Politik

Terror von Paris kommt ins Kino "Meinen Hass bekommt ihr nicht"

Das Pariser Szeneviertel rund um den Musikclub Bataclan wurde in den Tagen nach dem Terroranschlag vom 13. November 2015 zu einem Ort der Trauer.

Das Pariser Szeneviertel rund um den Musikclub Bataclan wurde in den Tagen nach dem Terroranschlag vom 13. November 2015 zu einem Ort der Trauer.

(Foto: imago/PanoramiC)

"Meinen Hass bekommt ihr nicht", postete der Pariser Antoine Leiris auf Facebook, am Tag, als er die Leiche seiner Frau identifizierte, der Mutter seines kleinen Sohnes. Hélène Muyal-Leiris gehörte zu den 130 Menschen, die ihr Leben verloren am 13. November 2015, als islamistische Terroranschläge in Paris ganz Frankreich erschütterten. Danach gingen Bilder der Anschläge um die Welt, aber auch jener Facebook-Post von Leiris. Im Herbst kommt ein Film ins Kino über diesen Satz und die Frage, wie man es schafft weiterzuleben, wenn Aufgeben keine Option ist. Drehbuchautor Marc Blöbaum im Gespräch mit ntv.de.

ntv.de: "Meinen Hass bekommt ihr nicht" - ein Satz, millionenfach geteilt. Solch ein Satz lässt sich sehr leicht liken und weiterleiten, aber vielleicht nur ganz schwer verinnerlichen. Hat Leiris damit etwas bewirkt?

Marc Blöbaum: Jener Anschlag am 13. November hat Frankreich ins Herz getroffen - gerade mitten in Paris, gerade das Massaker im Bataclan, diesem von vielen geliebten Musikclub mit 1000 Gästen, wo auch Leiris' Frau ums Leben kam. Dieser Anschlag ist im Grunde live übertragen worden - über ganz viele Handyvideos ist nicht nur Frankreich, sondern fast die ganze Welt Zeuge dieser Attacken geworden. Das ist sehr beklemmend. Der damalige Präsident François Hollande sprach am nächsten Morgen von einem Kriegszustand, in dem sich Frankreich befinde. Das ist der typische Reflex, martialisch aufzutreten und den Terror erstmal mit Attacken zu beantworten.

Marc Blöbaum ist auch Autor für den ARD-Tatort und schrieb unter anderem das Drehbuch für den Kinofilm "Sein letztes Rennen" mit Dieter Hallervorden und Heike Makatsch. "Meinen Hass bekommt Ihr nicht" erhielt die goldene "Lola", den Bundesfilmpreis, für das beste noch unverfilmte Drehbuch.

Marc Blöbaum ist auch Autor für den ARD-Tatort und schrieb unter anderem das Drehbuch für den Kinofilm "Sein letztes Rennen" mit Dieter Hallervorden und Heike Makatsch. "Meinen Hass bekommt Ihr nicht" erhielt die goldene "Lola", den Bundesfilmpreis, für das beste noch unverfilmte Drehbuch.

Dann kam der Satz von Leiris, mit dem er einen längeren Text überschrieben hat. Eine Botschaft an die Attentäter.

Das Besondere daran war: Er hat sich abgegrenzt von diesem Hass. Er hat gesagt, dass diese terroristische Gewalt von seiner Seite keine neue Gewalt hervorbringen wird. Dass also das, was der Terror bezweckt, bei ihm ins Leere laufen wird.

Und all die anderen Menschen, in denen der Hass hochkam?

Aus der Distanz ist so etwas schwer zu beantworten und niemand kann in die Köpfe der Menschen hineinschauen. Aber als Frankreichs Präsident Tage später auf der nationalen Trauerfeier für die Opfer eine Rede hielt, hat er Gedanken von Leiris vorgelesen, aus diesem Post. Ganz explizit sprach er davon, dass sich die Menschen diesen Hass nicht zu eigen machen dürfen. Es hat einen Nachhall gegeben, davon bin ich überzeugt.

Haben Sie damals gedacht: Daraus machen wir einen Film?

Nein, das kam erst später. Leiris hat ein kleines Buch geschrieben - "Meinen Hass bekommt ihr nicht" - über seinen Versuch, nicht zu hassen und weiterzuleben - mit seinem kleinen Sohn und mit dem Verlust seiner Frau. Als meine beiden Kollegen, der Regisseur Kilian Riedhof und der Autor Jan Braren und ich uns im Sommer 2017 für eine intensive Arbeitswoche getroffen haben, hat uns Kilian fast das ganze Buch vorgelesen, seine Tante hatte es ihm geschenkt. Irgendwann haben wir alle drei geweint. Da haben wir gedacht: Daraus machen wir einen Film.

War es schwierig, Leiris von der Filmidee zu überzeugen?

Jemand hatte in den Tagen nach dem Anschlag ein Klavier auf dem Platz vor dem Bataclan aufgestellt. Immer mal wieder erklang dort Musik.

