Kita-Plätze statt Betreuungsgeld Gabriel fordert "Krippengipfel"
30.05.2012, 02:40 Uhr
Rechtsanspruch ab Sommer 2013: Betreuung durch Aushilfskräfte?
(Foto: dapd)
Die SPD drängt die Bundesregierung zu einem Spitzentreffen mit Vertretern von Kommunen und Ländern, um das drohende Scheitern des Kita-Ausbaus abzuwenden. SPD-Chef Gabriel greift Merkels Familienministerin Schröder scharf an. Erste Details aus ihrem Zehn-Punkte-Plan gelangen vorab an die Öffentlichkeit.

Familienminsterin und Mutter der knapp neun Monate alten Judith (l.): Mit zehn Punkten will Kristina Schröder den Kita-Ausbau sichern.
(Foto: REUTERS)
SPD-Chef Sigmar Gabriel verlangt einen nationalen "Krippengipfel", um das weitere Vorgehen beim bundesweit abzustimmen. In knapp 15 Monaten hätten alle Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für ihre ein- und zweijährigen Kinder, hob Gabriel hervor. Wenn der Ausbau jetzt nicht in Gang komme, drohe eine Prozesslawine, sagte der Parteichef der "Süddeutschen Zeitung".
Statt endlich richtig in den Kita-Ausbau zu investieren, wolle die Regierung "junge Eltern mit dem als Billigangebot abspeisen". Dafür würden "zwei Milliarden Euro verpulvert, mit denen man 200.000 zusätzliche Plätze schaffen könnte".
"Überforderte Ministerin"
Familienministerin (CDU) müsse jetzt schleunigst einen Gipfel einberufen und dort ein tragfähiges Konzept vorstellen, forderte Gabriel. Es dürfe nicht angehen, "dass der Ausbau von frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten an einer überforderten Ministerin scheitert".
An dem Treffen sollten nach Ansicht der Sozialdemokraten auch Länder und Kommunen teilnehmen. "Für die SPD ist klar: Das Betreuungsgeld ist Unsinn. Die Bundesregierung muss sich jetzt endlich ihrer Verantwortung für den Kita-Ausbau stellen."
Hintergrund des Vorstoßes ist ein anstehender Termin in der Berliner Kabinettsrunde: Mitte der Woche will Familienministerin Schröder dort ihren Kabinettskollegen einen zum beschleunigten Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige vorstellen. Nach Schätzungen ihres Ministeriums fehlen bundesweit noch immer 130.000 Betreuungsplätze in Kitas oder bei Tagesmüttern.
Unter unabhängigen Experten formiert sich unterdessen der Widerstand gegen das Vorhaben der Familienministerin. Unicef Deutschland und der Deutsche Kinderschutzbund lehnen die Pläne zu Betreuungsgeld und Kita-Ausbau ab. "Die Kluft zwischen Kindern in Deutschland darf nicht weiter wachsen. Dazu müssen klare Prioritäten für die Förderung benachteiligter Kinder gesetzt werden", sagte Unicef-Geschäftsführer Christian Schneider der "Passauer Neuen Presse". Der Ausbau der Kinderbetreuung müsse "quantitativ und qualitativ" vorangetrieben werden - "das Betreuungsgeld dient diesem Ziel nicht", erklärte Schneider. Erforderlich sei "eine nationale Agenda, die allen Kindern gute Chancen auf Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglicht".
Erste Details aus dem Zehn-Punkte-Plan
Den Ausbau des Betreuungsangebots für Kleinkinder will Schröder bislang unbestätigten Informationen zufolge unter anderem mit zinsgünstigen Krediten für Kommunen und Personalkostenzuschüssen für Tagesmütter beschleunigen. Viele Gemeinden und Träger hätten "Probleme, die für Ausbau und Betrieb einer bedarfsgerechten örtlichen Kinderbetreuung notwendigen Ausgaben zu stemmen", zitierte die "Passauer Neue Presse" vorab aus Schröders Zehn-Punkte-Programm.
Vorgesehen sind demnach Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) von insgesamt 350 Mio. Euro für Kommunen und Träger, die der Bund durch einen Zinszuschuss unterstützen soll. So würden finanzielle Hürden beim Ausbau vor Ort beseitigt.
Außerdem soll der Zehn-Punkte-Plan ein neues Bundesprogramm mit Personalkostenzuschüssen für Tagesmütter und Tagesväter enthalten. Dafür würden "in einem ersten Schritt" ab August 2012 bis Ende 2014 Fördermittel in Höhe von 10 Mio. Euro aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Etat des Bundesfamilienministeriums zur Verfügung gestellt.
Niedrigere Standards?
Schröder plane zudem, bürokratische Standards für die Kinderbetreuung vorübergehend abzusenken. Ausbau- und Betreuungshindernisse sollten so kurzfristig überwunden werden, ohne dass die Qualität der Betreuung eingeschränkt werde. Den Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld hatte Schröder den anderen Bundesministerien vorab zur Abstimmung zugeschickt. Eltern von Kindern zwischen dem 13. und 36. Lebensmonat sollen künftig ein Betreuungsgeld erhalten, wenn sie kein staatlich gefördertes Angebot in einer Krippe oder bei einer Tagesmutter in Anspruch nehmen.
Unabhängig davon gilt ab dem 1. August 2013 ein "individueller Rechtsanspruch" auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren. Eltern, die ihren Nachwuchs in einer Kindertagesstätte an ihrem Wohnort unterbringen wollen, können dann nicht länger mit Wartelisten oder Hinweisen auf mangelnde Kapazitäten vertröstet werden. Die zuständige Kommune muss den dann rechtlich einklagbaren Kitaplatz zu Verfügung stellen.
Die Frage, wie sich Kita-Träger auf den rechtlich untermauerten Ansturm auf Kindertagesstätten vorbereiten können, ist Gegenstand hitziger Debatten. Einem Vorschlag der Kommunen zufolge, könnten Kleinkinder ab August 2013 in Krippen über längere Zeit auch von ungelerntem Personal betreut werden.
Freiwillige für den Schnullerdienst?
Angesichts des Erziehermangels regte der Präsident des Städte- und Gemeindebundes Roland Schäfer an, vorübergehend auch Hilfskräfte im Sozialen Jahr oder aus dem Bundesfreiwilligendienst in Kitas zu beschäftigen.
Kinderschutzbundpräsident Heinz Hilgers kritisierte dies als katastrophalen Vorschlag zulasten der Kinder. Hilgers will nach eigenen Worten eine Verfassungsklage gegen das Betreuungsgeld unterstützen. "Es gibt sehr nachvollziehbare verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Betreuungsgeld", sagte er. Klagen könnte aber nur jemand, der persönlich betroffen sei, sagte er und erklärte zugleich: "Wir sind bereit, eine Familie in einem Musterverfahren zu unterstützen."
Der Präsident des Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, sagte den Zeitungen der WAZ-Gruppe: "Für ein Jahr ist das machbar, aber es kann nicht sein, dass ein ganzer Kita-Jahrgang mit Provisorien groß wird."
Quelle: ntv.de, AFP/dpa