Das mysteriöse Attentat auf John F. Kennedy "Johnson hatte Angst vor Drittem Weltkrieg"
22.11.2013, 12:12 Uhr
Das Bild zeigt John F. Kennedy 1960 mit seinem späteren Vize Lyndon B. Johnson. Nach Kennedys Ermordung wurde Johnson im November 1963 dessen Nachfolger.
(Foto: AP)
Zwei Schüsse, dann ist der US-Präsident tot: Im November 1963 stirbt John F. Kennedy bei einem Attentat. Der Historiker Andreas Etges vergleicht JFK im Interview mit n-tv.de mit Barack Obama. Und er verrät, warum sich die US-Regierung nach dem Attentat unbedingt einen Einzeltäter wünschte.
n-tv.de: John F. Kennedy war weniger als drei Jahre US-Präsident. Trotzdem gilt er als einer der populärsten Politiker aller Zeiten. Wie ist der Mythos JFK zu erklären?
Andreas Etges: Es war vor allem die Wirkung von Kennedy, der eine ganz neue Generation vertrat. Adenauer, de Gaulle, Chruschtschow und Mao, die prominenten Politiker damals, waren 20 bis 40 Jahre älter als er. Plötzlich kam dieser junge Mann mit seiner attraktiven Frau und den kleinen Kindern. Er verursachte eine Aufbruchsstimmung und übt noch immer eine große Faszination aus. Nach wie vor lässt sich darüber spekulieren, was passiert wäre, wenn Kennedy nicht ermordet worden wäre.
In seiner TV-Serie "Die Geschichte Amerikas" bezeichnet Oliver Stone Kennedys Tod als historischen Bruch. Was denken Sie: Wäre die amerikanische Geschichte sonst anders verlaufen?
Einige sind der Meinung, Amerika wäre ein besseres Land geworden. Mit Kennedy als Präsident wäre der Vietnam-Krieg nicht so massiv eskaliert, eine frühere Bürgerrechtsgesetzgebung hätte die Rassenunruhen verhindert, der Kalte Krieg wäre beendet worden und Richard Nixon hätte nicht wegen des Watergate-Skandals zurücktreten müssen. Ich bin da skeptisch.
Wieso?
Kennedy wäre in Vietnam vielleicht zögerlicher gewesen als sein Nachfolger Lyndon B. Johnson, aber auch er war ein Kalter Krieger und hat die Eskalation in Vietnam mitbetrieben. Ich vermute: Den Menschen wäre es damals so gegangen wie heute bei Barack Obama. Die Erwartungen waren so groß, dass sie fast nur enttäuscht werden konnten.
Was für Erfolge kann Kennedy vorweisen?
Nach langem Zögern und sehr viel Frustration bei seinen Unterstützern bezog Kennedy im Laufe seiner Amtszeit immer deutlicher Stellung in der Bürgerrechtsfrage. Er positionierte sich schließlich nicht nur juristisch, sondern auch moralisch auf der Seite der Bürgerrechtsbewegung. Kennedy zeigte Ansätze, die Außenpolitik zu verändern. In einer Rede im Juni 1963 stellte er die Logik des Kalten Krieges infrage. Ein weiterer Erfolg ist das Peace Corps, ein freiwilliger Entwicklungshilfedienst. Dazu gab es beeindruckende Reforminitiativen, die aber fast alle versandeten.
Woran lag das?
Kennedy kämpfte im Kongress und im Senat nicht vehement genug für seine Anliegen. Vieles, wie zum Beispiel die Reform der Einwanderungsgesetzgebung, setzte erst Johnson durch. Vielleicht ist dies eine Parallele zu Obama: Auch ihm wirft man ja vor, dass er viel zu wenig mit dem Kongress zusammenarbeitet bzw. für seine Anliegen kämpft.
Kennedy war sehr beliebt bei den Amerikanern, hatte aber auch viele Feinde. Warum?
Das liegt auch an dem politischen System Amerikas, das mehr polarisiert als das deutsche. Der US-Präsident steht stärker im Blickpunkt und wird von seinen Gegnern massiv angefeindet. Als sich Kennedy zum Beispiel beim Thema Rassentrennung stärker positionierte, schlug ihm sofort extremer Widerstand entgegen.
Im November 1963 machte Kennedy eine Reise in den stark republikanisch geprägten Bundesstaat Texas. In Dallas sollte er in einem Autokorso durch die Innenstadt fahren. Später gab es Kritik, die Sicherheitsvorkehrungen seien zu lasch gewesen.
