Neue Bertelsmann-Studie Kinderarmut ist oft ein Dauerzustand
23.10.2017, 05:58 Uhr
Als arm gilt, wer in einer Familie lebt, die mit weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens auskommen oder staatliche Grundsicherung beziehen muss.
(Foto: picture alliance/dpa)
Einmal arm, immer arm? Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung deutet in diese Richtung. Zwei Drittel der von Armut betroffenen Kinder in Deutschland leben demnach dauerhaft oder immer wieder in Armut - und müssen auf viel Alltägliches verzichten.
Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit sinkt – nur Kinder profitieren nicht davon: 2017 hat die Kinderarmut in Deutschland sogar zugenommen. Zwei Drittel der Kinder, die einmal arm sind, bleiben dies auch über einen längeren Zeitraum, wie die jüngste Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für die Bertelsmann-Stiftung zeigt. Deutschlandweit ist fast jedes fünfte Kind dauerhaft oder immer wieder von Armut betroffen. "Kinderarmut ist in Deutschland ein Dauerzustand", sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. "Zu wenige Familien können sich aus Armut befreien."
Über einen Zeitraum von fünf Jahren untersuchten die Forscher des IAB jährlich die Einkommenssituation von Familien. Als arm gilt dabei, wer in einer Familie lebt, die mit weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens auskommen oder staatliche Grundsicherung beziehen muss. Vor allem Kinder mit alleinerziehenden oder geringqualifizierten Eltern und Kinder mit mehr als zwei Geschwistern sind gefährdet, arm zu sein oder in Armut abzurutschen.
Wer einmal von Armut betroffen ist, hat es schwer, diese hinter sich zu lassen. Die Studie zeigt, dass 85 Prozent der Befragten über den Zeitraum von fünf Jahren im selben Einkommensmuster verbleiben. Umgekehrt bedeutet das: Die gut 70 Prozent der Kinder, die in gesicherten Einkommensverhältnissen aufwachsen, laufen selten Gefahr, in Armut abzurutschen.
Auch wenn die Sorge um ein Dach über dem Kopf oder Essen auf dem Teller in Deutschland unbegründet ist - wer arm ist, muss auf viele eigentlich alltägliche Dinge verzichten, eine Waschmaschine etwa, oder einen Kinobesuch. Die Forscher fragten deshalb 23 Güter oder Aspekte sozialer Teilhabe ab. Gibt es einen internetfähigen Computer im Haushalt? Hat die Wohnung feuchte Wände? Reicht das Geld, um in den Urlaub zu fahren oder einmal im Monat Freunde zum Essen einzuladen?
Armut bedeutet Ausschluss von sozialen Aktivitäten
Kindern, die dauerhaft in Armut leben, fehlen durchschnittlich 7,3 der 23 abgefragten Güter. Kinder aus Familien mit sicherem Einkommen dagegen müssen aus finanziellen Gründen nur auf 1,3 dieser Güter verzichten. "Armut schließt Kinder von vielen sozialen und kulturellen Aktivitäten aus. Wer schon als Kind arm ist und nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann, hat auch in der Schule nachweisbar schlechtere Chancen. Das verringert die Möglichkeit, später ein selbstbestimmtes Leben außerhalb von Armut zu führen", sagt Dräger weiter.
Seiner Ansicht nach kann die Sozialpolitik derzeit nicht sicherstellen, Kindern Wege aus der Armut zu eröffnen. "Kinder können sich nicht selbst aus der Armut befreien – sie haben deshalb ein Anrecht auf eine Existenzsicherung, die ihnen faire Chancen und ein gutes Aufwachsen ermöglicht", betont Dräger und fordert einen Paradigmenwechsel: Die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen sollten in den Mittelpunkt des familienpolitischen Handelns gerückt werden.
Neue sozial- und familienpolitische Instrumente müssten dann auf dieser Grundlage bisherige Leistungen bündeln und unbürokratisch helfen. Zudem, so Dräger, bräuchten Kinder und Familien vor Ort gute Bildungs- und Freizeitangebote – ebenso wie eine passgenaue Unterstützung.
Quelle: ntv.de, ftü