
Tief gefallen: Pedro Castillo (zweiter von links)
(Foto: REUTERS)
Nach Lima kam der Lehrer vom Land, um als Präsident die Armut zu bekämpfen: Pedro Castillo. Er ging als gescheiterter Putschist in Handschellen. Perus Staatschefs geben sich in den vergangenen Jahren schon fast die Klinke in die Hand. Die Probleme liegen tiefer.
Das große Finale des peruanischen Präsidentendramas hätte zeitlich in einen überlangen Kinofilm gepasst. Am Mittwoch wollte der Kongress eine Abstimmung zur Absetzung von Staatschef Pedro Castillo durchführen. Der ordnete die Auflösung des Parlaments an, wollte eine Notstandsregierung einsetzen, die Justiz anders aufstellen und eine neue Verfassung erarbeiten lassen. Doch Militär und Polizei verweigerten die Gefolgschaft, der Kongress enthob Castillo wegen "permanenter moralischer Unfähigkeit" des Amtes und vereidigte flugs die vorherige Vizepräsidentin Dina Boluarte. Da war Castillo bereits wegen Putschversuchs festgenommen worden.
Ohne Zustimmung des Kongresses ist eine verfassungsgebende Versammlung illegal, darum wurde Castillos Vorgehen in Peru als Staatsstreich gewertet. Auf seine Absetzung folgten Straßenschlachten vor dem Kongress und anderswo im Land, noch immer werden die Panamericana und andere wichtige Verkehrsadern Perus blockiert. In Umfragen fordert eine große Mehrheit auch die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Castillo genießt vor allem in ländlichen Regionen weiterhin Unterstützung. Er zerschellte an sich selbst, aber auch an alten Machtstrukturen.
Peru ist reich an Bodenschätzen, hat weite Regenwälder, eine lange Küste für die Fischerei und eine imposante Kulturgeschichte. Und doch stürzt das südamerikanische Land am Pazifik immer wieder ins Chaos. Mehrmals erschütterten es in den vergangenen Jahren politische Krisen ähnlichen Ausmaßes. Seit 2016 hatte das Land sechs Staatschefs, keiner beendete sein Mandat. Mehrere sitzen wegen Korruption in Haft, gegen andere wird noch ermittelt. Das Problem liegt auch im System.
Die Vorhaben des Staatschefs, der selbst aus einer der ärmsten Regionen des Landes kommt, vor allem die Armut im abgehängten ländlichen Peru zu bekämpfen, die Wirtschaft umzugestalten und eine neue Verfassung erarbeiten zu lassen, sie sind allesamt gescheitert. "Es hat kein wirtschaftlicher Kurswechsel nach links stattgefunden, wie Castillo versprochen hatte", sagt die peruanische Menschenrechtsanwältin Ana Vidal. "Es hat sich gegenüber den vorherigen Regierungen nichts geändert." Politik für die Bürger habe er nicht gemacht - oder nicht machen können.
Mit Castillos Absetzung findet auch das peruanische Experiment ein Ende, dass ein Politiker von außen, ohne Kenntnis über die Seilschaften und Machtgefüge in der Hauptstadt mehr bewegen kann als dessen Vorgänger. "Im Dschungel der peruanischen Politik, die von der Elite bestimmt ist, hat er sich ohne Erfahrung nicht zurechtgefunden", sagt Robert Helbig von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Lima. "Das war die bestmögliche Situation für bestehende Machtstrukturen, der Bevölkerung hat seine Präsidentschaft nichts gebracht."
Parteien als Lobbygruppen
Castillo war mit nur 18,4 Prozent in die Stichwahl um die Präsidentschaft eingezogen, eine Mehrheit hatte er im Kongress, der nur eine Kammer hat, von Anfang an nicht. Der Lehrer und Gewerkschaftler war der erste linke Präsident seit Jahrzehnten - zumindest auf dem Papier. Castillo war ein "eingeladener" Präsidentschaftskandidat der linken Partei Peru Libre, was in der peruanischen Politik nicht unüblich ist.
Einzelpersonen sind häufig populärer als Parteien, die sich davon mehr Einfluss versprechen. So können etwa Unternehmer direkt politisch Einfluss nehmen. Entsprechend gering ist das Vertrauen der Bevölkerung in ihr Parlament: Kurz vor Castillos Absetzung hießen es nur 11 Prozent gut, zugleich forderten da schon 87 Prozent Neuwahlen. Dies erscheint der großen Mehrheit wohl auch deshalb als attraktiv, weil Abgeordneten nur eine Amtszeit erlaubt ist. Per Neuwahl können so unliebsame Abgeordnete abserviert werden.

Aus Peru werden von internationalen Bergbau-Unternehmen große Mengen an Rohstoffen exportiert.
