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Sorge vor Moskaus Expansionskurs In Finnland wird das Training an der Waffe immer beliebter

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Schießtraining beim Reservistenverband Vantaa.

Schießtraining beim Reservistenverband Vantaa.

(Foto: AP)

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führt in Finnland zu einem Umdenken. Zusammen mit Schweden schließt sich das Land der NATO an. Aber auch die Einstellung der Zivilbevölkerung verändert sich durch Moskaus Expansionskurs. Reservistenverbände und Schießplätze gewinnen stark an Popularität.

In der Lagerhalle im südfinnischen Kerava wurde einst Sexspielzeug hergestellt, heute ist hier das Knallen von Schüssen zu hören. Der Reservistenverband von Vantaa betreibt auf dem Gelände einen Schießstand und hat großen Zulauf: In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Zahl seiner Mitglieder auf mehr als 2100 verdoppelt.

Wenige Orte erzählen die Geschichte vom wachsenden finnischen Interesse an der Selbstverteidigung wohl so gut wie Schießstände, an deren Verbreitung die Regierung in Helsinki kräftig mitwirkt. In diesem Jahr verkündete das Koalitionsbündnis Pläne, mehr als 300 neue Schießübungsplätze im Land zu eröffnen. Aktuell sind 670 in Betrieb.

"Ich denke, dass sich der Wind gedreht hat"

Dass das Training an der Waffe bei Finnen immer beliebter wird, sehen Beobachter als eine Folge der russischen Invasion in die Ukraine. Das Expansionsstreben Moskaus rüttelt viele Menschen in Finnland auf, das eine rund 1340 Kilometer lange Grenze zu Russland hat. Im vergangenen Jahr trat Finnland nicht zuletzt wegen seiner Sorge vor dem großen Nachbarn als 31. Mitglied der NATO bei. Später stieß auch der Nachbar Schweden zur Militärallianz. Im November kündigten beide Länder an, ihre Strategien für den Zivilschutz auszubauen.

Und auch im Privatleben setzen die Menschen in Finnland verstärkt auf Selbstverteidigung. "Da klingelt etwas bei ihnen im Hinterkopf, das ihnen sagt, dass das die Fähigkeit ist, die sie jetzt lernen müssen", erklärt der Chef des Reservistenverbands von Vantaa, Antii Kettunen, während er neben von Kugeln durchlöcherten Zielscheiben steht. "Ich denke, dass sich der Wind gedreht hat, nun weht er vom Osten."

Es sind aber beileibe nicht nur die Schießstände, die einen Ansturm erleben. Der nationale Verteidigungsverband berichtet, er habe in diesem Jahr insgesamt bereits 120.000 Schulungstage angeboten, mehr als doppelt so viele wie noch vor drei Jahren. Die nationale Reservistenvereinigung setzt sich zwar zu rund 90 Prozent aus Militärreservisten zusammen, hat aber auch Hobbyisten in ihren Reihen. Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist die Mitgliederzahl beim Verband um mehr als zwei Drittel auf mehr als 50.000 gestiegen.

"Das ist die neue Ära der Zivilschutzbunker"

Und anders als einige europäische Länder hat Finnland rund 50.000 Zivilschutzbunker aus der Ära des Kalten Krieges behalten. Im Ernstfall könnten sie fast 85 Prozent der Bevölkerung von rund 5,5 Millionen Menschen beherbergen. "Das ist die neue Ära der Zivilschutzbunker, was den jüngsten Entwicklungen des Krieges zuwiderläuft", sagt Tomi Rask von den Rettungsdiensten in Helsinki auf einer Tour in einem der Bunker in der Hauptstadt. "Wir wissen, dass all unsere Nachbarn dazu fähig sind, uns zu schaden, unseren Bürgern zu schaden, und wir denken, dass wir uns vorbereiten müssen."

Auf dem Schießstand in Kerava bewegen sich unterdessen Reservisten und Hobbyschützen in Tarnkleidung durch einen Hindernisparcours, mitunter hallen ohrenbetäubende Schüsse aus Glock-Pistolen, die Zielscheiben in Menschenform treffen. "Manche Leute machen das nur zum Spaß", erzählt Miikka Kallio, ein 38-jähriger Feuerwehrmann. "Einige tun es vielleicht wegen unseres östlichen Nachbarns: Ich habe gehört, dass einige wegen des russischen Angriffs (auf die Ukraine) zu den Reservisten gegangen sind."

Den Finnen sind Spannungen mit Russland nicht fremd, und ein großer Teil der nationalen Identität des Landes wurde im Kampf gegen den östlichen Nachbarn geformt - etwa als es 1917 die Unabhängigkeit vom russischen Reich erlangte und dann mit seiner winzigen, schlecht ausgerüsteten Armee eine große sowjetische Streitmacht im sogenannten Winterkrieg zu Beginn des Zweiten Weltkriegs abwehrte. Kettunen, der Chef des Reservistenverbands von Vantaa, findet, dass Erlernen des Schießens ein bisschen so wie Schwimmenlernen sei: Beide erforderten Training und Vorbereitung. "Wenn man wissen muss, wie man schießt oder schwimmt, und man weiß es gerade nicht, ist es schon zu spät", sagt er.

Quelle: Von James Brooks, AP

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