Navka im Interview In der Ukraine ein Star, in Deutschland ein Flüchtling
09.04.2023, 18:17 Uhr Artikel anhören
"Ich möchte wirklich nicht, dass unsere Jugend wie die russische aufwächst", sagt Navka.
(Foto: Navka / Promo)
In der Ukraine ist Navka, mit bürgerlichem Namen Maryna Tymofiytschuk, eine bekannte Popsängerin. Nach Ausbruch des Krieges flieht sie nach Deutschland. Sie singt jetzt weniger, auch wenn ihr Mann, ein gebürtiger Russe, darauf besteht, dass sie weiterhin Songs schreibt. Im Gespräch mit ntv.de erzählt sie, was sie antreibt, wer ihr hilft und wie sie die Zukunft der Ukraine sieht.
ntv.de: In Deutschland sind Sie kein Popstar, sondern ein Flüchtling. Kommen Sie überhaupt noch zum Singen?
Navka: Ja, natürlich. Nachdem ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich zusammen mit ukrainischen Organisationen in vielen deutschen Städten und in der Schweiz Wohltätigkeitskonzerte gegeben, um Spenden zu sammeln. Meistens für die Gemeinden, in denen wir aufgetreten sind. Manchmal aber auch für die Militäreinheit meines Mannes. Im September waren die Konzerte vorbei und ich habe begonnen, ein neues Album aufzunehmen.
Sind Sie allein nach Deutschland gekommen?
Mit meinen beiden Kindern. Ich habe zwei Jungs, sie sind zehn und zwölf Jahre alt. Mein Mann war Reserveoffizier der ukrainischen Armee. Er wurde ein paar Tage nach Beginn der Invasion von seiner Einheit in den Kampf geschickt. Meine Kinder und ich sind dann von Kiew in die Stadt Czernowitz an der Grenze zu Rumänien gefahren. Dort habe ich mich einer Gruppe von Freiwilligen angeschlossen, die sich für Flüchtlinge engagierte. Eines Tages wurde mir klar, dass die Kinder in die Schule müssen. Denn wenn ich um 7.00 Uhr morgens das Haus verlasse und um 22.30 Uhr zurückkomme, lernen sie nichts. Kinder sind aber die Zukunft der Ukraine, nicht nur meine, sondern alle. Also sind wir ins Ausland gegangen.
Und warum nach Deutschland? Gab es schon Verbindungen oder Bekanntschaften?
Nur zufällig. Wir waren noch vor der Pandemie mal in Wernigerode. Auf Facebook hatte ich meinen Fans Bescheid gegeben, dass sie auch vorbeikommen können. Tatsächlich kam dann ein Deutscher mit seiner ukrainischen Frau. Erst war es eine lockere Bekanntschaft. Später trafen wir uns wieder und halfen uns gegenseitig. Nach Kriegsbeginn luden sie uns zu sich nach Hause ein. Es war eine zufällige Begegnung.
Wie geht es Ihrem Mann? Wo ist er im Einsatz?
Er hat mir später gestanden, dass es für ihn leichter ist, zu kämpfen, wenn wir in Sicherheit sind. Er ist Kommandeur eine Flugabwehrbatterie der Division Odessa. Im Moment befinden sie sich am Fluss Dnipro. Er hat auch an der Befreiung der ukrainischen Schlangeninsel, der Region Mykolajiw und von Cherson teilgenommen. Wir haben uns 2015 kennengelernt. Er glaubt, dass meine Musik in der Ukraine etwas bewirken kann.
Was hat er vor dem Krieg gemacht?
Er hat bei einem Internetprovider gearbeitet, ist aber schon 2014 in den Krieg gegangen. Als er zurückkam, habe ich ihn in die Politik geschubst. Ich sagte ihm: "Wenn du so hart für die Ukraine gekämpft hast, dann lass uns am Aufbau deiner Stadt mitwirken." Aber das war eher eine enttäuschende Erfahrung. Er ist ein sehr kreativer Mensch und hat erkannt, dass Musik und Kunst einen großen Einfluss auf die Zukunft der Nation haben werden. So ist er mein Koproduzent geworden, wir sind ein kreatives Tandem.
