"Das ist nicht nur ein Vergnügen" Künast träumt sich Berlin zurecht
28.06.2011, 16:36 Uhr
Alles neu: Künast will die "Kultur auf allen Ebenen verändern".
(Foto: dapd)
Von Wut- zu Mutbürgern: Grünen-Fraktionschefin Künast ruft eine neue politische Kultur aus. Als Bürgermeisterin will sie Berlin zur Mitmachstadt entwickeln. Es zeigt sich aber auch: Die Berliner müssen erst noch wollen, dass Künasts Träume Wirklichkeit werden.
Renate Künast hat einen Traum: "Ich möchte eine neue politische Kultur entwickeln." Eine Kultur, in der Großprojekte anders geplant werden. In der Behörden sich nicht in ihren Amtsstuben verstecken, sondern eine "aktive Informationspolitik" betreiben. Wo es ein zentrales Portal gibt, auf dem alle Vorhaben und Gesetze veröffentlich werden. Künast träumt von einer Stadt, in der sich Menschen und Behörden vernetzen. "Berlin soll Vorbild werden", sagt Künast. Vorbild für eine neue Form der Kommunikation, wo sich alle an einen Tisch setzen und die Probleme gemeinsam lösen. "Ich möchte die Kultur auf allen Ebenen verändern." Sie will Diskussionen anzetteln. Berlin soll "eine Stadt für alle" werden. Dazu gehöre auch, dass "alle für diese Stadt" seien. "Bürger und Behörden müssen bereit sein, sich zu verändern." Und dann wird Künast aus ihren Träumen gerissen.
"Es gibt hunderttausende Bürger in Berlin, die sich einen Scheiß für diese Stadt interessieren", formuliert es ein Zuhörer wenig zimperlich. Wie wolle Künast die begeistern, denen die Gestaltung der Stadt ziemlich egal sei? Ein anderer will wissen, wie das funktionieren solle, wenn man so viel diskutieren müsse. Es gehe um den Grundgedanken, antwortet Künast, eine Willkommenskultur: "Ja, wir wollen, dass Ihr mitdiskutiert." Die Grüne will mehr Möglichkeiten ausprobieren, von Online-Petitionen über Bürgerplattformen bis hin zur Mitsprache im Kiezmanagement. Dafür will sie den öffentlichen Dienst verändern, die Leute entsprechend schulen und ausbilden. Das könne anstrengend werden. "Mitentscheiden ist nicht nur ein Vergnügen, es ist auch Pflicht."
"Wir vertrauen keinem mehr"
Künast im Praxistest: Die Spitzenkandidatin der Grünen für die Landtagswahlen am 18. September in Berlin ist an das Otto-Suhr-Institut der Freien Universität gekommen, im Stadtteil Dahlem, einem Villenviertel Berlins. Auf Einladung des OSI-Clubs soll Künast über ihre "Strategien für die Metropole Berlin" sprechen. Keine Wahlkampfveranstaltung, sondern Teil einer Ringvorlesung. Konkrete Wahlaussagen sind da nicht zu erwarten.
An die 100 Menschen sind es trotzdem, die Künasts Visionen für Berlin hören wollen. Es ist ein warmer Sommerabend in der Hauptstadt. Dass es für Künast aber keine Schönwetterveranstaltung wird, macht schon eine Handvoll Demonstranten vor dem Eingang klar. Gegner des sich im Bau befindlichen Großflughafens BBI demonstrieren gegen die Flugrouten und für ein Nachtflugverbot. "Wir vertrauen keinem Politiker mehr", sagen die Wutbürger aus Teltow. Denen sei doch "scheißegal, was mit den Leuten ist".
"Alles schneller und komplizierter"
Diesen Eindruck versucht Künast im Hörsaal zu widerlegen. Doch erst einmal schweift sie ab. Künast philosophiert zu Beginn ihres Vortrags über Meinungsbildung im 21. Jahrhundert, die Kommunikation mit Hilfe des Internets und wie sich die Medienlandschaft verändert. "Alles ist schneller und komplizierter geworden", sagt Künast. Twitter, Blogs und Nachrichtenseiten im Netz – "immer schneller, immer oberflächlicher". "Thema!", ruft eine Frau dazwischen. Künast soll Farbe bekennen.

Gegner siegesgewiss: Bürgermeister Wowereit führt mit der SPD in den Umfragen derzeit wieder.
(Foto: dpa)
Es ist das, was derzeit überall von den Grünen eingefordert wird. Die Ökopartei soll erklären, wie sie Politik gestalten, und nicht nur verhindern will. Der Ruf der Dagegen-Partei ist haften geblieben. Das kann nur schaden, insbesondere, wenn man wie Künast reale Chancen hat, Regierungschefin zu werden. Zwar liegt die SPD in Umfragen für Berlin derzeit wieder vor den Grünen. Doch das kann sich schnell wieder ändern und selbst wenn nicht – mit der CDU als Juniorpartner könnte es am Ende trotzdem reichen. Künast kann sich also nicht nur als Träumerin präsentieren.
Kurtaxe für Berlin
Nicht nur die Flughafengegner, von denen es ein paar in den Saal geschafft haben, wollen konkrete Ansagen der grünen Bürgermeisterkandidatin hören. Künast wiederum versucht, sich möglichst nicht festlegen zu lassen.
Wird sie die Wasserversorgung wieder in öffentliche Hand legen? Der Verkauf der Wasserbetriebe sei zwar ein Fehler gewesen, sagt Künast. Doch einen Rückkauf um jeden Preis will sie nicht, das könne zu teuer werden. Wo setzen die Grünen den Rotstift an? "Vom Sparen wird die Bildung ausgenommen", sagt Künast. Vielmehr will sie nicht sagen. Erst müsse ein Kassensturz her. Aber wo soll das Geld denn herkommen? Künast will eine City-Taxe einführen. Eine Gebühr für Touristen nach dem Vorbild der Kurtaxe in anderen Urlaubsregionen. Das soll auch ein Mittel sein, um preiswerte Wohnungen in der Innenstadt zu erhalten und die Gentrifizierung bestimmter Bezirke im Zaum zu halten. Wie das alles genau geschehen wird, soll von möglichst vielen diskutiert werden.
Künasts Traum von der Mitmachstadt für alle. Dafür will sie Volkentscheide einführen und das Wahlalter bei der Landtagswahl auf 16 Jahre absenken. Mitentscheiden, Transparenz – Künast will aus Wutbürgern Mutbürger machen. Berlin soll Modellstadt der Grünen werden. Die Frage bleibt, ob die Berliner das auch wollen.
Quelle: ntv.de