Vorgesetzte ignorierten Berichte Israels Militärgeheimdienst soll vor Hamas-Angriff gewarnt haben
18.06.2024, 13:47 Uhr Artikel anhören
Noch immer befinden sich zahlreiche israelische Geiseln in der Hand der Hamas und anderer Islamisten.
(Foto: dpa)
Das Hamas-Massaker vom 7. Oktober ist eine der größten Tragödien Israels. Nach wie vor wird diskutiert, wie es zu dem Angriff mit 1200 Toten kommen konnte. Ein TV-Bericht dürfte die Debatte befeuern. Demnach warnte ein Geheimdienst im Vorfeld vor Plänen der Hamas.
Mehr als zwei Wochen vor dem Hamas-Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober gab es laut einem Medienbericht deutliche Warnungen des Militärgeheimdienstes. Der öffentlich-rechtliche Kan-Sender berichtete, Pläne der islamistischen Hamas, Militärbasen und zivile Ortschaften im Grenzgebiet anzugreifen, seien bekannt gewesen. Ein israelischer Armeesprecher sagte, man prüfe den TV-Bericht.
Soldaten der Elite-Geheimdiensteinheit 8200 hätten in einem am 19. September 2023 innerhalb der Gaza-Division verbreiteten Brief das Training der Hamas für ein Eindringen in Militäreinrichtungen beschrieben. Auch vor Plänen der Hamas, 200 bis 250 Israelis zu entführen, darunter Frauen und Kinder, sei gewarnt worden. Die Warnungen seien jedoch von den Vorgesetzten ignoriert worden. In der Gaza-Division sei man davon ausgegangen, dass im schlimmsten Fall mehrere Dutzend Terroristen an drei Stellen nach Israel vordringen könnten.
Ein Militärkorrespondent von Kan erklärte: "Das Sicherheitssystem strebte damals nach einer Befriedung des Gazastreifens, mithilfe einer Verbesserung der Lebensumstände der Zivilbevölkerung, Arbeitsgenehmigungen für Palästinenser und der Aufhebung von Warenbeschränkungen." Vor dem 7. Oktober habe die Armee sich vor allem auf die Sperranlage an der Grenze zum Gazastreifen verlassen, die auch bis tief in die Erde reicht. "Am 7. Oktober ist alles zusammengebrochen", sagte der Korrespondent.
Ranghohe Mitglieder der Gaza-Division hätten offenbar mit Geringschätzung auf die Geheimdienstwarnungen reagiert. "Niemand hat auf den Tisch gehauen und Alarm ausgerufen." Ein Soldat, der an der Ausarbeitung des Dokuments beteiligt gewesen sei, habe angesichts des Massakers am 7. Oktober rückblickend geschrieben: "Ich möchte am liebsten weinen, schreien und fluchen."
Der Kommandeur der Gaza-Division hatte vor gut einer Woche seinen Rücktritt erklärt. "Am 7. Oktober bin ich an der Aufgabe meines Lebens, das Gaza-Grenzgebiet zu schützen, gescheitert", schrieb Brigadegeneral Avi Rosenfeld.
Im April hatte bereits der Chef des Militärgeheimdienstes, Aharon Chaliva, seinen Rücktritt erklärt. Auch Israels Verteidigungsminister Joav Galant und der Chef des Inlandsgeheimdienstes, Ronen Bar, hatten Verantwortung dafür übernommen, dass der blutige Terrorangriff mit mehr als 1200 Toten und mehr als 250 Entführten geschehen konnte.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat dagegen noch keine persönliche Verantwortung übernommen. Zuletzt waren die Spannungen zwischen der politischen und militärischen Führung Israels im Streit um die Schuldfrage deutlich gestiegen. Zudem protestierten wiederholt Tausende Menschen gegen die Politik und Kriegsführung Netanjahus.
Quelle: ntv.de, mli/dpa