Politik

Corona-Krise im Weißen Haus Hilfe von Putin, motzen über die Saudis

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Trump rühmt seine Wirtschaftsbilanz - bis das Virus kam.

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Raus aus dem Homeoffice, rein in den Briefing Room. Was für einen Korrespondenten dort sonst Alltag ist, wird zur Reflexion über eine Krise unter US-Präsident Trump - zwischen Desinfektionsmittel, Fiebermessen und Markierungen.

Draußen ist der Himmel blau. Etwas windig, aber die Sonne wärmt. Durch das weiße Sprossenfenster an meiner linken Seite kann ich die ersten weißen Azaleenblüten sehen. Alles friedlich. Kaum Kollegen hier. Fast schon Urlaubsstimmung - hätte ich nicht vor dem üblichen Sicherheitscheck am Nordwest-Tor an einem Zelt vorbeigemusst, um meine Temperatur messen zu lassen. Corona-Zeit im Weißen Haus.

"Liebe Kollegen", beginnt das Schreiben, das seit drei Wochen an der Tür zum Briefing Room hängt. "Wir bitten alle, die können, von zu Hause zu arbeiten. Wir reduzieren die zur Verfügung stehenden Sitze, um Social Distancing zu gewähren." Unterschrieben ist das Ganze vom Board der White House Correspondents' Association.

Also auch hier: Abstand halten. Leichter gesagt als getan, steht mein kleiner Schreibtisch mit dem friedlichen Ausblick doch direkt am engen Gang, an dem jeder vorbei muss. Aber was solls, sagt sich da der Hypochonder, während schräg hinter ihm der automatische Spender mit dem Handdesinfektionsmittel surrt, was soll denn erst ein Busfahrer oder eine Krankenschwester sagen. Und außerdem käme ich ja aus Deutschland, wo kaum jemand sterbe, murmelt da gerade ein Kollege hinter seiner Schutzmaske.

Aber was nützt mir der aus US-amerikanischer Sicht hervorragende deutsche Umgang mit der Seuche? Ich sitze ja in Washington und bin halt heute dran in der Rotation der Auslandskorrespondenten.

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Propaganda-Coup aus Moskau: Eine Antonow landet in New York City.

(Foto: REUTERS)

Auf dem Weg hierher las ich über die Landung einer Antonow 124 auf dem John F. Kennedy Airport. Moskau liefert Beatmungsmaschinen und Schutzkleidung nach New York. Ölkrisen-Russland hilft der reichsten Nation der Welt, den USA. Was für ein Propaganda-Coup. Leicht peinlich für alle Seiten: Die Gegner des Präsidenten müssen Hilfe von demjenigen akzeptieren, der mit seiner Einmischung in die Wahl 2016 Donald Trump mit zum Sieg verholfen hatte. Und Donald Trump, der sonst gern genau wie jener Wladimir Putin seine Stärke betont, steht auf einmal hilfsbedürftig da.

Krankwerden kostet 8000 Dollar

Aber so ist es in Corona-Zeiten. Nicht nur körperliche Schwächen oder Vorerkrankungen können fatale Konsequenzen haben, auch Systemschwächen und falsche Politik drohen schonungslos entlarvt zu werden. In den USA beginnt das mit dem Gesundheitssystem. Nicht nur, dass bekanntlich viele erst gar nicht versichert sind, denn selbst die, die versichert sind, können sich nicht unbedingt einen Arztbesuch leisten oder für überteuerte Medikamente zahlen.

Die meisten Krankenversicherungen erheben erst einmal ein deductible, eine Selbstbeteiligung von mehreren 100 bis 1000 Dollar. Danach bleiben dann immer noch 20 bis 40 Prozent der Kosten beim Versicherten hängen, copay nennt man das. Auf diese Weise hänge ich mit meiner Familie zum Beispiel mit über 8000 Dollar drin, bevor die Versicherung dann alles zahlen würde. Also besser nicht erkranken! Das System rächt sich in der Krise: Wer dem Arzt fernbleibt, steckt länger seine Mitmenschen an. Krankenhäuser haben nicht genug Betten und Ausrüstung, schließlich hatten ja alle immer alles versucht, um einen Aufenthalt dort zu vermeiden.

Aber genug des Corona-Räsonierens, der Lautsprecher ruft die Journalisten. Also Schreibblock und Stift schnappen und ab zur Tür hinter dem Podium im Briefing Room. In die Schlange zu den anderen, rund 20 Kollegen, die heute dran sind, für TV, Radio, Zeitungen, Magazine und Fotoagenturen zu berichten. Auch hier wieder hält mir ein freundlicher junger Mann ein Infrarot-Thermometer an die Stirn und seine Kollegin klebt mir einen gelben Punkt ans Revers: Alles okay, unter 99,5 Grad Fahrenheit Körpertemperatur.

Coronakrise? Ölkrise!

Im Cabinet Room sitzt der POTUS umgeben von Öl und Gas-Titanen samt ein paar republikanischen Senatoren. POTUS ist die offizielle Abkürzung hier für President of The United States (übrigens schon vor Donald Trump immer in Großbuchstaben geschrieben). Wir wurden hereingerufen, damit wir berichten können, dass die Öl und Gas-Titanen von Exxon Mobile oder Phillips 66 dem POTUS für seine großartige Führung danken. Vorher hatte Trump noch gesagt, was er diese Tage nicht genug sagen kann: dass er die großartigste Wirtschaftsbilanz vorzuweisen hatte, bis das nicht Vorhersehbare gekommen sei.

Aber Trump-Lob war nicht das einzige Gesprächsthema beim Treffen im Cabinet Room, denn wir durchleben ja gerade nicht nur eine Corona-, sondern auch eine Ölkrise. Ölkrise mit umgekehrten Vorzeichen: das Angebot zu hoch, die Preise zu niedrig. Das freut die Verbraucher, aber Trumps Lieblingsindustrie verdient nichts mehr. Das in den USA gewonnene shale oil, das aus dem Schiefer herauszupressen viel teurer ist, als in der saudischen Wüste zu bohren, ist nicht mehr konkurrenzfähig. North Dakota musste gerade seinen Landeshaushalt dramatisch kürzen, sagt jetzt der anwesende Senator des nordwestlichen Öl-Bundesstaates und lässt dann wie zuvor sein Amtskollege aus Texas seinem Zorn über Saudi Arabien freien Lauf.

Ausgerechnet Saudi-Arabien! Das Land, das Donald Trump auf Geheiß seines Schwiegersohn-Beraters Jared Kushner gleich nach seinem Amtsantritt mit einem Staatsbesuch beehrt hatte und dessen hitzköpfiger Kronprinz Trump erst zum Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran gedrängt und dann, so der selbst von Trumps Freunden erhobene Vorwurf, einen ihm unbequemen Kommentator der "Washington Post" mit einer Knochensäge zerstückeln ließ.

Trumps Freund in Saudi-Arabien flutet also die Welt ausgerechnet in der Corona-Krise mit Öl, weil er mit dem anderen Trump-Freund in Russland über Fördermengen streitet, weshalb weltweit die Börsen ins Bodenlose fallen. Aber, sagt Donald Trump den anwesenden Öl- und Gas-Titanen, die beiden wollen eine Lösung. Er habe mit ihnen telefoniert. Also: Danke für Ihre Führung, Herr Präsident!

Dann geht es zurück an meinem kleinen Schreibtisch. Ich bekomme dort noch einmal Besuch: Fiebermessen. Diesmal heften sie mir ein Rechteck ans Revers. Wieder in Gelb.

Quelle: ntv.de

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