Jemand hatte in den Tagen nach dem Anschlag ein Klavier auf dem Platz vor dem Bataclan aufgestellt. Immer mal wieder erklang dort Musik.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Zum Glück nicht. Kilian hat ihn in Paris besucht und ihm beschrieben, wie wir uns den Film vorstellen. Und Leiris hat eingewilligt. Vielleicht hat ihm die Vorstellung gefallen, dass Deutsche federführend diesen Film machen, die nicht so direkt mit Paris verbunden sind. Denn gerade der Anschlag auf das Bataclan hat auch die französische Medienszene sehr hart getroffen. Wann immer wir mit französischen Kollegen, zum Beispiel aus der Produktion, zu tun haben, erzählt irgendjemand von einem Bekannten, der an jenem Abend im Bataclan war. Fast jeder in Paris kennt jemanden von diesen 1000 Gästen, so scheint es. Dadurch sind alle "getroffen" worden. Das ist bei uns Deutschen nicht so, und das, glaube ich, fand Antoine ganz gut: Da kommt jemand von außen, der sich diesem Thema nicht nüchtern, aber mit etwas mehr Distanz annähert.

Hat Leiris genaue Vorstellungen? Hat er Wünsche an den Film?

Leiris hat uns vollkommene künstlerische Freiheit zugesichert, aber ein Punkt ist ihm sehr wichtig: Es soll keine Bilder vom Sterben seiner Frau geben. Das ist auch etwas, das er in seinem Buch nicht beschreibt. Der Anschlag selbst wird ausgelassen. Dadurch wird tatsächlich auch den Tätern kein Raum gegeben. Es ist eine Geschichte, die erzählt, was Terror mit Opfern und Hinterbliebenen macht, und was für eine zersetzende Kraft das sein kann. Und wie schwer es ist, sich dem zu widersetzen und den Mut zum Leben nicht zu verlieren. Darum ist es auch so eine große, universelle Geschichte. Es ist eine Ode an das Leben.

Darum sparen Sie nicht nur den Tod von Hélène im Film aus, sondern auch alle anderen? Von den Anschlägen wird nichts gezeigt?

Einschusslöcher in dem Pariser Szeneviertel, in dem Islamisten 130 Menschen erschossen hatten.

Einschusslöcher in dem Pariser Szeneviertel, in dem Islamisten 130 Menschen erschossen hatten.

(Foto: imago/Starface)

Wir wollen nicht die äußere Gewalt darstellen, die Maschinengewehre verursachen. Sondern die nachgelagerte Gewalt, die zerstörerische Kraft, die das zur Folge hat.

War es schwierig, die Anschläge, die ja Auslöser der ganzen Geschichte sind, auszusparen?

Nein, überhaupt nicht. Es hilft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es hilft, nicht dem äußeren Entsetzen Raum zu geben, sondern dem inneren.

Wie finden Sie Filmbilder für einen Prozess, der vor allem im Inneren, in der Seele eines Menschen vor sich geht?

Aber Leiris agiert ja. Wir zeigen, wie er es schafft, seine Tage zu überstehen und mit welchen Schwierigkeiten er konfrontiert ist. Wie er mit seinem 17 Monate alten Sohn umgeht. Er hat uns, als wir ihn während der Arbeit am Drehbuch in Paris besucht haben, erzählt, wie er plötzlich ganz neu das Vatersein lernen musste. "Diving into fatherhood" nannte er es. Wir zeigen, wie er durch seinen Brief Menschen bewegt und plötzlich zu einem Medienereignis wird. Alle wollten in der ersten Woche nach dem Tod von Hélène Muyal-Leiris Interviews mit Antoine haben, wollten, dass er seine Geschichte erzählt.

Dieses riesige Medienecho - hat das Leiris geholfen oder ihn belastet?

Das ist eine der spannenden Fragen, und der Film hat darauf eine Antwort. (lacht)

Das ist gemein.

Es war seine Art, mit diesem Verlust umzugehen. Antoine Leiris hat einen besonderen Weg gewählt, er hat den Brief an die Attentäter geschrieben und ist in die Medien gegangen. Vielleicht kann man ihm das vorwerfen, weil es erstmal schräg erscheint. Vor wenigen Tagen hat er seine Frau verloren und nun sitzt er in einem Fernsehstudio. Ist das richtig? Aber es gibt in dieser Phase kein richtig und kein falsch. Es gibt keine Konventionen, wie der Mensch mit Trauer umzugehen hat. Da muss jeder seinen Weg finden. Es gibt nur weitermachen oder aufgeben. Antoine Leiris wollte nicht aufgeben.

In Frankreich und auf der ganzen Welt fühlten Menschen mit den Opfern von Paris.

In Frankreich und auf der ganzen Welt fühlten Menschen mit den Opfern von Paris.

(Foto: imago/PanoramiC)

Was haben Sie gedacht, als Sie ihn in Paris getroffen haben: Konnte sich Leiris die Verweigerung, zu hassen, bewahren?

Ich glaube nicht, dass man solche Gefühle völlig ausblenden kann. Aber wir können lernen, damit umzugehen. Leiris hat diesen Verlust seiner Frau akzeptiert und zu einem Teil seines Lebens gemacht. Und der Verlust dieser 130 Menschen ist vielleicht auch zu einem Teil des Pariser Lebens geworden. Nach unserem Gespräch mit Leiris waren wir in dem Szeneviertel, in dem die Terroristen um sich geschossen hatten. Man entdeckt sofort den kleinen Supermarkt, der auch auf vielen Handyvideos von der Anschlagsnacht zu sehen ist. In dem Café, wo Menschen starben, herrscht wieder normaler Betrieb. Aber die Einschusslöcher haben sie nicht zugegipst. Die Narben, sie gehören dazu.

Mit Marc Blöbaum sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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