Die Sicherheitsvorkehrungen von heute sind mit denen von damals nicht vergleichbar. Im Juni 1963 fuhr Kennedy mit dem offenen Wagen stundenlang durch Berlin. Die Menschen kamen so nah an ihn heran, dass sie ihm Blumen reichen konnten. Auch in Dallas wollte er den Menschen besonders nah sein. Dabei hatte es schon vorher Anzeichen auf mögliche Anschläge gegeben.
War die nur mäßig geschützte Fahrt durch Dallas leichtsinnig?
Ich weiß nicht, ob man wirklich sagen kann, dass Kennedy bewusst ein Risiko einging. Er steckte in einem Dilemma. Er war quasi schon im Vorwahlkampf. Texas ist ein großer und wichtiger Staat, den er wieder gewinnen musste, in dem er aber sehr umstritten war.
Während des Autokorsos wurde Kennedy erschossen. Lee Harvey Oswald gilt bis heute als mutmaßlicher Täter. Warum ist der Kennedy-Mord auch 50 Jahre später noch nicht zweifelsfrei aufgeklärt?
Wie schnell man sich damals auf Oswald als Einzeltäter festlegte, war und ist für viele ein Indiz, dass nicht sauber ermittelt wurde. Später stellte sich heraus, dass der Warren-Report, der die Umstände des Attentats aufklären sollte, politisch beeinflusst war. Bei der Aufklärung des Mordes wurden einige Hinweise gar nicht verfolgt. Den Ermittlern unterliefen viele Fehler. Die Vernehmungen mit Oswald nach seiner Verhaftung wurden nicht aufgezeichnet. Über seine möglichen Motive kann man nur spekulieren. Oswald hat sich damals als Sündenbock bezeichnet, so wie einer, der von anderen vorgeschoben wurde. Das bereitete Verschwörungstheorien einen breiten Nährboden.
Welche Interessen könnte die US-Regierung bei der Aufklärung des Kennedy-Mords gehabt haben?

Andreas Etges arbietet als Historiker am Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
Der neue Präsident Johnson hatte Angst, dass es zu einem dritten Weltkrieg kommen könnte, wenn sich herausstellt, dass Russen oder Kubaner an dem Attentat beteiligt waren. Um den Verschwörungstheorien ein Ende zu bereiten, wünschte er sich einen Einzeltäter. Dabei war es für viele unvorstellbar, dass Kennedy, dieser Prinz im Weißen Haus, ausgerechnet von so einer obskuren Figur wie Oswald getötet worden sein sollte. Aus ihrer Sicht musste eine große Verschwörung dahinterstecken.
Welches sind die größten Rätsel bei den Ermittlungen?
Da ist etwa die sogenannte "magische Kugel", die später auf einer Krankenbahre gefunden wurde und um die sich viele Theorien ranken. Sie soll nicht nur Kennedy getroffen haben, sondern auch den schräg vor ihm sitzenden texanischen Gouverneur John Connally. Kann es sein, dass diese nur leicht beschädigte Kugel durch die zwei Körper hindurchgegangen ist und Kennedy und Connally so viele Verletzungen zufügen konnte? Aufsehen gab es auch um die Anzahl der Kugeln. Es wurden nur drei gefunden, die allesamt aus dem Gewehr stammen, das Oswald benutzt haben soll. Wenn man aber noch eine weitere Kugel gefunden hätte oder einen Hinweis, dass mehr abgeschossen wurden, hätte es einen weiteren Täter gegeben und damit eine Verschwörung.
Für wie wahrscheinlich halten Sie die Version, dass Oswald doch kein Einzeltäter war?
Eine groß angelegte halbstaatliche Verschwörung halte ich für ausgeschlossen. Schon eher, dass einzelne Personen aus der Mafia oder aus Sicherheitskreisen mit Oswald zusammengearbeitet haben könnten. Dass sowohl das FBI als auch die CIA die Ermittlungen behindert haben, ist jedoch kein Beleg für deren Involvierung. Sie wollten verhindern, dass auch illegale Aktivitäten herauskommen würden, die gar nichts mit dem Attentat auf Kennedy zu tun haben. Einige wurden allerdings trotzdem bekannt: So wollte die CIA in Kooperation mit der Mafia mehrere Anschläge auf Fidel Castro ausüben, die aber alle gescheitert sind.
Warum ist Kennedy bis heute ein solcher Anziehungspunkt für Verschwörungstheorien?
Das öffentliche Interesse an Verschwörungstheorien um Kennedys Tod und seine Affären ist groß. Das liegt auch daran, dass es vor allem zu seiner Ermordung so viele offene Fragen gibt. Das regt bei vielen Menschen die Phantasie an und lädt dazu ein, die Geschichten weiterzuspinnen.
Mit Andreas Etges sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de