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Was folgt auf Hanija-Attentat? "Auf eine solche Gelegenheit hat Israel gewartet"

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Hamas-Anhänger bei einer Demonstration zur Verurteilung der Tötung Hanijas im Südlibanon.

Hamas-Anhänger bei einer Demonstration zur Verurteilung der Tötung Hanijas im Südlibanon.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Mit der gezielten Tötung des Hamas-Führers Ismail Hanija in Teheran hat Israel eine Chance genutzt, sagt Stephan Stetter im Interview mit ntv.de. Zwar sei die Gefahr eines großen Krieges in der Region weiterhin hoch. Der Politikwissenschaftler von der Universität der Bundeswehr in München glaubt allerdings nicht, dass auf das Attentat zwangsläufig eine Eskalation folgt. Israel habe zuvorderst seine Abschreckungsfähigkeiten, aber auch seine Kriegsziele in Gaza unterstrichen. Nun komme es auf den Iran an.

ntv.de: Die israelische Regierung hat sich noch nicht offiziell zur Tötung von Hamas-Auslandschef Ismail Hanija in Teheran geäußert. Gibt es Zweifel daran, dass Israel den Angriff durchgeführt hat?

Stephan Stetter: Daran gibt es keinen Zweifel. Das war ein hochpräziser Schlag mitten in Teheran, auch mit politischer Botschaft, kurz nachdem Hanija der Vereidigung des neuen iranischen Präsidenten beigewohnt hatte. Israel hat auf diesen Zeitpunkt gewartet, es hat ja stets betont, dass die Hamas-Führung nirgendwo sicher ist. Jetzt hat Israel gezeigt, dass es schnell und sehr präzise reagieren kann.

Die Tötung Hanijas fand nur wenige Stunden nach einem israelischen Angriff in der libanesischen Hauptstadt Beirut statt, der einen Hisbollah-Kommandeur zum Ziel hatte. Spielt Israel mit Blick auf das Eskalationspotenzial in der Region mit dem Feuer?

Israels Problem ist, dass das Massaker der Hamas am 7. Oktober und die andauernden Angriffe der Hisbollah das Abschreckungspotenzial des Landes erheblich geschwächt haben. Dabei war genau das jahrzehntelang Israels Rückversicherung. Für Israel stellt sich die Frage, wie es sein Abschreckungspotenzial wiederherstellen kann. Das ist nicht so sehr mit dem Gaza-Krieg verbunden, wo es Menschenrechtsverletzungen gibt und die nationalistischen Kräfte in Israels Regierung auch ganz andere Ziele verfolgen. In den anderen Konfliktarenen geht es für Israel erstmal darum, eine Balance zu finden zwischen der Wiederherstellung der Abschreckung und darum, dass es nicht zu einem großen regionalen Konflikt kommt. Das ist auch das Ziel der Amerikaner und vieler anderer Akteure der Region. Was wir jetzt in Beirut und in Teheran gesehen haben, sind gezielte Antworten auf eine sehr konflikthafte Lage. Die haben ein Eskalationspotenzial. Aber sie sind eben auch eine Reaktion auf Bedrohungen, denen Israel ausgesetzt ist.

Das klingt riskant.

Es ist zweifelsohne eine fragile Situation. An der Interessenlage der Akteure hat sich aber erstmal nichts verändert. Weder der Iran noch die Hisbollah ist an einem umfassenden Krieg interessiert. Die Hamas hatte nach dem 7. Oktober auf eine breite Front gegen Israel gehofft. Der Iran und die Hisbollah haben die Hamas daraufhin zwar unterstützt, die Schwelle zu einem umfassenden Krieg aber nicht übertreten. Denn das würde die Machtposition der Hisbollah im Libanon und die des Iran in der Region gefährden. Dass sie dieses Risiko nicht eingehen möchten, weiß Israel. Zugleich wäre ein umfassender Krieg auch für Israel höchst riskant. Die Akteure scheuen sich vor der Eskalation, aber natürlich können sie in einen Krieg hinein rutschen.

Nun fand die Tötung Hanijas im iranischen Machtzentrum Teheran statt, er war Ehrengast bei der Vereidigung des Präsidenten. Ist das eine, vielleicht sogar bewusste Demütigung des Iran?

Es war vor allen Dingen eine Möglichkeit für Israel, anzugreifen. Beim Besuch des Hamas-Führers im NATO-Staat Türkei ging das nicht. Auch Katar, Hanijas Wohnort, ist ein wichtiger Verbündeter Israels. Für Israel ist es diplomatisch leichter, Teheran anzugreifen, denn mit dem Iran steckt es ohnehin in einem umfassenden Konflikt und beide Länder haben sich bereits zuvor militärisch duelliert. Israel wird auf eine solche Gelegenheit gewartet haben.

