Nach Attentat bei Wahlkampfrede Japans Ex-Regierungschef Shinzo Abe ist tot
08.07.2022, 10:55 Uhr Artikel anhören
Bei einer Wahlkampfrede in der japanischen Stadt Nara schießt ein Attentäter zweimal auf Shinzo Abe. Der frühere Ministerpräsident wird mit lebensgefährlichen Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert. Dort ist er nun gestorben. Der Täter soll früher Mitglied der Selbstverteidigungsstreitkräfte gewesen sein.
Der frühere japanische Ministerpräsident Shinzo Abe ist erschossen worden. Der 67-Jährige wurde in der japanischen Stadt Nara Opfer eines Mordanschlags und starb wenig später. Abe sei verblutet, sagte ein Arzt des Universitätskrankenhauses der Stadt.
Der Täter ist ein 41 Jahre alter Japaner, der noch am Tatort festgenommen wurde. Tetsuya Yamagami feuerte zweimal mit einer selbstgebauten Schusswaffe auf den früheren Regierungschef. Er habe ihn töten wollen, soll er bei seiner Festnahme gesagt haben. Der Täter soll früher Mitglied der Selbstverteidigungsstreitkräfte Japans gewesen sein. Laut Medienberichten sagte er, er habe "keinen Groll gegen Abes politische Überzeugungen".
Auf Videoaufnahmen sind die beiden Schüsse zu hören. Am Tatort spielten sich dramatische Szenen ab. Helfer führten an dem auf der Straße liegenden Abe eine Herzmassage durch, bevor er in ein Krankenhaus gebracht wurde. Auf dem Weg ins Krankenhaus soll der Politiker noch bei Bewusstsein gewesen sein.
Abe war zunächst von 2006 bis 2007 und dann von 2012 bis 2020 Regierungschef Japans. Er war damit der am längsten amtierende Premier des Landes. Unter ihm rückte Japan nach Meinung von Kritikern deutlich nach rechts. Der 67-Jährige gehörte zu den entschiedenen Verfechtern einer Revision der pazifistischen Nachkriegsverfassung des Landes. Im Artikel 9 verzichtet Japan "für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten".
Der Anschlag in einem der sichersten Länder der Welt, das über äußerst scharfe Waffengesetz verfügt, sorgt in Japan für einen Schock. "Gewalt gegen politische Aktivitäten ist absolut inakzeptabel", sagte ein Vertreter der Kommunistischen Partei Japans, für die Abes nationalistische Politik immer ein rotes Tuch war.
Internationale Bestürzung über Tat
Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich fassungslos über den Mordanschlag. Das tödliche Attentat mache ihn tieftraurig, schrieb er auf Twitter. Sein tiefes Mitgefühl gelte Abes Familie und dem japanischen Ministerpräsidenten Fumio Kishida. "Wir stehen auch in diesen schweren Stunden eng an der Seite Japans", versicherte Scholz.
Auch Außenministerin Annalena Baerbock zeigte sich bestürzt. "Ich bin schockiert von der Nachricht, dass Shinzo Abe niedergeschossen wurde", erklärte die Grünen-Politikerin auf Twitter. Baerbock hält sich derzeit beim Treffen der G20-Außenminister auf Bali auf. Dort äußerte auch US-Außenminister Antony Blinken tiefe Trauer und Besorgnis. "Unsere Gedanken, unsere Gebete sind mit ihm, mit seiner Familie, mit Japans Volk", sagte Blinken.
Abe sah Verfassung als aufgezwungen an
Der Anschlag geschah kurz vor Wahlen zum Oberhaus des Parlaments an diesem Sonntag. "Es ist ein Angriff auf die parlamentarische Demokratie und kann nicht toleriert werden", sagte der Präsident des Abgeordnetenhauses, Hiroyuki Hosoda. Abes Nachfolger und Parteifreund Fumio Kishida verurteilte den Anschlag aufs "Schärfste". Er hatte zuvor einen Wahlkampfauftritt in der nördlichen Präfektur Yamagata abgebrochen und war im Hubschrauber zu seinem Amtssitz in Tokio zurückgekehrt.
Abe glaubte, dass Japans Verfassung nicht der einer unabhängigen Nation entspricht, da sie 1946 von der Besatzungsmacht USA aufgezwungen worden sei. Es wird erwartet, dass seine Partei LDP bei den Oberhauswahlen einen haushohen Sieg erringen wird und danach die Debatte um eine Verfassungsänderung an Fahrt gewinnen könnte.
Wirtschaftlich wollte Abe mit seiner "Abenomics" getauften Wirtschaftspolitik aus billigem Geld, schuldenfinanzierten Konjunkturspritzen und dem Versprechen von Strukturreformen Japan aus der jahrzehntelangen Deflation und Stagnation führen.
Zwar hat die Nummer drei der Weltwirtschaft unter Abe zwischenzeitlich die längste Wachstumsphase seit Jahren erlebt. Zudem kurbelte er den Tourismus an, der vor der Corona-Pandemie viel Geld ins Land brachte. Gleichzeitig aber habe die "Abenomics" dazu geführt, dass die Gewinne in den vergangenen Jahren ungleich verteilt worden seien, beklagten Kritiker. Ein Drittel aller Beschäftigten ist ohne Festanstellung.
Quelle: ntv.de, jug/rts/AFP