Brüchige Waffenruhe Evakuierung aus Mariupol abgebrochen
05.03.2022, 11:42 Uhr
In der Stadt harren noch viele Menschen ohne Wasser, Heizung und Strom aus.
(Foto: AP)
Theoretisch hat der Ukraine-Krieg seine erste Feuerpause, wenn auch nur regional für Mariupol und Wolnowacha. Dort soll die Zeit genutzt werden, um Tausende Menschen aus der Stadt zu bringen. Das scheitert aber an neuen Kämpfen.
Die Ausreise von Zivilisten aus der eingekesselten Stadt Mariupol wird nach Angaben des dortigen Stadtrates verschoben. Der Grund sei, dass die russischen Truppen die Feuerpause nicht einhielten, teilte der Stadtrat mit. Eigentlich war ein humanitärer Korridor für fünf Stunden ab 10.00 Uhr (MEZ) geplant.
Derzeit liefen Verhandlungen mit Russland über eine Feuerpause und die Frage, wie ein "sicherer humanitärer Korridor gewährleistet" werden könne. Die Stadt appellierte: "Wir bitten alle Einwohner von Mariupol, in ihre Zufluchtsorte zurückzukehren." Weitere Informationen zu neuen Evakuierungen sollten folgen. Beide Seiten gaben sich gegenseitig die Schuld. Die Separatisten im Gebiet Donzek warfen der Ukraine vor, "ukrainische Nationalisten" würden "Provokationen" vorbereiten.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief zur weiteren Verteidigung von Mariupol au. Die humanitären Korridore für Mariupol und Wolnowacha in der Region Donezk sollten am Samstag funktionieren, um Frauen, Kinder und ältere Leute zu retten sowie Lebensmittel und Medikamente in die umkämpften Städte zu liefern, sagte Selenskyj in einer Videoansprache. "Alle, die Hilfe brauchen, sollten die Möglichkeit bekommen, rauszukommen", sagte der Präsident. "Alle, die ihre Stadt verteidigen möchten, sollten den Kampf fortsetzen."
Es war der erste Waffenstillstand, der im Ukraine-Krieg bisher vereinbart wurde. Die Feuerpause sollte einen humanitären Korridor in der Region um die Stadt eröffnen, hatten sowohl Russland als auch die Ukraine am Morgen bestätigt. Die bis 15 Uhr angesetzte Waffenruhe umfasste auch die 65 Kilometer entfernte Stadt Wolnowacha in der Region Donezk.
Nach Angaben der Stadtverwaltung sollte die Zeit genutzt werden, um die Zivilbevölkerung aus der Stadt zu bringen. Einem BBC-Bericht zufolge wurden Busse organisiert, die von drei Orten in der Stadt abfahren sollten. "Wir haben 50 Busse organisiert und denken, damit 5000 bis 6000 Menschen nach Saporischschja gebracht werden können", sagte der stellvertretende Bürgermeister der Stadt, Serhiy Orlow. Den Einwohnern war außerdem zunächst mitgeteilt worden, dass sie während der Waffenruhe mit ihren eigenen Verkehrsmitteln sicher über eine bestimmte Route nach Nordwesten in die Stadt Saporischschja gelangen können. Züge können für die Evakuierung nicht genutzt werden, weil die Eisenbahninfrastruktur von den russischen Truppen zerstört wurde.
Infrastruktur zusammengebrochen
Orlow zufolge arbeitete man auch daran, dass der Waffenstillstand über den bisher festgelegten Zeitraum hinaus verlängert wird. Mariupol wird seit mehreren Tagen von den russischen Streitkräften blockiert. Die Stadt ist seit vier Tagen ohne Wasser, Heizung und Strom. Deshalb sei es auch schwierig, Informationen an die Menschen weiterzuleiten.
Allerdings mehrten sich bereits kurz nach Bekanntgabe der Waffenruhe die Anzeichen, dass sie nicht vollständig eingehalten wird. In einer auf Telegram veröffentlichten Nachricht teilte der Stadtrat mit, dass in der Region Saporischschja, wo der humanitäre Korridor endet, Kämpfe stattfanden. Der Korridor umfasst die Strecke Mariupol - Nikolske - Rosiwka - Pologi - Orichiw bis nach Saporischschja.
Nach ukrainischen Schätzungen war geplant, dass bis zu 200.000 Menschen die Stadt verlassen, also fast jeder Zweite. Der Bürgermeister von Mariupol, Wadym Boitschenko, hatte in der Nacht von einer Blockade der Stadt mit 440.000 Menschen und unerbittlichen russischen Angriffen gesprochen. Hinzu kommen noch einmal 15.000 Menschen aus Wolnowacha. Dem örtlichen Abgeordneten Dmytro Lubinets zufolge sind etwa 90 Prozent der Stadt durch die Bombardierung beschädigt. Die Leichen getöteter Menschen würden nicht abgeholt, berichtete er. Den Menschen, die sich in Unterkünften verstecken, gingen die Lebensmittel aus.
Quelle: ntv.de, sba/dpa