Politik

Blick hinter die WM-Kulisse Was die Daten über Katar verraten

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Das sportliche Großereignis des Jahres lenkt die Aufmerksamkeit der Welt auf ein kleines Land am Persischen Golf: Katar lädt zur Fußball-Weltmeisterschaft - in klimatisierten Stadien in der Wüste. Wie schneidet das Königreich im Ländervergleich ab? Zahlen und Fakten zum Gastgeberland der WM 2022.

Rasensport in einem wasserarmen Wüstenstaat: Die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 an Katar ist nicht nur unter Fans hochumstritten. Gelingen dem Gastgeber die Gratwanderungen zwischen Fußballkultur, Sponsoren-Erwartungen und eigenen Moralvorstellungen?

Das Emirat Katar errang erst 1971 die Unabhängigkeit. Die Ausrichtung sportlicher Großereignisse ist Teil einer ehrgeizigen Strategie: Das vergleichsweise kleine Land versucht sich auf verschiedenen Wegen als Regionalmacht von internationaler Bedeutung zu positionieren. Die Staatsfläche umfasst nur rund 11.600 Quadratkilometer. Damit ist Katar kleiner als Schleswig-Holstein. Das Emirat ist umgeben vom Persischen Golf, die einzige Landgrenze verläuft im Süden der Halbinsel zum sehr viel größeren Nachbarstaat Saudi-Arabien. Riesige Erdgas-Vorkommen verschaffen dem Land enormen Reichtum.

Wie das Nachbarland Bahrain im Nordwesten und die Vereinigten Arabischen Emirate im Südosten zählt Katar zu den einflussreichen Exportstaaten für fossile Energieträger: Öl und Erdgas aus der Region liefern die wichtigsten Treibstoffe für die Weltwirtschaft. Die klimatischen Bedingungen am Golf sind dagegen unwirtlich: Im Sommer schwül und unerträglich heiß, im Winter kühler, aber ebenso trocken.

Das extrem niederschlagsarme Staatsgebiet ist größtenteils von Wüstenlandschaften bedeckt. Von der südlichsten bis zur nördlichsten Spitze der Halbinsel Katars sind es nicht einmal 190 Kilometer. Das entspricht in etwa der Strecke von Würzburg nach Göttingen (Luftlinie). Von West nach Ost misst das Land nicht mehr als etwa 90 Kilometer.

In Katar leben offiziellen Angaben zufolge rund 2,677 Millionen Einwohner, Schätzungen der Weltbank gehen von rund 2,9 Millionen aus. Der Großteil der Bevölkerung stammt aus dem Ausland, weniger als 15 Prozent der in Katar lebenden Menschen verfügt über die katarische Staatsbürgerschaft.

Die Katarer sind somit eine Minderheit in ihrem eigenen Land: Rund 85 Prozent der Wüstenstaat-Einwohner sind Ausländer, darunter reiche Exilanten, Fachkräfte aus den USA und Europa sowie - in der Masse - arme Gastarbeiter aus Ländern wie Indien, Pakistan oder Bangladesch, die für Niedriglöhne im Dienstleistungssektor oder auf den zahlreichen Baustellen des Landes arbeiten.

Die demografischen Folgen sind enorm: Die starke Zuwanderung arbeitssuchender Migranten führt unter den Bedingungen des katarischen Aufenthaltsrechts zu einem gewaltigen Männerüberschuss. Vor allem in den Altersgruppen der Erwerbstätigen sind Männer klar in der Überzahl. Nur etwa ein Viertel der Bevölkerung ist weiblichen Geschlechts.

Die Gründe für diese Schieflage liegen auf der Hand: Die Möglichkeiten der Familiennachführung sind für Gastarbeiter beschränkt, zugleich sind die Lebenshaltungskosten vor Ort hoch, die Geburtenrate niedrig. Das führt dazu, dass in Katar insgesamt sehr viel mehr Männer als Frauen leben. In kaum einem anderen Land der Welt sind die Ungleichgewichte im Bevölkerungsaufbau ähnlich stark ausgeprägt wie in Katar.

Staatsreligion ist der Islam, das Herrscherhaus ist sunnitisch-wahhabitisch geprägt. Die Gesetzgebung folgt der Scharia. "Frauen wurden durch Gesetze und im täglichen Leben weiterhin diskriminiert", heißt es bei Amnesty International. "Unzucht" und "einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Männern" gelten in Katar als Verbrechen, auf das bis zu sieben Jahre Haft stehen.

Strafbar macht sich schon, wer "in irgendeiner Weise zu Unzucht oder Ausschweifung verleitet, anstiftet oder verführt" oder "einen Mann oder eine Frau in irgendeiner Weise zu verbotenen oder unmoralischen Handlungen verleitet oder verführt".

