Kritik an Stasiunterlagen-Behörde Fall Kurras: Aufarbeitung verlangt
23.05.2009, 13:14 UhrDie Enthüllungen über die Stasi-Vergangenheit des Todesschützen von Benno Ohnesorg haben die Debatte über die Stasi-Aufarbeitung neu entfacht. Kritik wurde auch an der mangelnden Erschließung der Akten durch die Stasiunterlagen-Behörde laut.
Die Enthüllungen über die Stasi-Vergangenheit des Todesschützen von Benno Ohnesorg haben die Debatte über die Aufarbeitung neu entfacht. Der Leiter des Forschungsverbunds SED-Staat der Freien Universität Berlin, Klaus Schroeder, warf der Stasiunterlagen-Behörde vor, die Akten nicht systematisch zu erschließen. Es sei ein Skandal, dass nur zufällig entdeckt worden sei, dass der West-Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras, der Ohnesorg 1967 erschoss, Stasi-Mitarbeiter war, sagte Schroeder. Er geht davon, dass weiteres brisantes Material in den Archiven schlummert.
Die Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Marianne Birthler, sagte auf die Frage, ob ein neues Gerichtsverfahren gegen den früheren Stasi-IM (Inoffizieller Mitarbeiter) nützlich wäre, sie wolle keine Spekulationen abgeben. Zugleich wurde eine weitere Aufklärung des Falles gefordert. "Jeder, der die Möglichkeit hat zu forschen, der kann forschen", sagte Birthler.

Der SED-Mitgliedsausweis von Karl-Heinz Kurras. Nach dem 2. Juni 1967 wurden in das Heft keine Marken mehr geklebt.
(Foto: AP)
Es müsse geprüft werden, ob die DDR-Staatssicherheit auch eine Verurteilung von Kurras verhindert habe, sagte der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele dem "Hamburger Abendblatt". Der Hamburger Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar appellierte in der "Frankfurter Rundschau" an Kurras, die Hintergründe der Tat endlich aufzuklären.
Bereits 1955 verpflichtet
Nach Erkenntnissen von Forschern der Stasiunterlagen-Behörde war der Student Ohnesorg am 2. Juni 1967 am Rande einer Demonstration in West-Berlin von einem Stasi-Agenten erschossen worden. Demnach hatte sich der Polizist und Todesschütze Kurras bereits 1955 gegenüber dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) verpflichtet, die West-Berliner Polizei auszuspähen. Zudem war er nach den Unterlagen Mitglied der DDR-Staatspartei SED. Kurras selbst bestreitet, im Dienst des DDR-Geheimdienstes gestanden zu haben. "Ich war kein Stasi-Mitarbeiter", sagte er der "Bild"-Zeitung.
Prof. Schroeder vom Forschungsverbund kritisierte die Behörde unter Leitung von Birthler. "Um es vorsichtig zu sagen: In der Behörde wird das Material sehr zurückhaltend erschlossen und nicht nach neuesten Methoden." Die Akten sollten für eine systematische Aufarbeitung schnell an das Bundesarchiv übergeben werden. "Es ist schon merkwürdig, dass eine Behördenchefin bei einem so brisanten Fall wie Kurras nicht selbst Stellung bezieht", sagte Schroeder. Der Wissenschaftler Helmut Müller-Enbergs aus der Birthler-Behörde hatte seine brisanten Forschungsergebnisse allein an die Öffentlichkeit gebracht.
Zweimal freigesprochen
Der Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, sagte, die Erschließung der Stasi-Papiere funktioniere noch immer nicht. "Die Aktenverwaltung ist unbefriedigend." Schroeder forderte, die Westarbeit der Stasi aufzuarbeiten. "Zu den deutsch-deutschen Verstrickungen traut sich aber keiner so richtig ran in der Stasi-Unterlagenbehörde."
Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) glaubt indes nicht, dass der Fall strafrechtlich neu aufgerollt wird. "Das würde schon an der objektiven Beweisaufnahme scheitern", sagte er der "Stuttgarter Zeitung". Kurras war in zwei Verfahren 1967 und 1970 mangels Beweisen vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden. Schily vertrat damals als Rechtsanwalt Ohnesorgs Vater.
Strafanzeige wegen Mordes
Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Vereinigung der Opfer des Stalinismus, Carl-Wolfgang Holzapfel, hat Strafanzeige gegen den 81-jährigen Kurras wegen Mordes erstattet. Anders als fahrlässige Tötung verjährt Mord nicht. Inzwischen stellte der Bundesvorsitzende der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft, Rainer Wagner, Strafanzeige gegen Kurras wegen Spionage.
Dem Forschungsbericht zufolge wurde Kurras als IM "Otto Bohl" geführt. Er soll detaillierte Erkenntnisse über Mitarbeiter, Ausbildung, Befehle, Dienst- und Einsatzpläne bei der West-Berliner Polizei an die Stasi geliefert haben. Seine Spitzeldienste wurden laut Bericht jahrelang vergütet: 1960 beispielsweise mit 2310 D-Mark. Einen großen Teil der Zuwendungen habe er für seine umfangreiche Waffensammlung ausgegeben, heißt es weiter im Bericht. Die Stasi habe vermerkt, Kurras sei bereit gewesen, jeden Auftrag durchzuführen.
Berlins früherer Regierender Bürgermeister Klaus Schütz (SPD) forderte, die Beamtenrechte von Kurras zu überprüfen. "Ich halte es für einen Skandal, dass jemand wie Kurras offenbar seine Pensionsbezüge ohne eine Dienstaufsichtsbeschwerde weiter bezieht", sagte er der "Welt am Sonntag".
Quelle: ntv.de, dpa