Vorwürfe aus UN und Europarat Folter nach Türkei-Putsch "weit verbreitet"
02.12.2016, 17:59 Uhr
In der Stadt Cizre kam es zu schweren Gefechten zwischen türkischen Sicherheitskräften und militanten Kurden.
(Foto: picture alliance / dpa)
In Ankara stellt ein UN-Sonderermittler erschreckende Erkenntnisse über staatliche Gewalt in der Türkei in den vergangenen Monaten vor. Demnach wurden viele Verdächtige gefoltert. Hinweise auf derartige Verbrechen ignorierten die Behörden offenbar.
Die Vereinten Nationen und der Europarat haben im Zusammenhang mit Foltervorwürfen und Menschenrechtsverstößen Kritik an der Türkei geübt. Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, warf den Sicherheitskräften im mehrheitlich kurdischen Südosten der Türkei zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vor. Darunter seien Verstöße gegen das Recht auf Leben, heißt es in einem Bericht. Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, forderte von Ankara eine unverzügliche Untersuchung von Foltervorwürfen. Die türkische Regierung hatte Foltervorwürfe von Menschenrechtsgruppen nach dem Putschversuch von Mitte Juli stets zurückgewiesen.
UN-Experte Melzer teilte nun zum Abschluss eines Türkei-Besuches mit: "In den Tagen und Wochen nach dem gescheiterten Putsch scheinen Folter und andere Formen der Misshandlung weit verbreitet gewesen zu sein." Er habe glaubwürdige Berichte erhalten, wonach bei den Behörden eingereichte Beschwerden darüber nicht verfolgt worden seien. "Ich fordere die türkischen Behörden daher auf, unverzügliche, gründliche und unabhängige Untersuchungen aller Foltervorwürfe durchzuführen."
Menschenrechtskommissar Muiznieks stufte die teils monatelangen Ausgangssperren, die seit vergangenem Jahr immer wieder über Städte in den Kurdengebieten verhängt werden, als unverhältnismäßig ein. Solche Ausgangssperren seien "fast automatisch" eine Rechtsverletzung. "Wenn man den Menschen über Monate verbietet, ihre Häuser zu verlassen, (...) dann ist das im Grunde ein Arrest."
Beweise vernichtet
Während einer solchen Sperre sollen in einem Keller in Cizre um die 100 Zivilisten gestorben sein. Die Berichte dazu gehen auseinander. "Es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass irgendwelche zukünftigen Ermittlungen wirklich effektiv sein werden", heißt es in dem Bericht zu diesen und anderen Vorwürfen. "Nicht nur sind die Opfer umgebracht, sondern auch die Beweise beseitigt worden."
Muiznieks forderte die Türkei dennoch auf, dort Ermittlungen durchzuführen, wo dies noch möglich sei, Rechtsverletzungen anzuerkennen und die Menschen zu entschädigen. Er mahnte zudem einen Mentalitätswechsel an. Verantwortliche dürften nicht - wie bisher - meist straflos bleiben.
Die türkische Regierung verbittet sich Kritik am Vorgehen im Südosten, wo die Armee seit Sommer vergangenen Jahres gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK vorgeht.
Quelle: ntv.de, mbo/dpa