Ein Jahr nach Assads SturzIst Syriens "dunkle Ära" vorbei?

Die Aufstände im Dezember 2024 beenden nach über einem Jahrzehnt die brutale Herrschaft Baschar al-Assads in Syrien. Die Übergangsregierung verspricht neue Hoffnung. Was ist davon übrig geblieben?
Fast 14 Jahre haben Aufständische dafür gekämpft, vor einem Jahr ist es passiert: Syriens Langzeitmachthaber Baschar al-Assad wurde gestürzt. Seit einem Jahr weht in dem schwer vom Bürgerkrieg gebeutelten Land ein neuer Wind. Auf den Straßen von Damaskus bis Aleppo hört man oft die Leute sagen: "Es herrscht Hoffnung". Zum ersten Jahrestag wurden Plakate aufgehängt. Darauf ist zu lesen: "Die dunkle Ära ist vorbei."
Doch das Land steht vor vielen Herausforderungen. Wie lässt sich ein jahrzehntelang auf Geheimdiensten aufgebautes System zerlegen? Und konnten die neuen Machthaber mit alten Strukturen brechen? Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Wer stellt die Regierung?
Am 8. Dezember 2024 wurde die Assad-Regierung in einer Blitzoffensive von einer Rebellenallianz unter Führung der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) gestürzt. HTS-Kopf Ahmed al-Scharaa führt heute das Land mit rund 23 Millionen Einwohnern als Übergangspräsident an.
Mit dem Umbruch wurde eine mehr als 50-jährige Herrschaft der Assad-Familie in Syrien beendet. Als Assad zu seinem Verbündeten Wladimir Putin nach Russland floh, übernahmen seine einstigen Gegner aus der Opposition die Regierungsangelegenheiten. Sie stellten eine Übergangsregierung zusammen, die auch aus Technokraten besteht.
Was macht die Regierung?
Beobachter sehen die Regierung auf einem guten Weg. Kritisiert wurden die ersten Parlamentswahlen: Der Anteil von Frauen und Minderheiten blieb gering. Menschenrechtsorganisationen pochen auf mehr Demokratie.
Al-Scharaa und seiner Regierung ist es gelungen, das Land aus der jahrelangen internationalen Isolation zu holen. Er wurde nicht nur von Putin empfangen, der Assad jahrelang militärisch im Kampf gegen die jetzigen Machthaber geholfen hatte, sondern auch als erster syrischer Präsident überhaupt ins Weiße Haus nach Washington eingeladen. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz hat ihn nach eigenen Aussagen nach Berlin eingeladen. Ein Termin dafür steht noch nicht fest.
Noch immer stehe das Land vor vielen Herausforderungen, sagte Gesundheitsminister Musaab al-Ali in Damaskus. Die Verwaltungen seien auf einem guten Weg. Das Gesundheitssystem etwa verbessere sich, habe aber noch nicht das angestrebte Niveau erreicht. Er selbst ging während des Kriegs nach Deutschland und arbeitete dort als Chirurg.
Wie geht es Minderheiten?
Im ersten Jahr im "neuen Syrien" ist es bereits wiederholt zu Gewaltausbrüchen gegen Minderheiten gekommen. Dabei wurden Hunderte Menschen getötet. Auch der Regierung nahestehende Sicherheitskräfte waren darin involviert. Präsident al-Scharaa hat versprochen, Minderheiten im Land zu schützen. Kritiker werfen der Regierung jedoch vor, Transparenz und staatliche Justiz unter anderem mit symbolischen Verhaftungen und Scheinverfahren vorzutäuschen.
Die jahrzehntelange Assad-Herrschaft hat ein tief gespaltenes Land hinterlassen. Angehörige der Alawiten, der Glaubensgemeinschaft, der Assad angehörte, wurden zum Teil Opfer von Racheakten. Auch viele Christen, die von der Assad-Regierung geschützt wurden, fürchten sich vor Gewalttaten. Im Süden sind in drusischen Gebieten bei Auseinandersetzungen mit sunnitischen Beduinenverbänden Hunderte Menschen getötet worden.
Personen mit Verbindungen zur Assad-Regierung versuchten Spannungen mit Minderheiten anzuheizen, um das Land zu destabilisieren, sagte Adham al-Kaak, ein Aktivist der drusischen Gemeinschaft. Auch die wachsende Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für den Interimspräsidenten Ahmed al-Scharaa befeuere das.
Wie sieht Syrien heute aus?
Nach dem brutalen Krieg liegt das Land in vielen Teilen in Trümmern. Bundesaußenminister Johann Wadephul hat es bei einem jüngsten Besuch in Harasta bei Damaskus mit eigenen Augen gesehen: "Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben", sagte er. Syrien sehe schlimmer aus als Deutschland 1945.
Die Menschen sind traumatisiert. "Man vergisst nicht, wie Hunger schmeckt, und wie sich Angst anfühlt", sagte der 25-jährige Mohammed, Anwohner in Harasta. Der Ort stand jahrelang unter heftigem Beschuss und Belagerung. Manche Menschen sehen sich heute gezwungen zwischen den Trümmern ein Leben aufzubauen, weil sie woanders für sich keine Chance sehen.
Auch in Ost-Aleppo wurden ganze Viertel dem Erdboden gleichgemacht. Heute sehen manche Straßen noch immer so aus, als habe der Krieg dort erst gestern noch getobt. Die Lage habe sich jedoch im vergangenen Jahr verbessert, sagte ein Anwohner in Aleppo. Zum ersten Mal seit Jahren habe es im November 24 Stunden lang ununterbrochenen Strom gegeben.
Ist Syrien bereit für Rückkehrer?
Nach UN-Angaben gelten noch immer sieben Millionen Menschen im Land als Binnenvertriebene. Noch immer sind rund 16 Millionen Menschen in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen. Zwar entscheiden sich immer mehr ins Ausland geflüchtete Syrerinnen und Syrer, in ihr Heimatland zurückzukehren. Die Zahl derer, die aus Ländern wie Deutschland zurückkehren, bleibt jedoch vergleichsweise gering.
Seit dem Umbruch sind nach UN-Angaben bereits eine Million Menschen in das Bürgerkriegsland zurückgekehrt. Außerdem hätten sich 1,8 Millionen Binnenvertriebene wieder in ihre Heimatgebiete begeben. Während des Kriegs wurden rund 14 Millionen Menschen vertrieben. Viele Syrer seien zurückgekommen, um zur Förderung der Wissenschaft beizutragen, so Gesundheitsminister al-Ali. "Der Reichtum Syriens liegt heute in seinem Volk - sowohl im Inland als auch im Ausland."
Diejenigen, die zurückkehren konnten, sehen es als Privileg. Viele der Menschen, die heute in Deutschland leben, hätten keine Häuser und nichts mehr, wohin sie zurückkehren könnten, sagte Beschir Kanakri. Nach Assads Sturz ist er aus Deutschland zurück nach Syrien gekehrt. Er ist Fernsehreporter bei SyriaTV, berichtete während des Kriegs auf Seiten der Opposition - bis es nicht mehr ging. "Ich bin zurückgekehrt, weil ich endlich wieder eine Heimat hatte", sagte er. Für viele seiner Landsleute sei es schwierig und nicht möglich. Ein Leben im heutigen Syrien sei noch immer nicht einfach.