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Göring-Eckardt besucht Ukraine Klitschko: "Wir kämpfen für jeden von euch"

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Kennen sich seit knapp 20 Jahren: Katrin Göring-Eckardt und Vitali Klitschko.

Kennen sich seit knapp 20 Jahren: Katrin Göring-Eckardt und Vitali Klitschko.

(Foto: Andreas Kappler)

Vitali Klitschko muss als Bürgermeister die Menschen in Kiew vor russischen Luftschlägen schützen. Der Vizepräsidentin des Bundestags, Katrin Göring-Eckardt, erzählt er beim gemeinsamen Treffen, welche Tage für ihn die schwierigsten sind und wofür er den Deutschen dankbar ist.

So zurückgenommen erlebt man Vitali Klitschko selten. Der Tag hatte eine schlechte Nachricht parat - bei dem massiven Luftangriff auf Kiew in der vergangenen Woche sind vier Menschen ums Leben gekommen. "Eine schwer Verletzte kämpfte seitdem im Krankenhaus ums Überleben", erzählt Kiews Bürgermeister. Heute nun musste er erfahren: Sie hat es nicht geschafft.

Ein fünfter Todesfall durch den russischen Angriff - das ist das Erste, was Klitschko, der ehemalige Boxchampion, der lange Zeit in Deutschland lebte, erwähnt, als er im Rathaus Katrin Göring-Eckardt empfängt. Die Vizepräsidentin des Bundestags ist seit Montag in der Ukraine - nicht nur, aber auch, weil "die Stimmung an der Front und im Land gerade sehr schwierig ist". Es ist ihr dritter Besuch, seit Russland vor zwei Jahren die komplette Invasion begann.

Klitschko muss Kiew gegen Luftangriffe wappnen

Die Deutsche und der Ukrainer haben schon andere berührende Momente in Kiew geteilt. 2004 etwa - als sie sich erstmals begegneten, im Trubel der Orangenen Revolution. Im Zentrum der Hauptstadt, auf dem Maidan, kamen damals Hunderttausende zusammen, um für freie Wahlen zu demonstrieren. Als Göring-Eckardt auf einer Kundgebung zur riesigen Menschenmenge sprach, ihr vom Balkon aus "Kämpft weiter!" zurief, standen zwei Männer hinter ihr - Vitali und sein Bruder Wladimir Klitschko.

"Kämpft weiter", das ist im Grund auch jetzt, fast 20 Jahre später, Göring-Eckardts Botschaft an die Ukrainer, "ihr kämpft auch für uns" - Klitschko ist ihr dankbar dafür. Und noch mehr vielleicht für den Druck, den sie in Deutschland macht, mehr und schneller Waffen zu liefern.

Die Stadt Kiew, ihre Bürger gegen Luftangriffe zu wappnen, stand nicht in der Jobbeschreibung, als Klitschko 2014 Bürgermeister wurde. In einem Land, das sich seit zwei Jahren im Überlebenskampf befindet, ist es Teil seines Alltags geworden. "800 Mal hatte Kiew Luftalarm im vergangenen Jahr", sagt er. Vieles im Krieg wird Routine - an manches mag Klitschko sich nicht gewöhnen.

"Der schwierigste Teil meiner Arbeit ist, in Krankenhäuser zu gehen und mit unseren Soldaten zu sprechen", erzählt er, seiner deutschen Besucherin gegenübersitzend. Noch schlimmer sei - und auch das gehöre im Krieg zu seiner Arbeit -, "Medaillen an Eltern zu überreichen, deren Söhne als Soldaten gefallen sind. Das sind zwei Arbeitstage, die ich hasse".

Göring-Eckardt erzählt, wo sie gerade herkommt: aus einem Reha-Zentrum für Kriegsversehrte. Der genaue Ort der Klinik ist geheim, zum Schutz vor russischen Angriffen. Sie hat dort mit jungen Männern gesprochen, die am Barren Übungen machten - den eigenen Oberkörper, dem die Beine fehlen, in die Waagerechte stemmen ist so eine Übung. Auf die Frage, was seine nächsten Pläne seien, antwortete einer, dem kein Bein und nur ein Arm geblieben ist: "Zurück an die Front."

Soldat Jewhen trainiert am Barren. Bald soll er Prothesen bekommen.

Soldat Jewhen trainiert am Barren. Bald soll er Prothesen bekommen.

(Foto: Niemeyer)

Eine Stunde nehmen sich die beiden Spitzenpolitiker Zeit für den Austausch - über die Situation an der Front, die Munitionsknappheit und ihre Folgen. Klitschko ist nun wieder zurückgekehrt zu der kräftigen Stimme, die die Öffentlichkeit von dem Zwei-Meter-Mann gewöhnt ist. Er dankt Deutschland für die Unterstützung - für das Flugabwehrsystem IRIS-T, den Kampfpanzer Leopard 2 und vieles andere. Ihm ist bewusst, dass es ein schwieriger Weg war, "von anfangs 5000 Helmen bis dahin".

Im vertraulichen Gespräch zwischen Göring-Eckardt und Klitschko werden andere Themen zur Sprache kommen - der deutsche Marschflugkörper Taurus, die Lügen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, die Stimmung im Land. Auch Einschätzungen zur Politik von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Sehr selten muss sich der ehemalige Boxer, in Deutschland noch immer sehr prominent, mit einer Vokabel aushelfen lassen. Die ukrainische Übersetzerin wurde schon in den Feierabend entlassen.

Klitschko weiß, dass es von 5000 Helmen zum Leopard-Panzer ein weiter Weg war.

Klitschko weiß, dass es von 5000 Helmen zum Leopard-Panzer ein weiter Weg war.

(Foto: Andreas Kappler)

Zum Ende des Treffens wird Klitschko noch kurz von Journalisten gefragt, wie er die deutsche Bevölkerung überzeugen will, dass die Ukraine noch immer gewinnen kann. Er verweist auf die zwei Jahre, die seine Landsleute sich schon erfolgreich verteidigen, und dass Putin, "der stärkste Präsident der Welt", von Nordkorea und dem Iran Waffen kaufen muss, weil die russischen nicht reichen.

Erschöpft sind die Ukrainer, das will Kiews Bürgermeister nicht abstreiten. Aber aufgeben werden sie nicht. "Wir müssen weiterkämpfen - für unsere Freiheit, unser Zuhause, für die Zukunft unserer Kinder." Doch zu denken, der Krieg betreffe die Deutschen nicht, wäre laut Klitschko "ein riesiger Fehler". Putin respektiere nur die Stärksten, und "gemeinsam sind wir viel stärker. Wir schützen nicht nur unsere Familien, sondern auch jeden von euch".

Quelle: ntv.de

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