Euro statt Armut, Banken statt Klima G20 basteln an ihrer Welt
04.11.2011, 20:54 Uhr
Wer hat da jetzt einen Witz gemacht?
(Foto: dpa)
Die Euro-Krise und Spekulationsgeschäfte stehen im Mittelpunkt des G20-Gipfels in Cannes. Kritiker bemängeln, dass dabei Themen wie Armut und Klimaschutz auf der Strecke bleiben. Immerhin wollen die führenden Industriestaaten systemrelevante Banken umbauen. Auch der IWF soll mehr Macht erhalten - und beobachtet schon mal Italien.
Lehre aus der Lehman-Pleite: Die weltweit stärksten Banken sollen so umgebaut werden, dass Steuerzahler nicht mehr für Verluste aufkommen müssen. Das beschlossen die führenden Volkswirtschaften zum Abschluss des G20-Gipfels im französischen Cannes. Um die Euro-Schuldenkrise einzudämmen, kommt der Internationale Währungsfonds (IWF) - eine Art Weltfinanz-Feuerwehr - den Europäern mit Expertise und Geld zur Hilfe. Italien, nach Griechenland das Land mit der gefährlichsten Verschuldung, . Lob gab es für den Dialog zwischen Regierung und Opposition in Griechenland.
Entwicklungshilfeorganisationen und Umweltschützer kritisierten, dass der Gipfel sich zu sehr auf die Schuldenkrise konzentriert habe. Brennende Themen wie Hunger und Klimawandel seien ausgeklammert worden. Man habe sich auch Fortschritte bei der Einführung einer Transaktionssteuer gewünscht. Ein Sprecher der Globalisierungskritiker, die parallel zu dem zweitägigen Gipfel in Nizza protestierten, sprach von einer "völlig negativen Bilanz".
Merkel ist "sehr zufrieden"
Die G20 einigten sich derweil, den Kampf gegen Spekulationsgeschäfte und Steuersünder auszuweiten. Sogenannte Schattenbanken müssen mit Auflagen und Aufsicht rechnen. Vorerst soll der Finanzstabilitätsrat (FSB) bis Ende 2012 entsprechende Methoden entwickeln. Generell wollen die G20 den FSB "reformieren" und dessen Möglichkeiten und Ressourcen stärken. Die G20 wollen zudem die von Banken gezahlten Boni überprüfen.
Die Arbeiten hätten bereits begonnen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem zweitägigen Gipfel. "Wir werden Druck machen, dass das möglichst schnell beendet wird. (...) Jeder Akteur, jeder Platz, jedes Instrument muss einer Regulierung unterworfen werden." Die Kanzlerin zeigte sich aber "sehr zufrieden" mit den Beschlüssen.
Insgesamt stehen 29 sogenannte systemrelevante Banken auf der Liste. Systemrelevant ist eine Bank, wenn ihre Pleite das internationale Finanzsystem zum Kollaps bringen kann. Merkel sagte: "Das ist ein großer Gewinn. Von deutscher Seite gehören unsere beiden größten Banken dazu. Die Deutsche Bank und die Commerzbank."
Im Kampf gegen Steuerhinterziehung werden nach Angaben Merkels elf Finanzplätze ins Visier genommen. Diese Steueroasen hätten nicht die notwendigen Fortschritte gemacht, sagte sie, ohne Namen zu nennen. Nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen sind die Schweiz, Panama, die Seychellen, Uruguay und Liechtenstein betroffen. Außerdem soll es "Garantien" für die Vertraulichkeit ausgetauschter Informationen zur Steuerflucht geben.
"Italien ist nicht alleine"
Frankreichs Staatspräsident und Gastgeber Nicolas Sarkozy würdigte den Einsatz der G20 gegen die europäische Schuldenkrise. Vor allem gehe es darum, Italien aus der Schusslinie der Finanzmärkte zu nehmen. "Es gibt Institutionen in Europa, die EZB und den EFSF-Fonds. Sie sind bereit einzugreifen, wenn dies nötig ist", sagte er. "Italien ist nicht alleine." EZB steht für die Europäische Zentralbank, EFSF für den Krisenfonds der Euroländer zugunsten klammer Mitgliedstaaten.