Der iranische Präsident Massud Peseschkian hat bereits mit Vergeltung gedroht. Wie könnte eine iranische Reaktion aussehen?

Natürlich droht er mit Vergeltung, als frisch vereidigter Präsident muss er die Souveränität seines Landes verteidigen. Diese Äußerungen verraten noch nichts über die Strategie des Iran. Der iranische Angriff auf Israel im April war bei Lichte betrachtet ein Fiasko für Teheran. Er ist schlichtweg gescheitert. Was hätte der Iran also von einem erneuten Scheitern? Die Kalkulation des Iran ist immer, nicht selbst zu agieren, sondern andere agieren zu lassen, wie die Hisbollah oder die Huthis. Auch der Iran muss letztlich vorsichtig sein. Teheran sieht ja, dass Israel auch selbst angreift und das nicht den Amerikanern überlässt. Das Signal ist: Wir agieren nicht nur in der Grenzregion, sondern wir gehen nach Beirut, wir gehen in den Jemen, wir gehen auch bis nach Teheran.

Sie rechnen also nicht mit einem großen Gegenschlag des Iran?

Ich schließe eine Eskalation nicht aus. Ich erwarte aber, dass es eine kalkulierte Reaktion geben wird, die wiederum nicht zu einer gesteigerten israelischen Antwort führen wird. Es ist auch nicht das erste Mal, dass Israel eine gezielte Tötung vornimmt. Hanijas Tod findet jetzt viel Aufmerksamkeit, aber die grundsätzlichen Abwägungen der beteiligten Akteure wurden auch durch die vorangegangenen gezielten Tötungen nicht ausgesetzt.

Sie haben die Huthis und die Hisbollah bereits angesprochen. Was ist von den Verbündeten des Iran zu erwarten?

Die Huthis werden weiter versuchen, ihr Potenzial einzusetzen. Dieses liegt aber eher im Roten Meer. Der Drohnenangriff auf Tel Aviv vor rund zwei Wochen war ein Versagen der israelischen Aufklärung. Die Israelis werden alles daransetzen, dass den Huthis so etwas nicht mehr so leicht gelingen wird. Der Konflikt mit der Hisbollah an der israelisch-libanesischen Grenze steht zwar im Schatten des Gaza-Krieges, hat aber ebenfalls schwere humanitäre Folgen. Das Grenzgebiet wurde nach dem 7. Oktober auf beiden Seiten praktisch entvölkert. Eine sechsstellige Zahl von Israelis und Libanesen wurde aufgrund des andauernden Beschusses zu Binnenflüchtlingen. Die USA und auch Frankreich versuchen dort zu vermitteln. Die Chancen auf eine Übereinkunft halte ich für höher als in Gaza. Das ist aber noch weit weg und mit Blick auf die Ereignisse in Beirut und Teheran nicht etwas, was in den nächsten Wochen ansteht.

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Hat Hanijas Tod Auswirkungen auf die Verhandlungen im Gaza-Krieg?

Das wird die Positionen erstmal weiter blockieren. Die Verhandlungen sind aber ohnehin eine kleine Farce, denn eine politische Perspektive gibt es nicht. Waffenstillstandsverhandlungen werden auf Druck der USA zwar geführt, aber weder die fundamentalistischen Kräfte in der israelischen Regierung noch die Hamas haben ein echtes Interesse an einem Waffenstillstand. Immer, wenn es den Eindruck gab, ein Abkommen steht bevor, hat im letzten Moment entweder die Hamas oder Israel gesagt, dieses und jenes passt uns doch nicht. Eine grundlegende Änderung wird die Tötung von Hanija nicht bringen. Sie zeigt eher, dass es das Minimalziel der israelischen Regierung ist, die Führungsebene der Hamas auszuschalten. Ein Waffenstillstand oder auch ein Geisel-Deal steht für die israelische Regierung nicht an erster Stelle.

Hat der Verlust eines ihrer Anführer die Hamas denn geschwächt?

Wenn es Israel gelingt, weitere Anführer auszuschalten, könnte das die Bereitschaft der Hamas, nachzugeben, erhöhen. Andererseits kalkuliert die Hamas ebenfalls. Sie ist durch den Krieg nicht fundamental geschwächt, sondern zum Teil sogar gestärkt daraus hervorgegangen und hat ihre Kriegsziele nicht aus den Augen verloren. Ich würde also nicht auf einen baldigen Waffenstillstand im Gazastreifen setzen.

Mit Stephan Stetter sprach Marc Dimpfel

Quelle: ntv.de

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