Können Sie manchmal mit ihm telefonieren?
Er hatte vor kurzem zum ersten Mal seit einem Jahr wieder Urlaub und hat mich in Wolfenbüttel besucht. Wir haben neun Tage zusammen verbracht, uns aber nicht ausgeruht, sondern für die humanitären Projekte gearbeitet, die ich aufgebaut habe. Das Wolfenbütteler Krankenhaus hat eine Menge Medikamente, Defibrillatoren und andere Dinge an uns verschenkt, die man nicht kaufen kann, weil man spezielle Genehmigungen dafür braucht. Die haben wir zusammen mit einer deutschen Freundin in einem Kleinbus in die Ukraine gebracht. Außerdem haben wir mit vielen Menschen gesprochen, damit sie nicht gleichgültig werden und verstehen, wie mörderisch Russland ist. Das war unser Urlaub.
Haben Sie Angst um ihn?
Nein, ich glaube ihm einfach, dass alles gut wird. Ich weine auch nur selten. Als wir von Kiew nach Czernowitz gefahren sind, habe ich die ganze Fahrt geweint, weil ich nicht wusste, ob wir uns wiedersehen würden. Es gab Zeiten, in denen wir keinen Kontakt hatten, das waren die schlimmsten. Aber durch seine Arbeit achtet er immer auf eine gute Internetverbindung, damit er immer erreichbar ist.
Sie sagten es bereits, Sie fahren auch persönlich Hilfsgüter in die Ukraine. Was erleben Sie auf solchen Reisen?
Es hat mich in meiner Wahrnehmung bestärkt, dass unsere Kinder die Zukunft der Ukraine sind. Wir sind erst vor zwei Wochen aus der Region Charkiw zurückgekehrt. In den drei Dörfern, in denen wir waren, waren alle Schulen zerstört. In der Stadt Charkiw waren die Universität und die daneben liegende Schule zerstört. Kinder können nicht mehr zur Schule gehen, weil Russland mit seinem Angriff physisch die ukrainische Bildung zerstört. Das ist die Frage, die mich am meisten quält: Wie können wir dafür sorgen, dass die junge ukrainische Generation trotz allem intelligent, unkompliziert und tolerant aufwächst? Ich möchte wirklich nicht, dass unsere Jugend wie die russische aufwächst.
Bekommen Sie von Ihrem Umfeld in Wolfenbüttel Unterstützung für Ihre Arbeit?
Das erste Mal bin ich allein in die Ukraine gefahren. Als ich zurückkam, hat der ehemalige Bürgermeister von Wolfenbüttel, Thomas Pink, erfahren, dass ich auf dem Rückweg ohnmächtig geworden bin und mehrere Tage in der Ukraine im Krankenhaus lag, weil meine Herzklappe gerissen war. Dann hat er zu mir gesagt: "Das nächste Mal lassen wir Sie nicht allein gehen. Meine Tochter wird Sie begleiten."
Was werden Sie als Erstes tun, wenn die Ukraine den Krieg gewinnt?
Daran denke ich überhaupt nicht. Anfangs dachte ich, dass er höchsten ein Jahr dauern würde, aber jetzt ist schon mehr als ein Jahr vergangen. Deswegen plane ich nicht mehr sehr weit voraus. Manchmal ist schon ein Tag zu lang: Als ich mit Katharina Pink, der Tochter des früheren Bürgermeisters, nach Charkiw gefahren bin, hat uns das Militär angerufen und gesagt, dass wir umdrehen und die Nacht abwarten sollen. So wird es mit dem Krieg auch sein: Er wird nicht über Nacht vorbei sein. Es sind riesige Gebiete vermint. Diese Minen werden noch explodieren, wenn Frieden herrscht.
Mit Navka sprach Maryna Bratchyk
Quelle: ntv.de