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"Castillo hätte Gesetze mit der Opposition aushandeln müssen, dies ist aber nicht geschehen", sagt Helbig. "Die Projekte im Transport- und Bildungssektor kamen stattdessen von dort und haben deren Privatinteressen bedient." Viele der Parteioberen verdienten Geld im privaten Bildungssektor und könnten nun noch mehr verdienen, weil sie keine Qualitätskriterien mehr einhalten müssten, sagt Helbig. "Das ist ein großer Rückschritt für die peruanische Gesellschaft."
Im ländlichen Raum lag die Unterstützung für Castillo zuletzt bei 45 Prozent, mit aufsteigendem Trend und kaum weniger als vor einem Jahr. In der Hauptstadt Lima waren es zuletzt nur noch 19 Prozent. Das alles findet in einer Krise des auf Rohstoffexporten basierenden Wirtschaftsmodells statt. Die Inflation treibt die Menschen in die Mangelernährung, in den weitläufigen ländlichen Regionen des zentralisierten Landes fehlt es an Infrastruktur wie Straßen, Krankenhäuser und Schulen, und überall an Industrie. Investitionen fließen vor allem durch Bergbauunternehmen in den eigenen Sektor, weitere Gewinne fließen meist zurück ins Ausland. Die fehlen den Menschen in Peru für einen Aufstieg in die Mittelschicht.
Gewinne fließen ins Ausland
Unter einkommensschwachen Peruanern ist der Ex-Präsident deutlich beliebter als in der Mittelschicht oder bei Wohlhabenden. Der Mann mit dem großkrempigen Hut war ein politischer Außenseiter. Castillo gab der Bevölkerung mit seiner Wahl 2021 außerhalb der elitären Hauptstadt Lima neue Hoffnung, endlich mehr zu erleben als ermüdendes Machtgerangel der Elite, während sich für sie selbst nichts ändert. "Keine Armen mehr in einem reichen Land", war einer seiner Wahlslogans.
Nicht ohne Grund, hatten die Gegenmaßnahmen zur Pandemie doch ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze zurückgelassen, eine Steigerung um 50 Prozent. Seit vergangenem Jahr geißelt nun die Inflation die einkommensschwache Bevölkerung, sie ist so hoch wie seit einem Vierteljahrhundert nicht. Verschiedene Grundnahrungsmittelpreise haben sich mehr als verdoppelt.
Laut einer Studie der Hilfsorganisation "Acción Contra el Hambre" leiden 80 Prozent der Peruaner im Großraum Lima unter Ernährungsunsicherheit und mussten wegen Geldmangels in diesem Jahr ihre Essgewohnheiten umstellen. Ein Drittel der Bevölkerung lebt im Großraum der Hauptstadt. Im ganzen Land ernährt sich laut Vereinte Nationen mehr als die Hälfte der Menschen erzwungenermaßen mangelhaft. Mitschuld daran trügen auch die staatlichen Institutionen.
"Wie seit hunderten von Jahren"
In seiner Amtszeit kam Castillo nie dazu, sich strukturiert mit Problemen des Landes zu befassen. Laufend tauschte er Regierungsmitglieder aus; unter anderem wegen Vorwürfen der Korruption in Verbindung mit öffentlichen Bauaufträgen, häuslicher Gewalt und sogar Mord. In seinen rund eineinhalb Jahren Amtszeit verschliss er mehr als 80 Minister. Peru Libre schloss den Präsidenten schon vor Monaten aus der Partei aus, er hatte immer weniger Verbündete. Zuletzt wurde ihm vorgeworfen, Millionen Dollar Schmiergeld angenommen zu haben.
Castillos radikale letzte Schritte, um die Initiative zurückzuerlangen, erinnerten fatalerweise an die von Ex-Präsident Alberto Fujimori, der sich 1992 auf ähnliche Weise zum Diktator aufgeschwungen hatte. Dabei hatte Castillo auch deshalb die Wahl gewonnen: Seine Gegenkandidatin war Fujimoris Tochter Keiko, die für weite Teile der Bevölkerung ein blutiges Tuch ist. Ihr Vater sitzt unter anderem wegen Menschenrechtsverbrechen hinter Gittern; für Massaker, Todeskommandos und Zwangssterilisierungen von Frauen.
Der frühere Lehrer Castillo befindet sich nun in Untersuchungshaft, im selben Gefängnis wie Fujimori. Castillo kam aus dem anderen Peru, war der Erste, der es mit seinem Anti-Establishment-Kurs bis in den Präsidentenpalast geschafft hatte. Die Machtverhältnisse hat er nicht ändern können. "Hier bestimmen weiterhin die Kräfte, die dies schon seit Hunderten von Jahren tun", sagt Helbig: "Die Elite von Lima."
Quelle: ntv.de