Der IWF wird zudem kurzfristige Liquiditätskredite ausgeben, um vorbeugend Länder vor Attacken der Finanzmärkte zu schützen. Die neue geplante Liquiditätslinie des IWF soll allerdings nur Ländern mit einer gesunden Finanzpolitik zugutekommen. Die großen Schwellenländer wollen über den IWF den Euro-Krisenstaaten helfen. Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff sagte, sie habe "überhaupt nicht die Absicht, direkte Beiträge" zum Euro-Krisenfonds EFSF zu leisten. Brasilien sei aber bereit, mehr Geld in einen Topf beim IWF zu investieren, der "Garantien" für die brasilianischen Einlagen abgebe.
Rousseff hob hervor, dass sich bei diesem Vorgehen alle fünf großen Schwellenländer - Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika (BRICS) - einig seien. Sie verwies insbesondere darauf, dass China den Weg über den IWF einer direkten Beteiligung am europäischen Krisenfonds EFSF vorziehe. Auch Mexiko, das die Präsidentschaft der G20 von Frankreich übernahm, sprach sich für IWF-Hilfen für die Euro-Zone aus.
US-Präsident Barack Obama mahnte ein entschlossenes Handeln im Kampf gegen die Schuldenkrise in Europa an. Die Beschlüsse der Europäer müssten jetzt so kraftvoll und so schnell wie möglich durchgesetzt werden, sagte er. Er warnte vor allzu viel Optimismus. "Es liegt noch viel harte Arbeit vor uns." Die USA wollten die europäischen Partner weiterhin unterstützen.
Hilfsgelder lehnt Berlusconi ab
Sarkozy begrüßte ausdrücklich die Reformanstrengungen Italiens. "Es hat die nötigen Entscheidungen getroffen." Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi willigte in Cannes ein, sein Reform- und Sparprogramm auch vom IWF überwachen zu lassen - kein leichter Schritt für das Land. Mit dem IWF-Einsatz in Rom solle mehr Vertrauen an den Märkten geschaffen und die Finanzierung der Schuldenlast erleichtert werden, hieß es. Ein IWF-Angebot für Hilfsgelder lehnte Berlusconi aber als "nicht notwendig" ab.
Bisher hatte nur die EU-Kommission diesen Auftrag. Italien steht wegen seiner Schuldenlast von 120 Prozent der Wirtschaftsleistung unter dem Druck der Märkte. Italien ist aber überwiegend bei inländischen Geldgebern verschuldet. Zudem gilt die Wirtschaft grundsätzlich als solide. , deren Umsetzung er in Cannes zusagte. Nach dem Austritt zweier Abgeordneter aus seinem Lager hat Berlusconi keine absolute Mehrheit mehr. Die Debatte um Neuwahlen geht weiter. Berlusconi nannte die Befürchtungen um Italien übertrieben. Berlusconi sagte: "Ich frage mich, wenn ich hier so am G20-Tisch sitze, wer könnte Italien besser repräsentieren, wäre ich nicht hier? Ich finde niemanden unter Italiens gegenwärtigen Politikern. Ich denke, diese Regierung hat eine solide Mehrheit."
"Aktionsplan für Wachstum und Beschäftigung"
Keinen Fortschritt gab es offensichtlich beim Thema Transaktionssteuer. Die G20-Staaten stritten weiter über Maßnahmen gegen gefährliche Spekulationsgeschäfte. In der Abschlusserklärung des Gipfels heißt es lapidar: "Wir erkennen die Initiativen zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer in einigen unserer Staaten an." Damit sind Sarkozys Pläne für die Einführung einer globalen Bankenabgabe auf Finanzgeschäfte gescheitert.

Ein bisschen wie ein Bettvorleger: Frankreichs Präsident Sarkozy konnte nicht alle seine Wünsche umsetzen.
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Mit Blick auf die schwache Konjunktur vor allem in Europa und Amerika sagte Sarkozy, es gebe Konsens, jegliche Haushalts-Spielräume zur Wachstumsankurbelung zu nutzen. "Solide Länder" wie China oder Deutschland seien bereit, neue Maßnahmen zu ergreifen, um das Wachstum zu unterstützen.
Zur Ankurbelung der Weltkonjunktur wollen die führenden Industrie- und Schwellenländer an einem Strang ziehen. Ein "Aktionsplan für Wachstum und Beschäftigung" soll dafür sorgen, dass die Länder enger zusammenarbeiten. Defizitländer verpflichten sich demnach zum Schuldenabbau und Exportmächte wie China oder Deutschland zur Stärkung ihrer Inlandsnachfrage. Merkel wandte sich aber gegen den Eindruck, "Wachstum könne man nur durch staatliche Mittel und Konjunkturprogramme befördern".
Der nächste G20-Gipfel findet im Juni 2012 im mexikanischen Los Cabos statt.
Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP/rts