"Kein Mann der Frustration" Macron drängelt, Europa schwächelt
15.02.2020, 15:38 Uhr
Fordert eine "glaubwürdige" EU-Strategie gegenüber Moskau: Frankreichs Präsident Emanuel Macron auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
(Foto: picture alliance/dpa)
Für Frankreichs Präsident Macron gleicht Europa einem geschwächten Patienten. "Wir sind verwundbar und sehr, sehr anfällig", sagt er auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Er fordert nun eine "glaubwürdige Strategie" und macht dafür konkrete Vorschläge.
Der französische Präsident will nicht mehr warten. "Wir stehen vor einer Stunde der Wahrheit in Europa", mahnt er sichtlich ungeduldig bei einem Podiumsgespräch auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Der Westen sei geschwächt, wie es vor 15 Jahren noch undenkbar gewesen sei. China sei aufgestiegen, Europa habe es mit regionalen Mächten zu tun, die seine Werte nicht teilten. Und die USA würden ihre Beziehungen zu Europa neu überdenken. "Ich glaube, wir sind verwundbar und sehr, sehr anfällig", so Macron weiter. "Wir sind gemeinsam ein Kontinent, der nicht mehr an seine Zukunft glaubt."
Ganz originell ist die These auf dieser Sicherheitskonferenz nicht. Auch wenn US-Außenminister Mike Pompeo am Morgen mehrmals betonte, dass der Westen "gemeinsam" siegen werde, zeigen sich doch viele hier skeptisch angesichts der Alleingänge der USA und des zögerlichen Umgangs der EU mit Krisen. Auch Präsident Frank-Walter Steinmeier hatte zuvor in seiner Auftaktrede den Rückzug der USA beklagt: "Unser engster Verbündeter, die Vereinigten Staaten von Amerika, erteilen unter der jetzigen Regierung selbst der Idee einer internationalen Gemeinschaft eine Absage." Und weiter: "Als ob an alle gedacht sei, wenn ein jeder an sich denke."
Macron fordert "europäische Strategie"
In München stellt sich Macron explizit hinter Steinmeiers Aussagen: "Das entspricht ganz mir, und das hat mich auch nicht erstaunt." Er zieht ähnliche Konsequenzen wie sein deutscher Amtskollege, wenn auch deutlich klarer und drängelnder. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre hätten ihn davon überzeugt, dass eine "europäische Strategie" nötig sei.
Wie diese aussehen könnte, dekliniert Macron, der schon in den vergangenen Jahren mehrere Vorstöße zu einer besseren europäischen Zusammenarbeit gemacht hat, dann gleich praktisch durch: China und die USA investierten massiv und stellten die Weichen für die Zukunft. Um in diesem Wettbewerb mithalten zu können, fordert er mehr Geld für die EU und kritisiert, dass Nettozahler nicht mehr als ein Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung an den EU-Haushalt abführen wollten. "Das passt nicht zur Größe der Aufgabe, vor der wir stehen", sagt Macron. Und will mehr.
In der Sicherheitspolitik spricht sich Macron wie schon in der Vergangenheit für ein größeres Gewicht Europas aus. Sein Tenor: Schon unter Präsident Barack Obama habe sich die Außenpolitik der USA verschoben. Jetzt wollten sie nicht mehr die "Sheriffs für ihre Nachbarschaft" sein und forderten von Europa, mehr in ihre Sicherheit zu investieren. Für Frankreichs Präsidenten lautet die notwendige Konsequenz ein "stärkeres Europa der Verteidigung". Die Sicherheit des Kontinents muss Macron zufolge dabei auf zwei Säulen beruhen: der Nato und einer europäischen Verteidigung. Nur wenn sich Europa selber schützen könne, habe es einen Handlungsspielraum und Glaubwürdigkeit in der Außenpolitik.
Frankreich will über Nuklearwaffen sprechen
Zur Sicherheitspolitik gehört für Macron auch die Frage einer eigenen atomaren Verteidigung. Nach dem Brexit verfügt Frankreich als einziges EU-Land über Nuklearwaffen. "Ich biete jetzt einen strategischen Dialog mit allen Partnern, die das wünschen, auch im atomaren Bereich", sagt er in München. Zugleich räumt er ein: Er wisse, wie schwierig eine solche Diskussion in Deutschland sei. Allerdings hat Frankreich bereits klargemacht, dass es ablehnt, seine militärische Abschreckung mit Atomwaffen unter ein gemeinsames Kommando der EU oder der Nato zu stellen.
Schon vor einigen Tagen hatte Macron vor der Militärakademie in Paris den Europäern einen größeren Einblick in Frankreichs nationale nukleare Abschreckung angeboten. Macrons Vorschlag stieß in Deutschland jedoch auf wenig Begeisterung. SPD, Grüne und Linke wiesen ihn umgehend zurück, auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer von der CDU äußerte sich zurückhaltend.
Auch eine "glaubwürdige Strategie" gegenüber Moskau gehört für Macron zu einer neuen europäischen Außenpolitik. Die bisherige Russlandpolitik hat Macron zufolge nichts gebracht. Dabei verhehlt er nicht, dass es gute Gründe für Misstrauen gegenüber Russland gab. Russland habe in den vergangenen Jahren eine riesige Armee aufgebaut - im Weltraum, zu Wasser und zu Lande. Macron spricht auch Hackergriffe auf sein Wahlkampfteam an und eingefrorene Konflikte in Osteuropa.
Macron verlangt von Deutschland mehr Tempo, mehr Ehrgeiz
Doch er sieht keine Alternative zu einem Dialog mit dem Kreml, auch wenn er keine Änderungen von Heute auf Morgen erwartet. "Ich glaube da nicht an Wunder. Ich glaube an Politik." Als Zeichen des Erfolgs für einen Dialog mit Moskau wertet er den Gipfel im Normandie-Format, der im Dezember erstmals seit drei Jahren wieder stattfand und unter anderem zu einem Austausch von Gefangenen führte.
Um alle seine europäischen Initiativen durchzusetzen, baut Macron vor allem auf einen Partner: Deutschland. Und den drängelt er zur Eile. Die deutsch-französische Abstimmung müsse "schneller", "ehrgeiziger" sein und die Deutschen risikofreudiger. Ansonsten, so der Tenor des Präsidenten, komme Europa nicht voran. Und er mahnt "klare Antworten" an, um deutlich schneller eine Souveränität auf europäischer Ebene zu entwickeln.
Es ist nicht das erste Mal, dass Macron auf Deutschland zugeht. Bisher blieben die Reaktionen allerdings meist verhalten. Wie sehr ihn die zögerliche Haltung in Berlin in den vergangenen Jahren irritiert hat, zeigt Macron auf der Bühne in München nicht. Danach gefragt stellt er nur fest, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit eine "Geschichte des Wartens auf Antworten" sei. Und er erklärt: "Ich bin kein Mann der Frustration."
Quelle: ntv.de