Rede zur Lage der Union Juncker attestiert der EU "existenzielle Krise"
14.09.2016, 10:11 Uhr
Ist der Austrittsbeschluss der Briten der Anfang vom Ende der EU? In seiner Rede zur Lage der Union macht sich Kommissionspräsident Juncker darüber Sorgen - kommt jedoch zu einer hoffnungsfrohen Prognose.
Nach dem Brexit-Votum sieht Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Europäische Union "in einer existenziellen Krise". Der Luxemburger sagte in seiner Rede zur Lage der Union vor dem Europaparlament, der EU-Austritt Großbritanniens sei nicht der Beginn eines Auflösungsprozesses Europas. Die EU bedauere zwar die Entscheidung der Briten, "aber die Europäische Union ist in ihrem Bestand nicht gefährdet", so Juncker. Einige Entwicklungen ließen allerdings vermuten, "dass wir es in Teilen mit einer existenziellen Krise der Europäischen Union zu tun haben".
Juncker warf den EU-Regierungen vor, zu oft nationalen Interessen Vorfahrt einzuräumen und warnte davor, Populisten in die Hände zu spielen. "Populismus löst keine Probleme - im Gegenteil: Populismus schafft Probleme." Zwei Tage vor dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs zur Zukunft der Union verlangte Juncker eine "ehrliche Bestandsaufnahme" und auch mehr Anstrengungen gegen Arbeitslosigkeit und für ein sozialeres Europa.
Mit Blick auf die Austrittsverhandlungen mit Großbritannien bekräftigte der Kommissionspräsident, dass London "keinen Binnenmarkt à la carte" bekommen könne. In den anstehenden Verhandlungen über die künftigen Beziehungen werde es ungehinderten Zugang zum europäischen Wirtschaftsraum nur geben, wenn die britische Regierung die Freizügigkeit für EU-Bürger akzeptiere.
Juncker: Keine Ceta-Nachverhandlungen
Juncker kündigte zudem an, das 2014 gestartete Investitionsprogramm von 315 Milliarden Euro auf 630 Milliarden Euro bis 2020 zu verdoppeln. Der sogenannte Juncker-Plan soll mit einem kleinen Anteil öffentlicher Gelder vor allem private Investitionen anstoßen. Der Grundstock waren 21 Milliarden Euro im "Europäischen Fonds für strategische Investitionen" (EFSI). Seit seinem Beginn sind damit nach Angaben der EU-Kommission bereits Projekte für 116 Milliarden Euro gestartet worden.
Die Finanzierung der Verdoppelung des Programms in Volumen und Dauer ist allerdings noch nicht geklärt. Als gesichert gilt nach Junckers Worten nur ein Gesamtvolumen von 500 Milliarden Euro bis 2020. Nötig sind darüber hinaus weitere Mittel aus dem EU-Haushalt wie auch von den Mitgliedsstaaten.
Juncker widmete in seiner Rede auch dem Freihandelsabkommen Ceta einige Worte. Der Luxemburger schloss aus, dass es Nachverhandlungen darüber mit Kanada geben werde. "Die Garantien, die wir brauchen, können in den Parlamenten präzisiert und ausverhandelt werden", sagte Juncker. "Aber Nachverhandlungen kann es nicht geben." Ceta sei das "beste und fortschrittlichste" Handelsabkommen, das die Europäische Union je abgeschlossen habe.
Schließlich gab Juncker das Ziel aus, dass es in den Zentren aller europäischen Großstädte bis 2020 freies WLAN geben soll. Es ist Teil seines Plans für einen gemeinsamen digitalen Markt in der Europäischen Union. Damit soll auch der Ausbau des superschnellen mobilen Internets 5G vorangetrieben werden. Juncker kündigte einen neuen Vorschlag für die Roaming-Gebühren im EU-Ausland an. Die Kommission hatte wegen breiter Kritik ihren Plan zurückziehen müssen, die Extragebühren im Ausland ab Mitte 2017 nur für 90 Tage pro Jahr abzuschaffen. Dieser Plan habe nicht den Erwartungen einer Abschaffung der Roaming-Gebühren entsprochen, sagte Juncker.
Quelle: ntv.de, jog/dpa/AFP