz ihre Ideen in aller Ausführlichkeit darlegen.
(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)
Die Noch-Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hat sich noch nicht entschieden, ob sie eine eigene Partei gründen will. Talkmaster Markus Lanz bietet ihr am Abend im ZDF schon mal eine Plattform für ihre Ideen. Eine kritische Auseinandersetzung bleibt weitgehend aus.
"Es gibt eine Diskussionskultur, wo Menschen, die außerhalb des von der Regierung vorgegebenen Narrativs sind, ausgegrenzt werden", sagt Sahra Wagenknecht im Laufe der Markus-Lanz-Talkshow am Dienstagabend im ZDF: "Wir erleben ein Zusammenspiel der Regierung und dem Großteil der Medien." Würde es dieses Zusammenspiel tatsächlich geben, hätte es an diesem Abend gründlich versagt. Da hat Markus Lanz Wagenknecht eingeladen. Die Politikerin, noch Mitglied der Linken, soll über ihre Vorstellungen für eine neue Partei berichten. Locker eine Stunde hat sie dazu Zeit, mit wenigen Unterbrechungen. Sie füllt knapp 90 Prozent der Sendezeit.
Florence Gaub ist auch da, Sicherheitsexpertin und Zukunftsforscherin. Ihr gelingt es manchmal, die Diskussion ein wenig zu beleben. Dafür darf sie am Ende der Sendung ihr neues Buch vorstellen. Auch Timo Lehmann ist eingeladen, "Spiegel"-Journalist und einer der profundesten Experten, was die Linkspartei angeht. Mit der Beantwortung der beiden Fragen, die ihm Lanz während der Sendung stellt, ist er definitiv unterfordert.
"Wir müssen uns alle verändern"
Dabei ist es Lehmann, der einen wichtigen Punkt setzt: Zwar könnten sich 20 Prozent der Bevölkerung vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen, doch ob es auch dazu komme, sei unklar, sagt er. Wagenknecht spreche viele Themen an, die auch die AfD bespiele, deren thüringischer Landesverband vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft werde. "Frau Wagenknecht ist weit entfernt davon", so Lehmann. Unsicher ist der Journalist, ob es wirklich zu einer Parteigründung kommt. Zunächst einmal habe Wagenknecht nur etwa ein Viertel der Linken-Mitglieder hinter sich, sagt er. Und weiter: "Es ist klar, dass Frau Wagenknecht und ihre Mitstreiter das machen wollen. Die Frage ist, ob sie das organisatorisch hinkriegen. Und da sind sie immer noch am Ausprobieren."
Zukunftsforscherin Florence Gaub kritisiert vor allem die Rhetorik Wagenknechts. Sie schüre bei den Bürgern die Angst vor der Zukunft. "Was Sie wollen ist, dass alles so bleibt, wie es ist", sagt die Wissenschaftlerin: "Ich glaube, dass Sie und die Leute, die sich bei Ihnen wohlfühlen, eine ganz große Zukunftsangst haben. Aber Angst vor der Zukunft heißt nicht, sich vor ihr wegzuducken. Die kommt sowieso." Dann fasst Gaub die politischen Ziele von Wagenknecht und ihren Anhängern zusammen: "Eigentlich wollen Sie ewig 1995." Timo Lehmann geht noch weiter: Wagenknecht sehne sich in Wahrheit zurück in das Jahr 1965 und dem Wohlfahrtsstaat von damals.
Wagenknechts Ideen
Bis Ende des Jahres werde sie sich entscheiden, ob sie eine neue Partei gründen wolle, sagt Wagenknecht. Dazu bedürfe es der Mitstreiter und einer Organisationsstruktur. Moderator Markus Lanz will wissen, ob ihr Ehemann Oskar Lafontaine sie unterstützen werde? Man spricht miteinander, wie das Eheleute eben so tun, antwortet Wagenknecht. Und wie das mit Boris Palmer sei - immerhin hätten die beiden miteinander gesprochen? Keine konkrete Antwort.
Konkret wird Wagenknecht immer dann, wenn sie will. Ins Schwimmen kommt sie selten, sie hat sehr viel Talkshow-Erfahrung. Und sie hat Lanz, der gegen Ende des Interviews erklärt, er sympathisiere auch irgendwie mit einigen Ideen der Politikerin.
Sie wolle sich für die Menschen einsetzen, die sich von keiner Partei mehr vertreten fühlten, sagt Wagenknecht. "Es gibt keine Partei mehr, die für wirtschaftliche Vernunft steht und gleichzeitig für soziale Gerechtigkeit, die für eine Außenpolitik wirbt, wo wir viel stärker auf Diplomatie setzen statt auf Waffen." Sie beklagt die schlechte Politik der Ampelkoalition, der keine Opposition entgegenstehe. Mit den Grünen will sie nichts zu tun haben. Die hätten sich zu sehr von den "normalen" Menschen entfernt. "Sie glauben, dass alle Leute in diesem Land so leben wie ihre Kumpel in der hochpreisigen, hippen Großstadtblase, wo sich das Leben zwischen Hafermilch, Latte macchiato und Lastenfahrrad abspielt."
Ihre Forderungen: In der Klimapolitik Zukunftstechnologien entwickeln und exportieren und statt auf E-Autos auf Verbrenner mit niedrigem Benzinverbrauch setzen; russisches Öl und Gas wieder durch Pipelines leiten statt über Umwege aus Indien oder Belgien zu importieren; die Forschung an Technologien wie E-Fuels oder Kernfusion nach Deutschland holen. In der Wirtschaftspolitik möchte Wagenknecht eine alte Idee der FDP aufgreifen und marktbeherrschende Großunternehmen zerschlagen.
Richtig radikal sind die Ideen der Politikerin in der Migrationsfrage. Hier will sie nur noch die Geflüchteten finanziell unterstützen, die Anspruch auf Asyl haben – laut Lanz etwa ein Prozent der Flüchtlinge. Wagenknecht: "Wenn es keinen Asylanspruch gibt, kann man in Deutschland keine sozialen Leistungen beantragen. Ein Land, in dem man keinen Anspruch auf Leistungen hat, ist auch kein Zielland für Migration. Da geht man nicht hin."
Und dann will sie noch den Krieg in der Ukraine beenden – durch Friedensverhandlungen, die der russische Präsident Wladimir Putin führen wolle, die der ukrainische Präsident Selenskyj jedoch angeblich verboten habe. Grundsätzlich hat sie eine Vision: "Es wäre wichtig, wenn die Menschen spüren, dass sich was verändert – und dass sie nicht immer stärker unter Druck geraten und sogar noch beschimpft werden, wenn sie das angeblich Falsche machen."
Quelle: ntv.de