Katar ist ein Land der Widersprüche: Der strengen, erzkonservativen Auslegung des Islam in der Gesetzgebung steht eine staatlich verordnete Strategie der Weltoffenheit gegenüber. Im Sport, im Flugverkehr und auch im Tourismus soll Katar nach dem Willen des Machthabers eine tragende Rolle spielen. Das rohstoffreiche Land investiert im großen Stil in Bereiche wie Luftfahrt (Qatar Airways), Medien (Al-Dschasira) und Universitäten ("Education City").

Geld ist im Überfluss vorhanden: Katar war bis vor Kurzem noch zweitgrößtes Erdgas-Exportland der Welt hinter Russland. Gezielt baute das Land am Golf Kapazitäten und Lieferbeziehungen für Flüssiggas (LNG) auf. Katar besitzt zusammen mit dem Iran Anteile am weltgrößten Erdgasfeld. Per LNG-Tanker lässt sich der fossile Reichtum auf dem Weltmarkt verkaufen. Katar hat sich früh gegen den kostspieligen Bau von Pipelines entschieden - so ist das Emirat unabhängig vom großen Nachbarn Saudi-Arabien und kann sich - anders als Russland - flexibler nach neuen Abnehmern umsehen.

Im zurückliegenden Jahr kam Katar beim Erdgas-Export auf einen Weltmarktanteil von 12,5 Prozent. Die Einnahmen aus dem Verkauf kommen in erster Linie dem Staat und damit dem herrschenden Königshaus zugute. Die Regierung unter Tamim bin Hamad Al Thani hat sich die Sicherung des Lebensstandards zum Ziel gesetzt und kann dabei weitgehend frei gestalten.

Nominell zählt Katar zu den Staaten mit dem weltweit höchsten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell nahe null. Katarische Staatsbürger erhalten umfangreiche Fördermittel und bei Bedarf auch soziale Unterstützung. Geld fließt in die Bildungs- und Gesundheitssysteme. Der überwiegende Teil der Wirtschaftskraft stammt jedoch weiter aus der Verkauf der fossilen Bodenschätze.

Noch ist genug Erdgas im Boden. Mit aller Macht drängt Katar auf eine Erweiterung der wirtschaftlichen Grundlagen. Das kleine Land am Golf, so die Vision der Führungsschicht, soll in Zukunft zum internationalen Drehkreuz werden - für Handel, Finanzen, Diplomatie, Politik und auch im Sport.

Katar hat genügend Mittel, um sich großzügige Beteiligungen an einflussreichen Unternehmen in aller Welt zu kaufen. Auch in Deutschland ist der staatliche Anlagefonds Qatar Investment bereits breit investiert. Katar hat sich über seinen Staatsfonds Beteiligungen und Mitspracherechte an Konzernen wie Volkswagen, Porsche, Deutsche Bank, RWE, Siemens und Hapag-Lloyd gesichert.

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Im Hintergrund zieht das Emirat daneben auch alle Register, um zur politisch-diplomatischen Regionalmacht von Weltrang aufzusteigen. Misstrauisch beäugt von seinem sunnitisch geprägten Nachbarn Saudi-Arabien und den westlichen Verbündeten, pflegt Katar weiterhin politische Beziehungen zum iranischen Mullah-Regime. Offen oder verdeckt unterhält die Führung in Katar zudem Kontakte zu islamistischen Organisationen in den Palästinensergebieten, in Ägypten, Syrien und bis hin zu den afghanischen Taliban. Der Vorwurf der Terrorfinanzierung führte zeitweise sogar zum offenen Bruch im Kreis der Golfstaaten: Saudi-Arabien, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate brachen die diplomatischen Kontakte 2017 vorübergehend ab und riefen zum Boykott auf. Die Beziehungen sind noch immer belastet.

Wie passt die Fußball-Weltmeisterschaft in dieses Bild? "Sportpolitik ist wichtiger Bestandteil der katarischen 'Soft-Power-Strategie'", erklärte der Berliner Politikwissenschaftler Sebastian Sons im Vorfeld der WM. Die Regierung in Katar betrachtet Sport demnach als eines von mehreren "Instrumenten", um "positive Aufmerksamkeit" zu erzeugen, politische Machtstrukturen zu sichern, Investitionen anzulocken und diplomatische Partnerschaften aufzubauen. Wird die Rechnung aufgehen? Ohne Wahrung der Menschenrechte erscheint dieses Ziel für Katar - zumindest in der westlichen Welt - aktuell kaum erreichbar.

Quelle: ntv.de

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